Niedergang der Mediengruppe DuMont: "Sie haben jede Relevanz verloren"

Die neuesten Auflagezahlen zeigen, dass Deutschlands Verlage in der Printkrise stecken. Der größte Verlierer ist die DuMont Mediengruppe. Auch ihr Internet-Geschäft ist schwach. RT hat mit einem ehemaligen leitenden Redakteur über die Gründe gesprochen.

Sie ist eines der größten und wichtigsten Medienhäuser Deutschlands - die DuMont Mediengruppe. Dem Zeitungsverlag gehören Blätter wie der Kölner Stadt-Anzeiger, Kölner Express, der Berliner Kurier, die Berliner Zeitung oder die Hamburger Morgenpost. Seit einigen Jahren wird das Medienhaus von einem angestellten Management und nicht mehr von der Familie DuMont geleitet. Die Entwicklung des Hauses lässt nichts Gutes für die Mitarbeiter ahnen: sinkende Auflagenzahlen, Auslagerung der Berichterstattung, Entlassungen... 

RT Deutsch hat mit einem ehemaligen leitenden Redakteur des Hauses, Matthias Bothe, über die Lage in diesem Verlag gesprochen, die man durchaus als symptomatisch für die gesamte Branche in Deutschland betrachten könnte.

Herr Bothe, Sie waren viele Jahre (1990-1997) Lokalchef und später stellvertretender Chefredakteur beim Berliner Kurier. Sie haben auch kurzfristig für den Kölner Express gearbeitet. Wie würden Sie die Zeitungen heute beschreiben? 

Sie sind nur noch ein Schatten ihrer selbst. Berliner Kurier und Kölner Express haben jede Relevanz verloren. Der Express war in Köln über Jahrzehnte eine Institution, der Kurier wurde es nach 1990 in Berlin - durch eine Redaktion, die für heutige Verhältnisse unvorstellbar hart gearbeitet und dadurch das Vertrauen ihrer Leser gewonnen hat. Jetzt stehen beide Objekte vor der Einstellung.

Was sind die Gründe dafür und wer trägt die Verantwortung? 

Das Internet trägt sie garantiert nicht. Verantwortlich sind inkompetente Verlagsleiter und unfähige Chefredakteure. Es geht nicht um die EINE Geschichte, die in den Sand gesetzt wird. Das verzeihen treue Leser. Auch nicht um zwei, 30 oder 40. Aber wenn über Jahre hinweg am Leser vorbeigeschrieben wird, wenn man beispielsweise jede Presseerklärung so hinnimmt, wie sie ist, die Herrschenden bejubelt, anstatt sie permanent zu hinterfragen - dann wenden sich die Leser irgendwann angewidert ab. Die Menschen haben ein feines Gespür dafür, wenn sie dauerhaft veralbert werden sollen.

Laut dem Jahresabschluss für 2017 geht es dem Haus eigentlich recht gut. Der Umsatz legte demzufolge um etwa vier Prozent auf 615 Millionen Euro zu. Der Jahresüberschuss stieg von 3,2 Millionen auf 6,5 Millionen Euro. Aber in der Mitteilung des Hauses im Bundesanzeiger steht auch, dass das Stammgeschäft des Verlags allerdings schwächeln würde. Die Umsätze der Tageszeitungen gingen zurück. Wie bewerten Sie das? Liegt es an den Erfolgen im Internetbereich? 

Machen Sie Witze? Wissen Sie, was DuMont früher verdient hat? Als Geschäftsmann alter Schule hat Alfred Neven DuMont den Neubau seines Verlags in der Amsterdamer Straße in der 90er Jahren - damals mit rund 500 Millionen Mark - ohne jeden Kredit finanziert. Weil er sich nicht von Banken erpressen lassen und damit an journalistischer Unabhängigkeit verlieren wollte. Und was heißt ´Erfolge im Internet´? Aus journalistischer Sicht hat Mediengruppe DuMont da gar nichts vorzuweisen - keine User, keine Anzeigen. Der Berliner Kurier ist nicht mal unter den Top 50 der Klickschleudern.

Die Boulevard-Titel von DuMont sind das größte Problem der Gruppe. In etwa zwei bis drei Jahren werden sie nach dem heutigen Auflagentrend keinen Einzelverkauf mehr haben. Warum verlieren sie ihre Käufer?

Sie zahlen jetzt den Preis für eine seit vielen Jahren verfehlte Personalpolitik. Unten wurden die Falschen entlassen, oben die Falschen hofiert: Sie haben Egomanen, Scharlatane und Blender zu Chefredakteuren gemacht, denen die Interessen ihrer Leser völlig egal sind. Diese Chefredakteure nutzen ihre Position ausschließlich zur Selbstdarstellung, kennen nur drei Dinge: Ich! Ich! Ich!

Ein Verleger wie Alfred Neven DuMont konnte einen schlechten sehr schnell von einem guten Chefredakteur unterscheiden - was in der Regel die Entlassung des schlechten zur Folge hatte. Das alles fehlt heute. Die Verlagsmanager sind Betriebswirte oder Juristen, die nicht den Hauch einer Ahnung von Journalismus haben und sich nicht die Bohne dafür interessieren, sondern ausschließlich für kurzfristigen Profit.

Wie bewerten Sie die Entwicklung beim Berliner Kurier? Das Blatt hat jetzt eine Auflage von 53.430 verkauften Exemplaren täglich. Vor drei Jahren beispielsweise waren es noch rund 72.000.

Die Themen werden immer belangloser, immer stümperhafter geschrieben und immer schlechter oder einfach gar nicht mehr recherchiert. Die drei klassischen Säulen des Boulevard-Journalismus: Information in klarer und kurzer Sprache, Unterhaltung und Nutzwert - finden Sie im Kurier von heute nicht mehr. Stattdessen Schlagzeilen eines Chefredakteurs, dessen Oeuvre zwischen Slapstick und Zote oszilliert. Wer Schlagzeilen macht wie ´Okay. Die Welt ist also doch eine Scheibe´ (nach der Trump-Wahl zum US-Präsidenten) oder ´Minister lässt einen fahren´ (über den Diesel-Skandal), gehört nicht in einen Chefsessel, sondern in eine Gummizelle.

Berliner Kurier und Berliner Zeitung haben ihre Redaktionen 2016 zusamengelegt. Alte Redakteure mussten sich in der neu gegründeten GmbH neu bewerben. Haben Sie Kontakt zu ehemaligen Kollegen? Was sagen die dazu?

Sie haben resigniert, können nicht begreifen, dass ihr Lebenswerk nach mehr als 25 Jahren in Scherben liegt. Viele haben sich deshalb gesagt: Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende. Das heißt, sie haben die Abfindungen genommen und sind gegangen. Das ist bitter. Aber noch bitterer wäre es für diese Kolleginnen und Kollegen geworden, wenn sie bis zum Tag der Einstellung des Geschäfts in ihren Büros ausgeharrt hätten. Dann lieber so.

Was sagen Sie dazu, dass die DuMont Mediengruppe die überregionalen Themen Politik und Wirtschaft auslagert und sich künftig vom Konkurrenten Madsack, also über dessen neues Tochterunternehmen RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND), beliefern lässt?

Bei Berliner Kurier oder Kölner Express kommt es darauf schon gar nicht mehr an. Sie haben den Point of no Return längst überschritten, das heißt: Sie könnten jetzt eine ganze Armee von Pulitzerpreisträgern für sich schreiben lassen - es würde am Niedergang nichts mehr ändern. Für immer noch ernstzunehmende Zeitungen wie den Kölner Stadtanzeiger ist es dagegen eine Katastrophe. Der Leser bekommt einen politischen Einheitsbrei vorgesetzt, der in Berlin spielt und in Hannover zusammengerührt wird.

Kaufen sie selbst überhaupt noch Zeitungen oder Zeitschriften?  
Ja, obwohl es eine Qual ist. Denn jedesmal sage ich mir: Moment mal, das hast du doch schon irgendwo gelesen oder gehört. Wenn eine Tageszeitung oder ein Magazin nicht mehr bieten, als man schon gratis aus dem Internet oder dem Fernsehen weiß, wenn sie nicht mal mehr an der Oberfläche kratzen, sondern bereitwillig jede Form von Fake News verbreiten, nur weil es billig ist und ihre Spalten füllt - dann haben sie ihre Existenzberechtigung verloren. Und das ist auch gut so.

Mehr zum Thema - Springer und DuMont: Den beiden führenden Medienhäusern laufen die Zeitungskunden davon