von Susan Bonath
Sie drängen sich in überfüllten Gemeinschaftsunterkünften oder kampieren auf der Straße; sie leiden häufiger unter chronischen Krankheiten, sind aber oftmals nicht sozialversichert: Die Ärmsten sind nicht nur besonders bedroht von gesundheitlichen Problemen, wozu auch die Ansteckung mit dem Coronavirus gehört. Sie sind zynischerweise auch am stärksten von den restriktiven Maßnahmen betroffen.
Während das zumeist private Hilfenetz für Wohnungslose großteils zusammengebrochen ist, sorgen die Corona-Verordnungen zugleich für leere Hotels, Pensionen und Jugendherbergen. Eine neue Hamburger Initiative namens "Open the Hotels" fordert nun, die verwaisten Zimmer für Betroffene zu öffnen, um sie und die Gesellschaft besser zu schützen. Der Stadtstaat Hamburg könne die Zimmer für diesen Zweck anmieten, schlägt das Bündnis aus antifaschistischen Sozial- und Flüchtlingsverbänden vor. Doch die Sozialbehörde stellt sich offenbar quer.
Kein Zugang zu Hilfesystemen
Menschen ohne Obdach würden im Zuge der Corona-Maßnahmen auch in Hamburg großteils vergessen, hatte die Initiative kurz vor Ostern auf einer Pressekonferenz kritisiert. Einrichtungen wie Tafeln oder Suppenküchen hätten weitgehend geschlossen, Unterkünfte seien voll belegt oder stünden unter Quarantäne. Nun müsse die Stadt die freien Gästezimmer nutzen. Frankfurt am Main mache es vor, hieß es.
Wie ein Sprecher des Medibüros betonte, haben allein in der Elbmetropole Tausende keinen Zugang zu staatlicher Hilfe. Darunter befänden sich einheimische Wohnungslose genauso wie erwerbslose EU-Bürger und Flüchtlinge ohne Papiere, die keinerlei staatliche Hilfen nutzen könnten. Das Medibüro kümmert sich seit 1994 um die medizinische Versorgung für Menschen ohne Sozialversicherungsschutz. Bereits im Jahr 2009 habe die Diakonie rund 22.000 Nichtversicherte in Hamburg ermittelt, führte der Sprecher aus.
"Wir sind seit Jahren aus der Sozialstruktur ausgegrenzt, haben keine medizinische Versorgung, keine offizielle Unterkunft", berichtete Ali Ahmed von der Lampedusa-Gruppe Hamburg. Erst kürzlich sei die Zufluchts- und Beratungsstätte, das "Lampedusa-Zelt", abgerissen worden. Und damit teilten sie mit vielen Menschen in der Bundesrepublik ein gemeinsames Schicksal, betonte er und rügte:
Die Hamburger Behörden übernehmen dafür bisher keine Verantwortung und haben noch keine Alternativen angeboten.
Private Solidarität statt staatlicher Verantwortung
Eine Sprecherin der Flüchtlingsorganisation "Asmaras World" lobte aber zugleich, dass es viel private Solidarität in Hamburg gebe. Etliche Einwohner hätten bereits ihre Wohnungen geöffnet und Räume oder Schlafplätze angeboten, um Betroffenen einen Rückzug zu ermöglichen.
Auch ein Hotel habe die Initiative bereits gefunden, das Zimmer für Wohnungslose öffnen wolle. Eine Sprecherin vom bedpark-Hotel Hamburg-Stellingen erklärte, man sei sofort bereit, die freien Zimmer für wohnungslose Menschen zu öffnen. Jedem müsse ein Recht auf ein menschenwürdiges Leben unter hygienischen Bedingungen gewährt werden, sagte sie und rief andere Hotels auf, sich der Initiative anzuschließen.
Anschließend appellierte die Hotelsprecherin an die Stadt, dafür notwendige finanzielle Hilfen zur Verfügung zu stellen. Besonders für kleinere und jüngere Unternehmen, wie das ihre, sei so etwas ansonsten nicht für längere Zeit finanziell zu stemmen.
Auschwitz-Komitee appelliert an Menschlichkeit
Eine Sprecherin des Auschwitz-Komitees, das sich der Initiative angeschlossen hat, verlas bei der Pressekonferenz einen offenen Brief der KZ-Überlebenden und Komitee-Vorsitzenden Esther Bejarano, die sich mit eindringlichen Worten an den Ersten Bürgermeister der Hansestadt Hamburg, Peter Tschentscher (SPD), wandte. Man dürfe niemanden zurücklassen und nicht gleichgültig dem Elend zuschauen, fordert die 95-Jährige darin.
Die Corona-Pandemie offenbare, so Bejarano, auch im wohlhabenden Stadtstaat Hamburg die sozialen Missstände in dramatischer Weise. Es fehle an sicheren Schlafplätzen und ärztlicher Versorgung für Bedürftige. "Jedem Menschen, ob mit oder ohne Papiere, ohne Ansehen der Person und des Versichertenstatus" müsse die Bundesrepublik nun menschenwürdigen Schutz gewähren, mahnte sie. Dafür stünden genügend Immobilien leer.
Sozialbehörde: Ohne Betreuung keine Unterbringung
Trotz Mahnungen und des Angebots eines Hotels in der Hansestadt: Die Hamburger Sozialbehörde hält eine Unterbringung von Wohnungslosen für keine gute Idee. "Wir setzen nicht auf diese Lösung, und das haben wir auch zukünftig nicht vor", zitierte die Hamburger Morgenpost deren Sprecher Martin Helfrich in einem Bericht vom Ostersonntag.
Demnach würde aus Sicht der Stadt ein Dach über dem Kopf nicht genügen, um obdachlosen Menschen hinreichend zu helfen. Man brauche auch zusätzliche Beratung, Betreuung und für viele Betroffene auch Therapieplätze. Und offenbar ist dies nicht vorhanden. Manchmal, so kritisierte Sprecher Helfrich gegenüber der Zeitung, könne "etwas auch gut gemeint, aber schlecht gemacht sein". Ob er damit seine Behörde oder die Initiative meinte, wurde nicht deutlich.
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