von Alexander Palucki
Ein regnerisches Hamburg hat zum dritten Deutschlandauftritt des neuen Pussy Riot-Projekts geladen: „Pussy Riot Theatre - Riot Days - Story of protest and resistance“.
Im Gegensatz zu dem, was die Neue Osnabrücker Zeitung zwei Tage zuvor über den Auftritt in Hannover berichtete, war Hamburg am Donnerstagabend sehr gut besucht. Mehrere hundert Gäste kamen, um der Performance in der Hamburger „Fabrik“ beizuwohnen. Eigentlich handelt es sich nicht um ein Theaterstück, eher um ein Konzert mit viel Sprechgesang, mit zwei Kostümwechseln und Elementen der Performance Art, was wir noch genauer erläutern werden.
Das Stück produzierte Alexander Cheparukhin, der am Anfang auch eine einleitende Rede hielt. Er legte den Besuchern nahe, dass Marija Aljochinas Buch nicht als Autobiographie verstanden werden solle, sondern als „Punk-Manifesto“. Weshalb Cheparukhin die Besucher bat, „sich so Punk wie möglich zu verhalten.“ Dem kam im Laufe des Konzerts letztendlich niemand nach, da auf die Übertitel des Beamerbildes geachtet wurde, um der deutschen Übersetzung zu folgen. Der Auftritt war auf Russisch. Die Pussy Riot-Mitbegründerin Aljochina unterstützten auf der Bühne die Saxophon-Spielerin und Sängerin Nastya Awott, der Schauspieler Kiryl Masheka und der Musiker Max Awott.
Worum geht es im neuen Pussy Riot-Projekt?
Mit Sicherheit konnten wir feststellen, wie die Autorin mit ihren Kollegen die Annahme transportieren wollte, dass an allem, was in Russland schlecht ist, Wladimir Putin und die Russisch-Orthodoxe Kirche schuld sind. Das heißt, in dem Sinne wurde auf kein neues Pferd gesetzt, sondern ein altes besattelt und in die Wüste geschickt. Die Dramaturgie legte der russische Theaterregisseur Yury Muravitsky - selber nicht anwesend - als lineare und klassische Nacherzählung von all dem, was bisher geschah, an:
Die Vorbereitungen auf den illegalen Auftritt in der Moskauer Christ-Erlöser-Kirche wurden kurz erwähnt, später wurde der Stunt in der Kirche selbst thematisiert. Der Beamer gab eine ausgiebige Bebilderung der Geschehnisse, da die Frauen am schicksalhaften Tag des 21. Februars 2012 recht viel mitgeschnitten hatten. Ein Teil der Rezitation des Buches Aljochinas gab preis, dass sie die schwere Ausrüstung, u.a. einen Verstärker, einem Menschen mit Rucksack anvertraut hatten, der perfekt Englisch sprach. Spöttisch machten sich die Performer auf der Hamburger Bühne über den Moskauer Security-Angestellten aus der Kirche lustig. Dieser nahm nämlich die tadellosen Englischkenntnisse des schwer bepackten Pussy Riot-Assistenten als Grund, Vertrauen zu schenken und nicht die übliche Sicherheitsprüfung zu tätigen. Wenig später wurde er für seine Leichtgläubigkeit bestraft. Denn dann folgten die kontroversen 41 Sekunden im Innern der Kirche, inmitten von gläubigen Menschen, als die Mitglieder des Kollektivs ihr sogenanntes "Punk-Gebet" vortrugen. Kurz darauf waren alle Mitglieder nach draußen auf die Straße gebracht worden. An dem Tag gab es zwar noch keine Polizei -zur Verwunderung aller Beteiligten, aber eine vorsorgliche Flucht begann dennoch. Wenig später wurden die Frauen verhaftet. Eine viel genauere Schilderung bietet Aljochina in ihrem Buch. War also das Strafmaß für die Damen von Pussy Riot unverhältnismäßig? Sicherlich. Kann man legitime Kritik an der Russisch-Orthodoxen Kirche - oder jeder anderen Kirche - üben? Selbstverständlich. Über Form und Inhalt entscheidet jeder selbst. Die autobiographischen Elemente aus der Zeit von Aljochinas Strafvollzug waren noch die, die am wenigsten prahlerischer Natur waren. Eine stille, lyrische Qualität war in den wenigen Beobachtungen und Erinnerungen zu erkennen, die nur kurze Zeit später wieder von Lärm und Banalität abgelöst wurden, um schlussendlich ganz ihm Schall erzieherischer Ambition zu versinken.
Die selbsternannten Ziele von Pussy Riot
In Marija Aljochinas eigenen Worten ist das Vorhaben wie folgt:
Das Pussy Riot Theatre - eine kulturelle Revolution.
Gemeinden sind stärker als jede Regierung. Um Nationalismus, Sexismus, Rassismus, Furcht und Gleichgültigkeit zu bezwingen, sollten wir zusammen wüten und toben. Du hast eine Stimme. Ich werde sie dir zeigen.
Die Rhetorik mutet sentimental aber auch grundsätzlich wohlwollend an. Jedoch auch sehr plump und oberflächig. Denn wie in jeder vorgeschlagenen Revolution, muss es einen Ausweichplan geben für den unbequemen Umstand, dass nicht alle mit den geplanten gesellschaftlichen Erneuerungen konform gehen. Die Aktionistinnen und Aktionisten von Pussy Riot vermuten bei den Menschen, die sich ihnen nicht anschließen Ignoranz, Gleichgültigkeit oder intelektuelle Faulheit. Allem Anschein nach glaubt deshalb das Pussy Riot-Kollektiv eine neue Geistlichkeit anbieten und ausartikulieren zu müssen. Eine postmoderne, ironisch-atheistische, mit typisch Russischen Stereotypen verzierte Geistlichkeit. Eine, die in erster Linie geschaffen wurde, um dem Westen ein Gefühl des Zugangs zu russischer Kultur zu geben, ohne die eigene zu vernachlässigen oder gar zu erschüttern. Dieser Zugang, den Pussy Riot zu ermöglichen versucht, ist enorm schmal, äußerst selektiv und gibt dem westlichen Zuschauer ein unnötiges Gefühl der Erhabenheit, das ein echtes Begreifen Russlands fast nichtig macht. Von der absichtlichen Verzerrung der russischen Kultur ganz zu schweigen, die gewollt ist und sogar als Stilmittel in dem sogenannten künstlerischen Schaffen dient.
Die "Pussy Riot Church", so lautet der Vorschlag, soll als eine spirituell-reaktionäre Alternative dienen. In dem Ritual von Marija Aljochinas "Punk-Manifesto" am Donnerstag dauerte es nicht lange, um die Besucher ergänzend zu verpflichten. Das geschah, indem das Publikum einer kollektiven Taufe unterzogen wurde, ähnlich den Riten der Kirche: Während Aljochina mit dem Rücken zu den Besuchern stand und eine Wasserflasche über ihren eigenen Kopf leerte -sich de facto selbst taufte- machte der Schauspieler Kiryl Masheka insgesamt circa 15 Flaschen hintereinander auf und goss diese nacheinander selbstgefällig über die versammelten Gäste aus.
Das Publikum war bunt gemischt. Viele Altergruppen waren vertreten: Alternative Jugendliche aus verschiedenen Subkulturen. Darunter viele Anhänger der Antifa mit Aufnähern, einige der LGBT Community. Eine Frau lief mit einem Hemd mit der Aufschrift "The Future is Female" herum. Viele ältere kulturinteressierte Paare -die Mitte fünfzig und Mitte sechzig zu sein schienen- kamen ebenfalls zur Vorstellung. Während der Vorstellung erklangen Rufe von gebürtigen Russinnen, wie "Ich liebe dich, Россия!", nachdem auf der Bühne ein Zyklus der Russlandkritik von einem Neuen abgelöst wurde. Eine junge Frau sprach nach der Vorstellung davon, dass sie "durchaus wisse, was sie [die Künstler] zu transportieren versucht haben, aber die Umsetzung wäre zu gezwungen gewesen." Inwieweit diese Empfindung stellvertretend für die meisten Besucher war, ist fraglich, da nach jeder kurzen Pointe -als Beispiel der Ausruf der Performer "Putin pisst sich ein"- das Publikum bestätigend und zustimmend klatschte.
Am Ende des Konzerts postuliert Aljochina, dass ihre "Riot Days", zu Deutsch: "Tage des Aufstands", allen politischen Gefangenen gewidmet sei. Vorallem sprach sie von der "ukrainischen Revolution", als einem positiven Symptom der Kräfte, denen sie sich selbst so energisch verschrieben hat. Die traurige Ironie -die vor lauter Wirklichkeitskonstruktion verloren geht- ist, dass einige der Kräfte, die sie mit ihrem revolutionärem "Punk-Manifesto" scheinbar so bemängelt und bekämpft, der Ukraine verhalfen in die Misere zu gelangen, in der sie sich jetzt zweifelsohne befindet: Der zuvor erwähnte Nationalismus und Rassismus.
Das ist aber genau die Branche, in der Pussy Riot als Kollektiv Markanteile zu ergattern versucht: Wirklichkeitskonstruktion. "Create reality" war einer der gebeamten Slogans, die das Anliegen der Frauen an dem Abend illustrieren sollten.