von Timo Kirez
"Wer hat's erfunden?" fragte der etwas penetrante aber lustige Schweizer in den Werbespots von Ricola noch vor einigen Jahren. Natürlich eine rein rhetorische Frage. Dabei gibt es noch echte Rätsel zu lösen. Zum Beispiel die Frage nach den Baumeistern von Stonehenge. Jener Ort, der bei Esoterikfans für verklärte Blicke und wohliges Schaudern sorgt. Einige von ihnen schließen nicht einmal aus, dass Außerirdische ihre Finger (oder Tentakeln?) im Spiel hatten. Weit gefehlt. Profane Wissenschaft räumt nun mit den fantastischen Spekulationen auf. Allerdings nicht ohne für eine Überraschung zu sorgen.
Britische Forscher verglichen DNA, die aus neolithischen menschlichen Überresten aus ganz Großbritannien extrahiert wurde, mit der von Menschen, die zur gleichen Zeit in Europa lebten. Das Ergebnis: Die Vorfahren der Menschen, die Stonehenge gebaut haben, reisten nach Westen über das Mittelmeer, bevor sie Großbritannien erreichten. Die neolithischen Bewohner scheinen von Anatolien (der modernen Türkei) nach Iberien gereist zu sein, bevor sie sich auf den Weg nach Norden machten.
"Na sehen Sie, Herr Sarrazin, die Türken können also doch mehr, als nur Gemüseläden", könnte man jetzt schreiben. Nein, im Ernst: Die "Migranten" (oder wie soll man sie nennen?) erreichten Großbritannien ungefähr 4.000 Jahre vor Christus. Die Migration nach Großbritannien war nur ein Teil einer allgemeinen, massiven Expansion der Menschen aus Anatolien rund 6.000 Jahre vor Christus, die übrigens die Landwirtschaft in Europa einführten. Also doch Gemüseläden? Davor war Europa von kleinen "mobilen" Gruppen bevölkert, die Tiere jagten und wilde Pflanzen und Schalentiere sammelten.
Eine Gruppe von Frühbauern folgte der Donau bis nach Mitteleuropa, aber eine andere Gruppe reiste über das Mittelmeer nach Westen. Die DNA-Untersuchung zeigt, dass die neolithischen Briten größtenteils von Gruppen abstammen, die die Mittelmeerroute nahmen - entweder die Küste entlang oder mit ihren Booten von Insel auf Insel hoppend. Die Forscher untersuchten die DNA früher britischer Bauern und fanden heraus, dass diese den neolithischen Menschen aus Iberien (dem heutigen Spanien und Portugal) am ehesten ähneln. Diese iberischen Bauern stammten von Menschen ab, die über das Mittelmeer gereist waren.
Von Iberien aus reisten die mediterranen Bauern durch Frankreich nach Norden. Sie könnten aus dem Westen, über Wales oder Südwestengland nach Großbritannien eingewandert sein. Tatsächlich deuten Radiokohlenstoffdaten darauf hin, dass neolithische Menschen im Westen geringfügig früher ankamen. Neben der Landwirtschaft scheinen die neolithischen Migranten in Großbritannien die Tradition des Baus von Denkmälern aus großen Steinen, den sogenannten Megalithen, eingeführt zu haben. Stonehenge war Teil dieser Tradition.
Obwohl Großbritannien von "westlichen Jägern und Sammlern" bewohnt wurde, als die Bauern rund 4.000 Jahre vor Christus ankamen, belegt die DNA, dass sich beide Gruppen kaum vermischt haben. Die britischen Jäger und Sammler wurden fast vollständig durch die neolithischen Bauern ersetzt, abgesehen von einer Gruppe in Westschottland, wo die neolithischen Bewohner die lokale Abstammung erhöhten.
"Wir finden überhaupt keine Nachweise für die lokale britische westliche Abstammung der Jäger und Sammler in den neolithischen Bauern, nachdem diese angekommen sind", sagte Co-Autor Dr. Tom Booth, ein Spezialist für antike DNA vom Natural History Museum in London, gegenüber der BBC. "Das bedeutet nicht, dass sie sich überhaupt nicht vermischten, es bedeutet nur, dass ihre Populationsgröße vielleicht zu klein war, um irgendeine Art von genetischem Erbe hinterlassen zu haben."
Unbestätigten Gerüchten zufolge soll Nigel Farage nach Durchsicht der Forschungarbeit unter dem Ausruf "Bloody hell!" den Brexit-Antrag aufs Jahr 4.000 vor Christus zurückdatiert haben. Details der Studie finden sich übrigens auf der Webseite von Nature Ecology & Evolution.