Rund drei Millionen Antikörpertests gegen das neuartige Coronavirus sollen noch im Mai vom Schweizer Pharmariesen Roche an Gesundheitseinrichtungen in Deutschland ausgeliefert werden. Nach Angaben von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sind für die Folgemonate fortlaufend Auslieferungen von jeweils fünf Millionen Tests vereinbart.
Der neue Test ist eine wichtige neue Wegmarke im Kampf gegen das Virus", sagte er am Montag im Roche-Werk im oberbayerischen Penzberg.
Der Test zeige, wer eine Corona-Infektion schon durchgemacht habe.
So gewinnen wir Erkenntnisse über das tatsächliche Ausbruchsgeschehen", sagte Spahn.
Deutschland arbeite dazu aber auch mit anderen Testherstellern wie Euroimmun zusammen.
In Deutschland könnten sich laut der sogenannten Heinsberg-Studie inzwischen möglicherweise 1,8 Millionen Menschen mit dem Coronavirus infiziert haben. Dies ergebe eine Schätzung auf der Grundlage einer Modellrechnung, teilte die Universität Bonn am Montag mit.
Der neuartige Bluttest soll aufgrund seiner hohen Zuverlässigkeit auch helfen, Unklarheiten zur Dunkelziffer zu beseitigen. Christoph Franz, Verwaltungsratspräsident von Roche, sprach von einem völlig "neuen Qualitätsniveau".
Seinen Angaben zufolge verfügt der Test über eine Sensitivität von 100 Prozent und eine Spezifität von 99,8 Prozent. Erstere gibt den Prozentsatz der Betroffenen an, bei denen eine Infektion tatsächlich über einen positiven Testbefund erfasst wird. Letztere sagt aus, wie viele Nicht-Infizierte tatsächlich als nicht infiziert mittels negativem Testergebnis ausgewiesen werden. Aus beidem ergibt sich der sogenannte positive Vorhersagewert (Positive Predictive Value, PPV), also die Wahrscheinlichkeit, mit der ein positiv Getesteter tatsächlich Träger des getesteten Merkmals ist.
Testgenauigkeiten und Unklarheiten
Der positive Vorhersagewert ist aus mathematischen Gründen abhängig von der Häufigkeit des nachzuweisenden Merkmals in der Bevölkerung. Je seltener es ist, desto geringer ist der PPV. Wären beispielsweise bei einem Prozent der Bevölkerung Antikörper gegen SARS-CoV-2 vorhanden, so ergäbe sich bei der angegebenen hohen Sensitivität (100 Prozent) und Spezifität (99,8 Prozent) des Tests ein positiver Vorhersagewert von rund 83 Prozent. In diesem Fall läge die Anzahl der Menschen, die der Test fälschlicherweise als Antikörperträger ausweist, also bei circa 17 Prozent. Hätten zehn Prozent der Bevölkerung Antikörper, so läge der PPV bei 98 Prozent und würden zwei Prozent der Getesteten fälschlicherweise als Antikörperträger ausgewiesen. Bei 20 Prozent Antikörperträgern in der Bevölkerung läge der PPV bei 99 Prozent und die Rate der fälschlicherweise als Träger bestimmten Personen bei einem Prozent. Da die Häufigkeit der Antikörperträger in der Bevölkerung nicht bekannt ist, sondern erst ermittelt werden muss, ist auch die tatsächliche Genauigkeit des Tests, mit der diese bestimmt werden soll, ohne zusätzliche repräsentative Vorermittlungen nicht genau bekannt. Diese wiederum könnten zusammen mit repräsentativen Stichprobentests selbst zur Abschätzung der Häufigkeit in der Bevölkerung dienen.
Ein solcher Test besäße daher erst dann eine ausreichende Genauigkeit, wenn die Ausbreitung bzw. Häufigkeit der Antikörper in der Bevölkerung bereits ein Ausmaß erreicht hat, das im Zusammenhang mit Hinweisen auf eine mögliche "Hintergrundimmunität" gegen SARS-CoV-2 durch Kontakt mit anderen Coronaviren einem weit höheren Immunisierungsgrad innerhalb der Bevölkerung entspräche als bisher offiziell angenommen – mit einer entsprechend geringeren "Gefährlichkeit des Virus".
Im Falle einer geringen Antikörperhäufigkeit ist der Test aufgrund seiner dann mangelhaften Genauigkeit unbrauchbar.
Brauchbar wäre ein solcher Test etwa in Kombination mit einer ausreichend häufigen bzw. bevölkerungsweiten Impfung, wodurch also die für eine hinreichende Testgenauigkeit benötigte Häufigkeit unmittelbar gegeben wäre. Der individuelle Impferfolg könnte dann zusätzlich über einen solchen Test nachgewiesen werden. Dabei gingen schließlich Impf- und Testkampagne Hand in Hand, mit entsprechenden Konsequenzen hinsichtlich der Kosten für das Gesundheitswesen sowie des Datenschutzes beim umfassenden Einsatz digitaler Immunitätsnachweise.
Allerdings könnte allein durch mögliche Gesundheits- und Folgeschäden eine Impfung gegen das Virus gefährlicher sein als das Virus selbst.
Unklar ist zudem, ob der Testnachweis von Antikörpern auch mit einer Immunisierung der Betroffenen einhergeht. Franz sagte, es gebe eine "sehr hohe Wahrscheinlichkeit", dass nachgewiesene Antikörper auch eine immunisierende Wirkung hätten. Der Nachweis als auch diese Erkenntnis seien wichtige Faktoren zur Wiederöffnung der Gesellschaft in der Corona-Krise, solange es keinen Impfstoff gebe.
Sobald gesicherte Erkenntnisse über eine mögliche Immunität nach durchgemachter Infektion vorliegen, werden die Tests noch größere Bedeutung gewinnen", betonte Spahn.
Verfügbarkeiten und Kosten
Das Bundesgesundheitsministerium erarbeitet derzeit die Grundlagen, für welche Bevölkerungsgruppen – etwa Mitarbeiter in Medizin und Pflege sowie Risikogruppen – der Test zunächst primär zur Verfügung stehen solle. Geklärt würde auch noch, in welchen Fällen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten übernehmen. Generell könne sich aber sofort jeder auf eigene Kosten testen lassen. Laut Franz würden die Tests weniger als "mehrere Hundert Euro" kosten.
Um die Produktionskapazitäten für den neuen serologischen Test Elecsys Anti-SARS-CoV-2 auszubauen, will Roche seine biochemischen Anlagen in Penzberg für rund 170 Millionen Euro erweitern. Zusätzlich verkündete der Konzern, weitere 250 Millionen Euro in Penzberg zu investieren, damit Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten für diagnostische Tests zusammengeführt und gebündelt werden können.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sprach von einem "Meilenstein" im internationalen Kampf gegen das Virus. Er lobte zugleich die Investitionen in das Werk, welches so zu einem der größten biotechnischen Forschungszentren in Deutschland werde. Bayern beteilige sich mit 40 Millionen Euro daran. Söder und Spahn betonten, wie wichtig es für Deutschland nach den jüngsten Erfahrungen in der Krise sei, dass die Pharmaindustrie in Deutschland und Europa forsche und produziere. Zu große Abhängigkeit "von einer Region oder einem Land kann uns in Schwierigkeiten bringen", sagte Spahn.
Das Unternehmen hat nach eigenen Angaben eine Notfallgenehmigung der US-Gesundheitsbehörde FDA für den Test bekommen. Diese ist einem Sprecher zufolge für alle Länder gültig, die die CE-Kennzeichnung für Produkte akzeptieren, dazu zählt auch die Europäische Union.
Laut Franz werde Roche Millionen Tests "im hohen zweistelligen Bereich" produzieren und diese weltweit überall dort zur Verfügung stellen, wo Bedarf bestehe. Es gebe aber "strategische Kooperationen" mit den Ländern, "in denen wir unsere Wertschöpfung betreiben". Spahn unterstrich in dem Zusammenhang, dass Deutschland bereit sei, andere Länder bei den Tests zu unterstützen. Neben den Tests sind für die Auswertung spezielle Geräte des Unternehmens erforderlich.
Redaktioneller Hinweis: Die Absätze zwei bis fünf im Abschnitt "Testgenauigkeiten und Unklarheiten" wurden am 19. Mai 2020 ergänzt.
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rt/dpa