Am Mittwoch tagte die Mindestlohnkommission, die die Bundesregierung zu der Erhöhung des Mindestlohns berät. Die Forderungen der Mitglieder des Gremiums auf Seiten von Gewerkschaften und Arbeitgebern gehen allerdings vor dem Hintergrund der Corona-Krise komplett auseinander.
DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell sagte der Neuen Osnabrücker Zeitung, die Forderung, den Mindestlohn ab 2021 von derzeit 9,35 Euro auf zwölf Euro pro Stunde zu erhöhen, gelte "nach der Krise erst recht".
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Demgegenüber mahnte der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Arbeitgeberverbände, Steffen Kampeter, zur Zurückhaltung. Denn eine Steigerung des Mindestlohns um mehr als 28 Prozent würde Arbeitsplätze gefährden und die Auswirkungen der Pandemie träfen kleine Betriebe besonders hart, drohte Kampeter. Die "zurückliegende konjunkturbedingt gute Tariflohnentwicklung" könne jetzt "nicht alleiniger Maßstab" für den Mindestlohn sein.
Körzell, der wie Kampeter der Mindestlohnkommission angehört und so bis Ende Juni an einer Empfehlung für die Bundesregierung zur Anpassung der Lohnuntergrenze arbeitet, hatte erklärt, dass die zwölf Euro die "untere Haltelinie" seien, um ein Abrutschen in die Armut zu verhindern.
Zu Beginn des Jahres hatten sich Sozialverbände und einige Politiker noch für eine einmalige Anhebung auf zwölf Euro pro Stunde ausgesprochen. Auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil war dafür, denn wer zum Mindestlohn arbeite, solle nicht abgehängt werden.
Doch liegt der Mindestlohn hierzulande mit 9,35 Euro deutlich unter dem westeuropäischen Niveau, wie das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung feststellte. Laut Gesetz muss diese erst vor fünf Jahren mit 8,50 Euro eingeführte Untergrenze regelmäßig angepasst werden. Zuletzt stieg diese um gerade einmal 1,7 Prozent – ohne Inflationsbereinigung. Damit liegt Deutschland deutlich unter der Lohnuntergrenze der 21 EU-Staaten, die eine solche haben, und Großbritanniens. Gleichzeitig wird die Lohnuntergrenze häufig nicht eingehalten.
Zum Jahreswechsel ist wieder eine Erhöhung fällig, doch scheint die Corona-Krise Arbeitgebern mit den – auch ohne Krise – bekannten Argumenten Anlass zu bieten, einen existenzsichernden Mindestlohn als Bedrohung fürs Ganze, für die Arbeitsplätze an sich, darzustellen, sowie als Grund zur Sorge vor allem für die "Kleinen" unter den Betrieben.
Angesichts der Corona-Krise zeigt sich, wie einige Arbeitnehmer hierzulande während der Pandemie nicht einmal auf ein Mindestmaß an Arbeitsschutz zählen können, während Unsummen von Steuergeldern in die Entlastung von großen Unternehmen und Staatsbeteiligung fließen. Beispielsweise fordern Beschäftigte bei Germanwings, dass die Bundesregierung Staatshilfen für den Mutterkonzern an Bedingungen knüpft, um Arbeitsplätze zu erhalten.
Wirtschaftsvertreter – Industrie- und Handelskammer, Bauindustrieverband, Verband der Digitalwirtschaft und die Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg – haben Berlin zuletzt dafür kritisiert, die Vergabe öffentlicher Aufträge an Kriterien zum Schutz der Arbeitnehmer, darunter die tarifvertragliche Mindestentlohnung, zu knüpfen, die laut Tagesspiegel im Fall des "Rahmenvertrags für Bauunterhaltungsmaßnahmen Sanitär" gerade einmal 9,00 Euro brutto pro Stunde betragen würde.
Obwohl Kundgebungen und Demos unter Einhaltung bestimmter Infektionsschutzmaßnahmen erlaubt sind, wird es am Tag der Arbeit in diesem Jahr zum ersten Mal seit der Gründung des Deutschen Gewerkschaftsbundes 1949 nicht auf den Straßen stattfinden, sondern nur einen Livestream mit Solidaritätsbekundungen geben. Während mehrere Nutzer in den sozialen Medien ankündigten, am ersten Tag der Lockerungen – an vielen Orten ist das der 4. Mai – Protestaktionen nachzuholen, ruft das "Revolutionäre 1.-Mai-Bündnis" zu Aktionen unter Berücksichtigung des Mindestabstandes sowie Mund- und Nasenschutzes auf.
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