"Der Drohne gerade noch entkommen" – Wie Zivilisten bei Krasnoarmeisk überleben

Andrei Lyssenko, ein Volontär aus Donezk, bringt humanitäre Hilfe in die "heißesten" Gebiete der Donezker Volksrepublik und kommt als einer der Ersten in befreite Städte und Dörfer. Er wurde mehrmals von Drohnen angegriffen, kommt aber immer wieder zu jenen, die sich in Kellern verstecken.

Von Maria Marikjan

"Immer schwieriger, durchzukommen"

Am frühen Morgen beladen Volontäre der Stiftung "Byt Dobru" (Gutes kommt) das Auto von Andrei Lyssenko mit humanitärer Hilfe. Sie erklären:

"Gries, Konserven, Wurst, Süßigkeiten … Kurz, Lebensmittel des täglichen Bedarfs sammeln wir im Voraus. Und ganz unbedingt – Wasser."

Lyssenko liest die Berichte über Angriffe entlang der Route zu einer der Siedlungen am Frontabschnitt Krasnoarmeisk durch und gibt das Kommando:

"Bisher ist es ruhig, also läuft alles nach Plan. Los!"

Ein langer Weg steht bevor – je näher der Zielort ist, desto schlechter sind die Straßen. Lyssenko manövriert geschickt zwischen den Schlaglöchern. Eine doppelläufige Schrotflinte liegt griffbereit. Er sagt:

"Zuvor habe ich ein Leschi-Luftgewehr mitgenommen, bis ich einen Waffenschein erhalten habe. Heutzutage sind Drohnen das größte Problem. Eine Jagdschrotflinte verschießt eine Schrapnell-Wolke, die Angriffsfläche ist größer. Daher ist die Flinte effektiver. Sie hat mich schon oft gerettet."

Daneben sind ein Drohnendetektor und ein Abfangsystem für Videosignale angebracht. Sobald eine Drohne heranfliegt, zeigt der Bildschirm, auf welchem Kurs sie fliegt. Doch all das ist kein Allheilmittel – kommt eine Drohne in Sichtweite, halten die Volontäre an, verlassen das Auto und suchen nach Deckung. Lyssenko berichtet:

"Es gab so Einiges. Einmal brachten wir Hilfe nach Gorlowka, und uns verfolgte eine Drohne. Wir bogen in einen Wald ab und liefen zu den Häusern. Mir gelang es, sie zu treffen – sie explodierte in der Luft. Wir konnten uns gerade noch verteidigen. Einmal schoss ich daneben – die Drohne traf das Auto zehn Meter von mir entfernt. Was den Abschnitt angeht, wo wir arbeiten, ist die Drohnenaktivität hier unterschiedlich. Manchmal ist es schwieriger, in Siedlungen und Städte durchzubrechen, in denen wir bereits waren. Unsere Verteidiger rücken vor, also kommt der Widerstand vom Himmel. Und wir halten die Augen offen."

Wir fahren an einem bis auf die Grundmauern zerstörten Dorf vorbei. Am Straßenrand stehen verbrannte Autowracks, keine Menschenseele ist zu sehen. Neben einem Keller sehen wir Hunde und Katzen. Wir halten an und rufen, ob jemand da ist. Aus der Deckung kommt eine ältere Frau und grüßt uns mit einem Handzeichen – wir sind an der richtigen Adresse. Wir laden die Kisten schnell ab. Antonina Iwanowna und Natalja Nikolajewna laden die seltenen Gäste in ihre Notunterkunft ein.

"Hier ist unser Haus"

Natalja Nikolajewna sagt:

"Mäuse, Ratten … Natürlich gibt es keine Hygiene. Man hat uns eine Evakuierung vorgeschlagen, doch ich mache hier keinen Schritt weg."

Natalja Nikolajewna lebt hier seit über 30 Jahren. Von ihrem Haus ist nach dem Beschuss nichts übrig, sie wohnt seit eineinhalb Jahren in einem Keller. Einst arbeitete sie als Melkerin auf einer Farm, nach einer Umschulung fand sie eine Stelle als Krankenschwester. Fertigkeiten der Ersten Hilfe erwiesen sich jetzt als sehr nützlich.

Antonina Iwanowna erinnert sich unter Tränen:

"An unserem Keller kamen drei Jungs vorbei, alle drei mit gebrochenen Armen. Natascha stoppte sofort die Blutung. Wir kümmerten uns um sie zwei Tage lang. Sobald sie zu sich kamen, kam ihr Appetit wieder. Sie löffelten mit solchem Vergnügen an unserem Rassolnik."

Über die Frontlage erfahren die Frauen aus dem Radio. Natalja Nikolajewna fügt hinzu:

"Als wir hörten, was im Gebiet Kursk geschah, blieb uns der Atem stehen. Auch wenn meine Kinder nicht im Grenzgebiet leben, machte ich mir dennoch große Sorgen. Die Ukrainer haben vorgeschlagen, uns in westliche Regionen zu evakuieren. Wir lehnten entschieden ab, besonders nach allem, was wir erlebt hatten."

Natalja Nikolajewna wischt sich die Tränen weg. Auf die Frage, wie sich das ukrainische Militär zu ihnen verhielt, antwortet sie knapp:

"Sie hielten uns in Angst."

Antonina Iwanowna fügt hinzu:

"Hier ist unser Haus, hier sind unsere Eltern begraben. Wohin sollen wir fliehen? Soldaten helfen uns mit Essen und Wasser, teilen ihre Rationen mit uns, wofür wir ihnen sehr dankbar sind. Und insgesamt ist es ruhiger geworden, ab und zu gehen wir hinaus an die frische Luft …"

Wir machen uns für den Rückweg bereit – man sollte sich beeilen, solange das Wetter nicht aufgeheitert ist. Die Rentnerinnen umarmen zum Abschied die Volontäre: "Geht mit Gott!" Auf einen weiteren Vorschlag, sich evakuieren zu lassen, schütteln sie ablehnend den Kopf.

Andrei seufzt:

"Leider ist das kein Einzelfall. Menschen, vor allem ältere, halten sich daran fest, was übrig ist. Manchmal sogar an eine Erinnerung. Natürlich empfangen und verabschieden sie uns mit Umarmungen und Tränen. Sie danken uns dafür, dass wir sie nicht vergessen haben. Dennoch erklären wir: Richtiger wäre es jetzt, zu einem sicheren Ort, in Zeitunterkünfte, wegzufahren und gleichzeitig alle notwendigen Dokumente zu erhalten."

Probleme mit Wasser

Die Liste von Siedlungen, die Andrei besucht hat, ist beträchtlich: Er hilft seit den ersten Tagen des Kriegs im Donbass. Zur Freiwilligenarbeit wurde er unter anderem durch einen tragischen Fall angeregt: Im Jahr 2014 starb in seinen Händen ein kleines Mädchen. Bei einem Beschuss war er in der Nähe und versuchte, sie zu retten.

Zuvor hatte Lyssenko bei der Eisenbahn an einer leitenden Stelle gearbeitet. Er hat auch Erfahrung bei der Wasserversorgung. All das half, ein Team von Freiwilligen zu organisieren und sich auf die Lösung der akutesten Probleme in seiner Heimatstadt zu konzentrieren.

Eines der heikelsten Probleme ist der Wassermangel. Wasser wird unregelmäßig zugeleitet, in vielen Wohnblöcken und Einfamilienhäusern gibt es gar keins. Menschen installieren Wasserspeicher und sammeln technisches Wasser, das in Tankwagen in die Stadt gebracht wird. Vor Kurzem begannen die Bewohner von einem der Stadtbezirke mit Unterstützung von Volontären, Wasser aus einer Quelle zu schöpfen, und bauen sie aus.

Mehrere Wochen lang befasste sich Andrei nach jeder humanitären Fahrt mit der Installation eines Behälters für diese Quelle. Dank Spenden wurde die notwendige Summe gesammelt und ein Wasserversorgungspunkt geöffnet. Der Volontär erklärt:

"Das Bohrloch ist einhundert Meter tief. Es wurde von Spezialisten gebohrt. Ein Fünf-Tonnen-Fass wird innerhalb von zweieinhalb Stunden gefüllt. Abends ist es schon leer."

Der Tank steht in einer geschlossenen Box mit Wärmedichtung und ist vor Kälte geschützt. Im Raum stehen auch zusätzliche Wärmespender und ein Generator. Andrei sagt:

"Es gibt noch andere Ideen zu den Wasserquellen. Man sollte berücksichtigen, dass Wasser am Tag der Zuleitung nicht bei jedem den Wasserhahn erreicht. Bei jenen, die über dem dritten Stock wohnen, ist der Druck nicht hoch genug. Doch wenn der Druck erhöht wird, platzen die Rohre. Wann eine zentralisierte Wasserversorgung beginnt, ist unklar. Von den Donezkern gibt es viele Anträge."

Lyssenko erhält ständig Anrufe und Meldungen am Telefon, selbst wenn er im frontnahen Gebiet ist. Die Arbeit läuft rund um die Uhr. Volontäre aus seinem Team bereiten indessen Pakete für eine weitere Siedlung vor. Sie machen kein Hehl daraus, dass es schwer mit anzusehen ist, unter welchen Bedingungen die Menschen dort leben. Doch sie verstehen, wie sehr ihre Hilfe erwartet wird.

Trotz der hohen Risiken bereiten sie sich auf eine weitere Fahrt vor. Sie verstehen: Selbst wenn die Waffen zum Schweigen kommen, werden die Volontäre nicht weniger Arbeit haben.

Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei RIA Nowosti am 8. Dezember.

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