Rechnerisch leben in Deutschland mindestens 13,7 Millionen Menschen unterhalb der Armutsgrenze. Dies errechnete der Paritätische Gesamtverband anhand des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).
Mit 16,8 Prozent Armutsanteil an der Bevölkerung setzt sich der Trend fort, der seit der Jahrtausendwende unübersehbar ist. Auffallend ist die Entwicklung, da sowohl Wirtschaftsdaten als auch Erwerbstätigenquote in die gegensätzliche RIchtung zeigen.
Wohlstand und Reichtum wachsen, doch wächst ebenso die Ungleichheit in diesem Lande, indem nicht alle gleichermaßen an diesem Wohlstand teilhaben [...].
Die Zusammensetzung scheint wenig überraschend: bei Arbeitslosen (62,9 %), Alleinerziehenden (40,2 %), kinderreichen Familien (30,0 %), Migranten (27,5 %) oder Menschen mit niedrigen Bildungsabschlüssen (28,8 %) ist Armut am am weitesten verbreitet.
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Kritik am Bericht
Der Bericht traf in den Medien auf ein geteiltes Echo. Der Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes, Ulrich Schneider, lieferte sich einen Schlagabtausch auf Twitter mit der Verfasserin eines kritischen Artikels, der beim NDR erschien.
Politischer Aktionismus ohne Wirkung
Der Paritätische Gesamtverband kritisiert deshalb die Haltung der Politik, die seit Jahren verspricht, effektiv gegen Armut vorzugehen. Der Bericht beweist jedoch, dass das Armutsrisiko trotz aller politischen Maßnahmen offensichtlich nicht beseitigt werden konnte.
Das Bericht geht von einer relativen Armutsschwelle aus, die bei 60 Prozent des mittleren Haushaltsnettoeinkomens liegt. Angepasst für Alleinerziehende und Kinder ergeben sich folgende Werte:
Die Beobachtung, dass die Wirtschaftskraft sowie die Beschäftigungsquote trotz steigender Armut ansteigen, ist nur auf den ersten Blick widersprüchlich. Dazu betrachteten die Experten die Gruppen genauer, die von Armut betroffen sind. Ihre Erkenntnis:
in Deutschland sind es ganz überwiegend Menschen ohne Migrationshintergrund und Personen mit zumeist mittlerem oder höherem Qualifikationsniveau. Erwachsene arme Menschen gehen in aller Regel einer Erwerbstätigkeit nach (33,2 %) oder sind in Rente oder Pension (24,8 %). 12,4 Prozent sind in Ausbildung und Lehre. Arbeitslos sind dagegen lediglich 21,0 Prozent der einkommensarmen Erwachsenen.
Dies ist vor allem dadurch gegeben, weil die Löhne im Vergleich zur Konjunktur nur gering steigen: Die realen Einkommen sind zwischen 1991 und 2015 um durchschnittlich 15 Prozent angestiegen. Der Anstieg ist jedoch ebenfalls nicht gleich verteilt. Reallöhne in den unteren 20 Prozent der Haushalte sind 2015 sogar niedriger als 1991. Diese Entwicklung zeigt sich auch in der jüngeren Vergangenheit: zwischen 2011 und 2015 haben insbesondere die untersten zehn Prozent der Haushalte real an Einkommen verloren.
Weitere Folgen der Armut: Zwei von drei Armutsbetroffenen leben in Haushalten, die keine finanziellen Rücklagen für Notfälle haben. Bei 25,6 Prozent der Armen steht nicht einmal jedem Haushaltsmitglied ein kleiner wöchentlicher Geldbetrag zur Verfügung. 77 Prozent der Armen gibt an, dass für sie kein Sparen – weder zur Vorsorge noch zur Vermögensbildung – möglich ist.
Armut bedeutet aber auch Sorgen und nicht selten Stress: Psychische Belastungen von Armutsbetroffenen sind höher als von Nicht-Armen, sie leiden verstärkt unter starker Anspannung, Isolation und dem Gefühl, keine Kontrolle über eigene Sorgen zu haben.
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