Neben der Diskussion um Lockerungen der Ausgangsbeschränkungen sind es vor allem die sogenannten Corona-Apps, die derzeit die Corona-Diskussion hierzulande bestimmen. Schon längst wird die schrittweise Aufhebung des sogenannten "Shutdowns" mit der Entwicklung und Anwendung entsprechender digitaler Applikationen verknüpft.
Am vergangenen Donnerstag war es dann CDU-Bundesgesundheitsminiser Jens Spahn, der sich im ARD-Extra für eine solche App aussprach:
Die App ist ein entscheidender Schlüssel", zeigte sich der gelernte Bankkaufmann Spahn überzeugt.
"Wir müssen (...) die Kontakte der letzten Tage nachvollziehen können, damit die Infektionsdynamik beendet werden kann." Der entscheidende Vorteil einer Corona-App sei dabei, dass "je schneller die Kontakte ausfindig gemacht werden, desto besser die Ausbreitung verhindert werden kann".
Neu ist die entsprechende Diskussion allerdings nicht. Bereits Mitte März wurde in einem Strategiepapier des Bundesinnenministeriums mit dem Titel "Wie wir COVID-19 unter Kontrolle bekommen" auf "Location Tracking" als "unumgängliche" Maßnahme verwiesen.
Das Papier wurde demzufolge von einer "Gruppe von rund zehn Fachleuten" verfasst, darunter Wissenschaftler des Instituts der deutschen Wirtschaft und vom RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung.
Um das Testen schneller und effizienter zu machen, ist längerfristig der Einsatz von Big Data und Location Tracking unumgänglich", heißt es in dem Strategiepapier.
Dies sei demnach eine der Maßnahmen, die "einmal eingespielt (...) relativ kostengünstig über mehrere Jahre hinaus die wahrscheinlich immer wieder aufflackernden kleinen Ausbrüche sofort eindämmen" helfen werde. Von einer vorherigen Einwilligung der Betroffenen war in dem Papier allerdings keine Rede.
Parallel dazu erklärte der Präsident des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler, dass in seinem Institut bereits 25 Mitarbeiter an einer entsprechenden App arbeiten würden.
Wir halten das für ein sinnhaftes Konzept", zeigte sich Wieler überzeugt.
Die technischen und datenschutzrechtlichen Hürden ließen sich überwinden, ergänzte der RKI-Präsident demnach.
Es ist technisch möglich, und es ist auch datenschutzrechtlich möglich", so Wieler weiter.
Am 18. März gab die Deutsche Telekom dann bekannt, dass man dem RKI eine erste Lieferung von 5 Gigabyte an demnach "anonymisierten Messdaten aus ihrem Mobilfunknetz zur Erforschung der Verbreitung des Coronavirus zur Verfügung gestellt" habe.
Das im Strategiepapier noch als "unumgänglich" bezeichnete individuelle Tracking von Infizierten sei aber "ausgeschlossen", hieß es seitens des Konzerns.
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Zudem sei das "Verfahren zur Datenübergabe" von der Telekom und Datenschutzbehörden gemeinsam entwickelt worden.
Es wurde 2015 von der Bundesdatenschutzbeauftragten abgenommen", betont das Telekommunikationsunternehmen.
Bereits Mitte April plante die Bundesregierung, mit einer Corona-App an den Start zu gehen. Jetzt will man beim Start einer "Corona-Warn-App" demnach nicht darauf warten, dass die von Google und Apple angekündigten Technologiekomponenten für den Bau von Tracing-Apps zur Verfügung stehen. Die App werde derzeit nach wie vor vom Robert Koch-Institut getestet, erklärte am Mittwoch ein Sprecher des Gesundheitsministeriums.
Dann müssen Datenschutz- und Datensicherheitsaspekte durch den Datenschutzbeauftragten und das BSI (Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik) geklärt werden", ergänzte der Sprecher.
Demzufolge sind entsprechende datenschutzrechtliche Bedenken noch keineswegs ausgeräumt. Derzeit lasse sich zudem nicht genau sagen, wann die App bereitstehe.
Wir hoffen so bald wie möglich", wird der Sprecher von der dpa zitiert.
Neben Deutschland sind Corona-Apps auch in anderen EU-Ländern seit Wochen im Gespräch. Nach Angaben von Chris Boos, einem der führenden Forscher des Projektes PEPP-PT, sollte die in Europa entwickelte Smartphone-Technologie zur Eindämmung der Epidemie eigentlich schon bald nach Ostern als sogenannte Warn-App zur Verfügung stehen.
PEPP-PT (Pan-European Privacy-Preserving Proximity Tracing) werde derzeit von einem multinationalen europäischen Team unter Beteiligung der Fraunhofer-Institute HHI (Berlin), AISEC (Garching bei München) und IIS (Erlangen, Nürnberg) entwickelt.
PEPP-PT ist so konzipiert, dass es als Kontaktverfolgungsfunktion in nationale Corona-Handy-Apps eingebunden werden kann und die Integration in die Prozesse der nationalen Gesundheitsdienste ermöglicht. Es wird angeboten, die Lösung offen mit jedem Land zu teilen, da man sich verpflichtet hat, Interoperabilität zu erreichen, sodass der anonyme Mehrländer-Austauschmechanismus funktionsfähig bleibt", heißt es auf dem Internetauftritt des Fraunhofer-Instituts.
Seit Anfang April beteiligen sich in der Berliner Julius-Leber-Kaserne etwa 50 Soldaten an einem ersten großen Praxis-Test für eine Anwendung des Fraunhofer-Instituts zur Nachverfolgung möglicher Corona-Infektionen.
Apple und Google hatten über Ostern wiederum ein zweistufiges Konzept präsentiert, mit dem die Programmierung einer Tracing-App mit Hilfe von Bluetooth-Technologie umgesetzt werden kann. In einem ersten Schritt wollen die Konzerne im Mai Programmierschnittstellen (APIs) vorstellen, die die Entwicklung einer Tracing-App erleichtern sollen. In einem zweiten Schritt soll die Tracing-Funktion direkt in die beiden führenden Smartphone-Betriebssysteme Android und iOS integriert und von Corona-Warn-Apps genutzt werden können.
Das transatlantische Rennen um die "smarte" Lösung im Umgang mit COVID-19 ist also in vollem Gange. Dabei wird hierzulande immer wieder betont, dass die Nutzung der Tracing-App "auf freiwilliger Basis" erfolgen werde.
Klar ist jetzt schon, dass wir das auf freiwilliger Basis machen würden", erklärte Merkel Anfang April bei einer Telefonkonferenz mit den Ministerpräsidenten der Länder.
Und sollte sich bei entsprechenden Tests herausstellen, dass die Corona-Apps die Nachverfolgung von Kontaktfällen besser überprüfbar machten, dann würde Merkel demnach "unbedingt dafür sein, das den Bürgern zu empfehlen, und wäre dann natürlich auch bereit, für mich selber das anzuwenden und damit vielleicht anderen Menschen zu helfen".
Selbst Bundesaußenminister Heiko Maas schaltete sich Mitte April in die Diskussion ein. Eine Corona-App werde laut Maas zu einem wichtigen Teil der sogenannten Exit-Strategie – allerdings "auf freiwilliger Basis". Schließlich müsse man nicht die "Big-Brother-Methoden autoritärer Staaten kopieren".
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Zuletzt war es dann der Pressesprecher des Bundesgesundheitsministeriums, Hanno Kautz, der sich veranlasst sah, zu betonen, dass die Nutzung einer Tracing-App "eine freiwillige Entscheidung" sein werde.
Dass bei entsprechendem gesellschaftlichen und politischen Druck noch von einer tatsächlichen "Freiwilligkeit" gesprochen werden kann, darf bezweifelt werden.
Im Gegensatz zu Tracking-Apps erfassen Tracing-Apps demzufolge keine Geo-Daten, also Bewegungsprofile, sondern registrieren lediglich die unmittelbare Nähe anderer Smartphones. Anhand dessen soll nachvollzogen werden können, ob ein Kontakt mit einer anderen Person stattgefunden hat. Dafür sind Standortdaten oder andere persönliche Daten aufgrund der Bluetooth-Technologie somit "nicht unbedingt nötig". Wieso dann jedoch im Strategiepapier von "Location Tracking" als "unumgänglicher" Maßnahme die Rede war, erschließt sich nicht ohne Weiteres.
Das Robert Koch-Institut präsentiert bereits eine Corona-App zum Download. Demnach sollen bei der App namens "Corona-Datenspende" Vitaldaten von Fitnesstrackern und sogenannten Smartwatches genauere Einblicke in die Ausbreitung des Virus liefern. Die App ist für iPhone und iPad sowie Android erhältlich und wurde bereits über 300.000 Mal heruntergeladen. Sie ist somit auf Platz 1 im Google Play Store und im Apple App Store.
Alle Daten werden wissenschaftlich aufbereitet und fließen im Anschluss in eine interaktive Karte ein, die schon bald öffentlich auf https://www.corona-datenspende.de zu sehen ist", heißt es dazu bei Chip.de.
Demnach handele es sich bei Corona-Datenspende nicht "um die seit einigen Tagen kontrovers diskutierte Corona-App zur Nachverfolgung der Kontaktpersonen, deren Start nach Ostern erfolgen soll".