Prof. Helga Hörz war Ethik-Professorin an der Berliner Humboldt-Universität. Sie arbeitete viele Jahre als Vertreterin der Deutschen Demokratischen Republik auf internationaler Ebene zu Frauen-Fragen, sowohl in der Internationalen Demokratischen Frauenföderation als auch bei verschiedenen UN-Gremien. Das Interview führte Hasan Posdnjakow.
Was hat Sie dazu motiviert, sich mit der Thematik der Frauenrechte zu beschäftigen?
Mein Gerechtigkeitssinn wehrte sich dagegen, die Arbeit von Frauen geringer einzuschätzen als die der Männer. Ursachen für diese Haltung fand ich in unwissenschaftlichen Wesensbestimmungen des Menschen, die oft ihre Sanktionierung in patriarchalischen Traditionen, Normen, Werten und Idealen fanden. Die Entwicklung von Frauen zur Persönlichkeit, die selbstbestimmt ihr Leben gestalten, wurde das Thema meiner Doktorarbeit. Sie erschien mit dem Titel: "Die Frau als Persönlichkeit" im Deutschen Verlag der Wissenschaften zu Berlin 1968. In Japan erschien eine Übersetzung. Inzwischen ist sie digitalisiert im Internet mit einem aktuellen Vorwort eingestellt. Später habe ich mich wissenschaftlich intensiver mit dem langen Weg zur Gleichberechtigung befasst. Das Buch erschien 2010 im trafo Verlag Berlin.
Wie war die Situation der Frauen zu Beginn der DDR? Wie war sie im Jahr 1989?
Das Erbe nach dem Zweiten Weltkrieg waren zerstörte Städte und Dörfer, politische Orientierungslosigkeit, Hunger, herumstreunende Heimatlose und verwaiste Kinder. Da Frauen 60 Prozent der Bevölkerung bildeten, übernahmen Frauengruppen in ganz Deutschland Verantwortung gegen den sozialen und politischen Notstand.
Nach der Gründung der BRD entstand 1949 die DDR. Sie hatte Reparationsleistungen für die Sowjetunion zu erbringen, war durch Embargo der BRD und anderer Staaten für notwendige Industrieerzeugnisse oft schwer betroffen. Sabotageakte gegen Einrichtungen wie Industrieanlagen, auch Bedrohung und Ermordung von Funktionsträgern, erschwerten die Umsetzung der bereits beschlossenen Gesetze, die den Frauen zu ihren Menschenrechten verhelfen sollten, zusätzlich. Es war ein Bildungsdefizit unter Frauen zu überwinden. Dafür gab es staatliche Bildungsprogramme und wichtige Initiativen des Demokratischen Frauenbundes (DFD). Dieser setzte sich ebenfalls für die umfassende Teilnahme von Frauen an Entscheidungsprozessen auf allen Ebenen des neu gegründeten Staates ein.
Insgesamt herrschte in der DDR eine ungeheure Aufbruch-Stimmung unter den Frauen. 1949 hatten nur fünf Prozent der Frauen in der DDR eine Berufsausbildung, 1957 waren noch 35 Prozent der weiblichen Bevölkerung Hausfrauen. Es war also unter einer großen Gruppe von Frauen, die das Patriarchat nicht in Frage stellten, Überzeugungsarbeit durch alle politischen Parteien und Organisationen sowie staatlichen Institutionen im Land, in den Ländern und den Kommunen zu leisten. Frauen sollten begreifen, dass sie nicht nur ein notwendiges Anhängsel von Männern sind, sondern eigenständige Persönlichkeiten, die auch außerhalb der Familie einen wichtigen Platz im gesellschaftlichen Leben einzunehmen hatten. Verordnungen und Gesetze waren öffentlichkeitswirksam zu erklären, um Eigeninitiative für ihre Umsetzung auszulösen.
Am Ende der DDR verfügten 84 Prozent aller weiblichen Beschäftigten über eine abgeschlossene Berufsausbildung. 1989 waren 91,1 Prozent der arbeitsfähigen Frauen berufstätig, lernten oder studierten. In Wirtschaft, Bildungswesen, Wissenschaft und Politik nahmen Frauen bereits wichtige Entscheidungspositionen ein. Das wäre weiter auszubauen gewesen. Zu bedenken ist jedoch, dass jahrhundertelanges Unrecht gegen Frauen nicht in wenigen Jahrzehnten zu überwinden ist. Es dauert lange, traditionelle und verfestigte Rollenklischees auch in den Köpfen von Männern und Frauen zu überwinden. Doch der Prozess der Überwindung des Unrechts war in Gang gesetzt.
Welche Maßnahmen wurden eingeleitet, um die rechtliche Stellung der Frauen in der DDR zu verbessern?
Zu wichtigen Verordnungen und Gesetzen, die die Gleichberechtigung rechtlich fixierten gehörten: der schon am 17.08.1946 erlassene SMAD-Befehl 253, der gleichen Lohn für gleiche Arbeit forderte, das Kontrollratsgesetz Nr. 16, das das nationalsozialistische Ehegesetz vom 8. Juli 1938 aufhob sowie Eheschließung und Eheauflösung neu regelte. Anfang der 50er-Jahre wurden dann, unter starker Beteiligung von Frauen einschließlich der im DFD organisierten politischen Frauenbewegung, drei grundlegende Gesetzeswerke erarbeitet: 1. die DDR-Verfassung von 1949; 2. das Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz sowie die Rechte der Frau von 1950 und 3. der Entwurf eines Familiengesetzbuches, das 1965 Gesetzeskraft erlangte. Männer hatten danach die gleiche Verantwortung wie Frauen für die Familie, einschließlich der Kindererziehung, zu übernehmen. Das Gesetz verlangte, dass Betriebe Kindertagesstätten, Waschanstalten, Nähstuben u.a. einzurichten hatten.
Das bisherige Alleinbestimmungsrecht des Mannes in allen Angelegenheiten des ehelichen Lebens war aufgehoben und es galt das gemeinsame Entscheidungsrecht beider Elternteile für das Wohl der Kinder. Die Realisierung der Gesetze wurde durch zusätzliche Maßnahmen und ideenreiche Aktivitäten unterstützt, denn aus vielen Köpfen ließen sich, wie betont, die alten Rollenbilder bei Frauen und Männer nur schwer verdrängen. Leider wurde das international anerkannte und von Kennern der Problematik hochgelobte Familiengesetz am 31. August 1990 durch den Einigungsvertrag dann aufgehoben.
Wie sah es mit der gesellschaftlichen Akzeptanz dieser Maßnahmen aus? Gab es auch Kampagnen, um männliche Vorurteile gegenüber Frauen, aber auch mangelndes Selbstbewusstsein bei den Frauen selbst, zu überwinden?
Die Akzeptanz der Maßnahmen für die Gleichberechtigung der Frau war sehr hoch, vor allem bei Frauen und Männern, die das jahrhundertealte patriarchalisch geprägte Unrecht an Frauen endlich beseitigen wollten. Doch der Prozess verlief nie gradlinig. Auseinandersetzungen verschiedener Art fanden statt. Presse und Medien setzten sich mit solchen Auffassungen auseinander, die de facto auf eine Verteidigung des Patriarchats hinausliefen, weil der Wert eines selbstbestimmten Lebens von Frauen durch einige Frauen noch nicht begriffen wurde und von manchen Männern in Frage gestellt wurde. Eine breite gesellschaftliche Diskussion fand statt. So ging es in einer Zeitung um die Frage: "Ist der Beruf ein Notbehelf?" Es gab sowohl Frauen, die den Wert ihrer Arbeit noch nicht als persönlichkeitsfördernd und ihre ökonomische Unabhängigkeit garantierend begriffen, als auch Männer, die sich in ihrer selbstbestimmten höheren Wertschätzung von Talenten und Fähigkeiten nicht bestätigt fühlten.
Hemmnisse in den Köpfen wurden u.a. 1961 im Kommuniqué des Zentralkomitees der SED "Die Frau, der Frieden und der Sozialismus" einer kritischen Bilanz unterzogen. Männer, die die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau noch nicht als ihre eigene Aufgabe begriffen hatten, sollten für diese Aufgabe weiter aktiviert werden. Der geringe Anteil von Frauen in Leitungsfunktionen wurde gerügt. Das setzte einen Prozess in Gang, in dem fähige Frauen in Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Politik in höhere Positionen berufen wurden. Das führte dazu, dass in den letzten Jahren der DDR ein Drittel aller Leitungsfunktionen von Frauen besetzt war.
Von welcher Seite kamen die Initiativen für die Reformen – eher von der Basis oder von der Führung? In den westdeutschen Darstellungen heißt es oft, die Masse der Frauen sei gar nicht beteiligt gewesen an den Entscheidungen und Debatten, wie die Lage der Frauen verbessert werden könnte.
Es war ein Prozess, der von oben und unten vorangetrieben wurde. Gesetze und Verordnungen sind wichtig, aber sie bedürfen immer der Masseninitiativen, um sie durchzusetzen. Diese gab es, auch wenn sie heute manchmal ignoriert und verschwiegen werden. Meine Erfahrungen an der Basis stammen aus der Jugendarbeit in einem Betrieb, in dem vor allem Frauen beschäftigt waren. Als Vorsitzende der Frauenkommission der Gewerkschaft an der Humboldt-Universität Berlin verhandelte ich zum Beispiel mit dem Rektor über Frauenförderung. Es gab Frauenförderungspläne, an die sich Leiter/innen zu halten hatten.
Internationale Erfahrungen sammelte ich in der IDFF (Internationale Demokratische Frauenföderation). Deshalb kann ich als Zeitzeugin über Aktivitäten von unten und oben berichten. Da waren vor allem die an der Basis wirkenden Frauenkommissionen der Gewerkschaft und der SED. Sie existierten in allen Betrieben, Einrichtungen und Institutionen. Man darf nicht die schon erwähnten Initiativen des DFD als einer politisch organisierten und anerkannten Frauenbewegung vergessen. An der Basis in Stadt und Land organisierte sie, unter Mitwirkung vieler Frauen, Bildungsarbeit, Solidaritätskampagnen, um Frauen in anderen Ländern zu helfen. Es gab interessante Freizeitangebote, darunter auch Handarbeit, wenn es gewünscht wurde.
Wie nahmen Frauen in der DDR die Situation der BRD-Frauen wahr? Bis in die 1970er konnten Frauen im Westen ja nicht allein entscheiden, eine Arbeit aufzunehmen, in eine eigene Wohnung zu ziehen oder einen Führerschein zu machen. Bis 1977 konnten BRD-Männer sogar den Arbeitsvertrag ihrer Frauen kündigen, wenn sie meinten, dass diese sich nicht genug um sie kümmerten.
Durch meine internationale Arbeit kam ich in Kontakt mit vielen aktiven Kämpferinnen für die Rechte der Frauen aus der BRD. Es entstanden Freundschaften, die auch heute noch bestehen. Sie interessierten sich stets intensiv für den Kampf um Gleichberechtigung in der DDR, die erreichten Erfolge und selbstverständlich auch die Probleme, um Fehler zu vermeiden. Auch wenn Frauen aus der DDR sich nicht unbedingt mit den Verhältnissen in der BRD befassten, sondern auf die propagierte Scheinwelt des Konsums und der Reisen hereinfielen, nahmen sie die Förderung der Frauen in der DDR als selbstverständlich hin. Doch in meinem Kreis von Kolleginnen, Kollegen, Freunden, politisch und ehrenamtlich Tätigen stellte man entsprechende Vergleiche zur Lage der Frauen in der DDR und der BRD an.
In den Westmedien wird gerne behauptet, die Frauen wurden in die Arbeitswelt nur deswegen aufgenommen, weil es in der DDR einen Mangel an Arbeitskräften gab. Was ist dran an diesem Mythos?
Frauen als Arbeitskräfte waren willkommen und wichtig. Im Vordergrund standen jedoch die Entwicklung der Persönlichkeit der Frau und ihre mögliche Selbstbestimmung durch ökonomische Unabhängigkeit vom Mann. In vielen der jetzigen Medienkampagnen zum angeblichen Zwang der Frau arbeiten zu müssen, werden meines Erachtens nur alte Rollenklischees neu aufgemotzt propagiert. Vergessen ist das jahrhundertalte Unrecht an Frauen mit Zwangsheiraten, Verbot von beruflicher Entwicklung, geringen Chancen für angemessene Bildung und anderen Ungerechtigkeiten. Damit wird, trotz schöner Reden, am Patriarchat festgehalten. Es zu überwinden ist kein Prozess von wenigen Jahrzehnten. Doch wichtige Schritte wurden in der DDR gegangen.