Oh my God: Atheisten dürfen in der SPD keinen eigenen Arbeitskreis gründen

Es heißt zwar, dass der Glaube nur Berge versetzt, und nicht Umfragewerte. Dennoch scheut die SPD ihre säkularen Mitgliedern offenbar wie der Teufel das Weihwasser. Da drängt sich eine Frage auf: Hat Lars Klingbeil Angst, in die Hölle zu kommen?  

von Timo Kirez

Eine vom slowenischen Philosophen Slavoj Zizek gern erzählte Anekdote geht so: Der renommierte dänische Physiker Niels Bohr (Bohrsches Atommodell) bekommt Besuch. Der Besucher entdeckt über dem Eingang zum Haus von Bohr ein Hufeisen. Überrascht fragt er Bohr, ob er als Mann der Wissenschaft an solche Glücksbringer glaube. Der eröffnet dem erstaunten Besucher daraufhin: "Nein, aber ich habe gehört, dass es auch funktioniert, wenn man nicht daran glaubt."

Nicht schlecht gestaunt haben vermutlich auch die "säkularen Sozis", als ihnen von ganz oben ein Brief ins Haus flatterte. Nicht von einem Engel geschrieben, sondern von ihrem Generalsekretär Lars Klingbeil. Ob es nun göttliche Eingebung oder einfach nur realpolitische, sprich profane Eingebung war: In dem "Erlass" verkündet Klingbeil seinen sozialdemokratischen Brüdern und Schwestern, dass ein "säkularer Arbeitskreis" im himmlischen Reich der Sozis keinen Platz hat.

Die sogenannten "säkularen Sozis" wollen schon länger, mit Verweis auf schon existierende christliche-, muslimische- und jüdische Arbeitskreise in der SPD, einen "säkularen Arbeitskreis" gründen. Doch da haben sie nicht mit dem jüngsten Gericht, Verzeihung, jüngsten Generalsekretär der SPD gerechnet. Klingbeil lehnte, wie schon zuvor der SPD-Parteivorstand, in seinem "Edikt" einen solchen Arbeitskreis ab. Doch damit nicht genug. Einmal vom "heiligen Zorn gepackt" verbot Klingbeil den SPD-Mitgliedern sogar, sich als solche zu erkennen zu geben.   

In dem Schreiben, das der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vorliegen soll, untersagt Klingbeil den Parteifreunden mit Hinweis auf die Parteijustiziarin, sich als "Sozialdemokraten" auszugeben. "Das gilt auch für öffentliche Auftritte, zum Beispiel im Internet" schreibt Klingbeil. Wie die FAZ berichtet, ist der Brief an den "Sprecher*innenkreis Säkulare Sozis" gerichtet, zu Händen des Hamburger Bürgerschaftsmitglieds Gerhard Lein. Das informelle Netzwerk der "Säkularen", das als Sozis oder Sozialdemokraten auftritt, hat mehrere hundert Mitglieder.

Als Unterstützer gelten unter anderem der Bundestagsabgeordnete Swen Schulz und die frühere FDP- und spätere SPD-Bundestagsabgeordnete Ingrid Matthäus-Maier. Der Versuch, einen derartigen Arbeitskreis einzurichten, geht auf das Jahr 2014 zurück. Damals hatten unter anderem Schulz und Mitglieder mehrerer Landtage einen Aufruf mitgetragen, der einen Arbeitskreis "HumanistInnen und Konfessionsfreie in der SPD" forderte. Doch aus dem Antrag wurde zunächst nichts. 2018 gab es dann einen neuen Antrag für einen "Arbeitskreis Säkularer SozialdemokratInnen".

Der Antrag wurde vom Parteivorstand abgelehnt. Trotzdem richteten sich die Befürworter offenbar noch einmal an Klingbeil. Nun also die Antwort des Generalsekretärs. Laut der FAZ schreibt Klingbeil dort, dass es ihn verwundere, dass die Genossen sich weiter als Säkulare Sozialdemokraten präsentierten. "Unsere Justiziarin hat bereits mehrmals darauf hingewiesen, dass nur als Organisationseinheit von der Partei anerkannte Kreise die Abkürzung SPD oder die Namensbestandteile Sozialdemokrat/innen, Sozialdemokratie, sozialdemokratisch usw. führen dürfen", so Klingbeil weiter.

Er verlange Respekt vor den Vorstandsbeschlüssen, wie die Zeitung weiter berichtet. "Insbesondere meine ich damit die Entscheidung, dass der Parteivorstand keinen säkularen Arbeitskreis einrichten wird und dass Ihr daher den Namen 'SozialdemokratInnen' nicht weiter verwenden könnt." Dies gelte auch fürs Internet, auf dem das Netzwerk eine eigene Homepage betreibt. Allerdings ohne das offizielle Parteilogo zu verwenden. Droht den "aufsässigen" Parteimitgliedern nun die "Exkommunikation"? Oder hält Klingbeil doch noch die andere Wange hin?

Laut der FAZ, die bei den Sozis nachgefragt hat, sieht die Partei nach wie vor "keine Notwendigkeit, einen 'Arbeitskreis Säkularer SozialdemokratInnen' einzurichten". Doch man gehe davon aus, die Angelegenheit einvernehmlich klären zu können, "im Rahmen von Gesprächen". Das erinnert ein wenig an das Disputieren in Bertolt Brechts "Leben des Galilei". Das Stück schildert den Konflikt zwischen Galilei und der katholischen Kirche, nachdem der Wissenschaftler das heliozentrische, kopernikanische Weltbild belegt und somit die Vorstellung des alten geozentrischen, ptolemäischen Weltbildes, dass die Erde der Mittelpunkt des Universums sei, widerlegt.

In einer Szene des Stücks sagt der Inquisitor: "Sollen wir die menschliche Gesellschaft auf den Zweifel begründen und nicht mehr auf den Glauben? […] Was käme heraus, wenn diese alle, schwach im Fleisch und zu jedem Exzeß geneigt, nur noch an die eigene Vernunft glaubten, die dieser Wahnsinnige für die einzige Instanz erklärt!"

Man kann nur hoffen, dass die Parteimitglieder zumindest nicht den Glauben an die Partei verlieren.