von Wladislaw Sankin
So ist es mit Pressebällen – sie erleben ihre glorreichen, aber auch ihre Krisenzeiten. Nach längerem Hin und Her hat der Berliner Erfinder Mario Koss 2017 den wohl ältesten Presseball der Welt übernommen – den Presseball Berlin. Als Marke "Presseball Berlin" sieht er sich mit der nun 120. Veranstaltung in der Ahnenreihe des ersten Presseballs von 1872.
Zu Zeiten des Deutschen Reichs ging es beim Presseball ums Geldsammeln für ärmere Journalisten. Wohltätig ist der Presseball jetzt immer noch – vorausgesetzt, dass spendable Gäste noch an der traditionellen Tombola teilnehmen. Für 260 (Preis für Flanierkarten) bis 1.000 Euro (Preis für VIP-Karte mit Tischplatz) könnte jeder dabei sein. Am 11. Januar haben die Veranstalter in den Räumen des Berliners Maritim Hotels 1.500 Gäste gezählt.
Wer denkt, es gehe beim Presseball Berlin irgendwie um die Presse, der täuscht sich. Seit Anfang der 2010er-Jahre hat das Event keinen Bezug mehr zu Journalistenverbänden, es durfte jedoch seinen Markennamen behalten. Im Jahr 2017 ging es noch um die Presse- und Meinungsfreiheit, zumindest bei den Eröffnungsreden, als der Chefredakteur der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo Gérard Biard zu Wort kam. In jenem und den beiden folgenden Jahren war auf dem Presseball mit Persönlichkeiten wie Gregor Gysi oder Franziska Giffey noch vereinzelt Politprominenz zu sehen.
Im Jahr 2020 war das kaum noch der Fall, dafür aber kamen nach wie vor Stars und Sternchen der Berliner Mode- und Kulturszene. Und das, obwohl der Presseball dieses Jahr unter der Schirmherrschaft des EU-Parlaments und dem Motto "Liebesgrüße aus Europa" stand. So wurde Helmut Kohl für seine Verdienste um Europa geehrt und posthum mit einem Preis ausgezeichnet. Auch der deutsche UN-Botschafter Christoph Heusgen trat auf.
Trotzdem, die Nähe zur Politik bleibt in Deutschland nun dem Bundespresseball überlassen. Pressebälle gibt es in Deutschland sonst noch regional, sie stehen allerdings zu Zeiten der Medienkrise (vor allem jener der Printmedien) eher unter einem absteigenden Stern.
Während in Deutschland der fachbezogene Charakter der Pressebälle immer weniger in Erscheinung tritt, gibt es beispielsweise in Russland immer mehr Events von und für Journalisten. So traten die Medien der "nördlichen Hauptstadt", wie die Russen Sankt Petersburg zu nennen pflegen, beim 7. Presseball unter dem Motto "Apolitische Assemblee" unabhängig von der jeweiligen politischen Ausrichtung sowohl im fachlichen Bereich als auch bei Sketchen miteinander in Wettbewerb. Vertreter der sich sonst bekriegenden staatlichen und regierungskritischen Medien feierten solidarisch miteinander – in Russland eine Seltenheit.
Wie ein Gruß aus Sankt Petersburg, aber auch und vor allem aus Moskau wirkte das Highlight des musikalischen Ballprogramms, der fast einstündige Auftritt der legendären Diskoband Dschinghis Khan um Mitternacht: Der Ball verabschiedete sich an diesem Tag vergnügt von Walzer und sonstiger Klassik. Denn bereits zuvor wurde zu Tango, Swing und Elton-John-Covern getanzt.
Aus Sankt Petersburg, weil die Idee, die deutsche Popband zu einem Ball nach Berlin einzuladen, nach deren bahnbrechendem Erfolg bei der Veranstaltung des Dresdner Balls in Sankt Petersburg im August 2019 aufkam. Das vermutete zumindest das Dschinghis-Khan-Gründungsmitglied Wolfgand Heichel im Gespräch mit RT. Ihre Musik von hundertprozentigem Unterhaltungswert ist es, die Menschen jeden Stands und jeder Nationalität in jedem Winkel der Erde zum Tanzen und Feiern bringt.
Und Moskau, weil das vornehme Berliner Publikum, dicht geschart auf der großen Tanzfläche – und ohnehin schon in der Stimmung zum Tanzen – erst dann richtig ausrastete, als die Band ihren größten Hit sang: "Moskau", und zwar gleich zweimal. Während des gesamten Auftritts leuchtete auf der LED-Wand hinter der Bühne immer wieder "Чингиз Хан" (Dschinghis Khan) in kyrillischen Buchstaben. Hinzu kam der russische Borschtsch, der seinen würdigen Platz unter den Köstlichkeiten des Büfetts einnahm, sodass der Presseball Berlin einen unerwarteten russischen Touch hatte.
Und das war viel weniger merkwürdig als der Tresen des Münchner Hofbräuhauses im Hauptfoyer des Presseballs Berlin, veranstaltet im Berliner Tiergarten. Dieses freundliche Angebot aus dem Süden des Landes wussten die Gäste anscheinend nicht wirklich zu würdigen: Teilweise waren mehr Kellner unterwegs zu sehen als Menschen mit Bierglas in der Hand.