Asozialer Gesetzentwurf: Jobcenter sollen psychisch Kranke "begutachten" und Hungerstrafen verhängen

Härter als Hartz IV: Die neue "Grundsicherung" soll Jobcenter zu grausamen Machtinstrumenten machen. Sie sollen psychisch Kranke und Mieter drangsalieren, Eltern kleiner Kinder in Vollzeitjobs zwingen, Selbstständigen die Hilfe verweigern und Bedürftige mit totalem Mittelentzug bestrafen.

Von Susan Bonath

Nach monatelangen Hetzkampagnen gegen Bürgergeldbezieher und -aufstocker ist nun klar: Der Regierungsentwurf für eine "Neue Grundsicherung" ist weitaus härter als bisher kommuniziert. Er sieht Instrumente zur Drangsalierung Bedürftiger vor, die man nur asozial und grausam nennen kann. Diese gehen so weit, dass einfache Sachbearbeiter in Jobcentern psychisch Kranke "mustern" sollen. Sie sollen überdies bedürftige Mieter in Haftung für hohe Mieten nehmen und sogar Eltern kleiner Kinder in Vollzeitjobs jedweder Art zwingen können. Und wer nicht pariert oder mithalten kann, soll gnadenlos verhungern.

Sollte das Gesetz wie geplant Mitte kommenden Jahres in Kraft treten, dürfte dies gravierende Folgen für die ganze Gesellschaft haben: Die Verelendung, Obdachlosigkeit und damit einhergehende Kriminalität wird ein bisher unbekanntes Ausmaß erreichen – man blicke auf die Slums in den USA – und der Druck auf Arbeitsplatzbesitzer, unmenschliche Bedingungen und Minilöhne zu akzeptieren, auf die Spitze getrieben werden. So macht man ein Industrieland "erfolgreich" zu einem Mekka für Ausbeuter.

Hungersanktionen und Entrechtung

Den geleakten Gesetzentwurf der Grausamkeiten gegen Bedürftige hatte zuerst das Portal "Frag den Staat" veröffentlicht. Das bürgerlich-liberale Blatt Die Zeit berichtete darüber hinter einer Bezahlschranke. Der Inhalt hat es in sich: Während die Bundesregierung Hunderte Milliarden Euro für Deutschlands Aufrüstung in die Kassen von Großkonzernen pumpt, die mit Neonazis kollaborierende, korrupte ukrainische Regierung mit gigantischen Summen sponsert und israelische Faschisten mit Millionen beglückt, plant sie Schikanen gegen die Ärmsten, die die mit dem gegenwärtigen Bürgergeld leicht abgemilderten Hartz-IV-Repressionen weit übertreffen.

Im Gesetzentwurf wird zwar von Sanktionen von 30 Prozent schwadroniert – die Maximalhöhe, die das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil von 2019 vorgegeben hat. Mit einem Trick wird das nun aber durchweg unterlaufen: Wer eine "zumutbare" Arbeit ablehnt – was zumutbar sein soll, entscheidet allein das Jobcenter – soll danach künftig als nicht bedürftig gelten, sodass Behörden die gesamte Hilfe einstellen dürfen. Auch wer mehr als einen Termin beim Amt versäumt (oder zu spät kommt), den soll das Amt per bloßem Verwaltungsakt als "nicht erreichbar" einstufen und umgehend auf null setzen.

Das große Problem im Sozialrecht ist seit der Einführung von Hartz IV vor 21 Jahren die Aberkennung des Rechts auf aufschiebende Wirkung. Das bedeutet, dass Betroffene selbst bei gravierenden Rechtsbedenken durch Widersprüche oder Klagen nicht bewirken können, dass die Kürzung oder Streichung der Existenzmittel zunächst ausgesetzt wird. Die Strafe bleibt also so lange aktiv, bis Rechtsabteilungen oder Gerichte darüber entscheiden – und das kann zuweilen Jahre dauern.

Pflicht, sich "maximal" ausbeuten zu lassen

Ungeachtet des viel beklagten Fachkräftemangels will die Regierung die Hilfen für berufliche Qualifizierungen radikal zusammenstreichen. Die Vermittlung in Arbeit – und zwar unabhängig von Ausbildung, Lohn oder Bedingungen – soll stets Vorrang haben. Überdies betont der Entwurf eine "Pflicht", die eigene "Arbeitskraft maximal einzusetzen" - Lohndrücker und Ausbeuter aller Art dürften sich freuen.

Der Entwurf schreibt damit eine "Pflicht zur Vollzeitarbeit" fest, dies nahezu unabhängig von persönlichen Umständen und Qualifikationen. Sogar Eltern oder Alleinerziehende müssten für eine 40-Stunden-Woche parat stehen, sobald das jüngste Kind ein Jahr alt wird und irgendeine Betreuung verfügbar ist. Weigern sie sich, kann das Jobcenter auch sie auf null setzen, also samt Nachwuchs ins Elend treiben.

Bedürftige sollen selbst Miethaie bekämpfen

Die soziale Entrechtung von Bedürftigen geht noch weiter. Sie sollen jegliche Ansprüche auf Beratungs- oder Schlichtungsgespräche, etwa im Fall von harten Sanktionen, verlieren. Vor der Bedürftigkeit etwaige angesparte Rücklagen müssen je nach Alter künftig nahezu vollständig aufgebraucht werden, bevor überhaupt Hilfe bewilligt wird. Ohne die bereits gängige Rundumüberwachung und Durchleuchtung Betroffener weiter auf die Spitze zu treiben, dürfte das nicht gelingen.

Auch Karenzzeiten für Mieten, die über den kommunal – in der Regel ohnehin viel zu niedrig – festgelegten liegen, werden gestrichen. Das bedeutet: Wenn ein alleinstehender Bedürftiger 700 Euro für eine Einraumwohnung zahlt, die Obergrenze der Kommune für Bezieher von Grundsicherung oder Sozialhilfe aber nur 500 Euro beträgt, muss er von Anfang an 200 Euro aus seinem Regelsatz von 563 Euro dafür zusätzlich abknapsen. Bisher wird dieser dann aufgefordert, innerhalb eines halben Jahres die "Miete zu senken" – also umzuziehen.

Und es kommt noch härter: Rutscht jemand in die Grundsicherung, der in einer Wohnung lebt, die das Jobcenter überdies als zu teuer für örtliche Verhältnisse einstuft – was in Zeiten der wachsenden Wohnungsnot nicht selten sein dürfte – soll es Betroffene dazu nötigen, ihren Vermieter selbst dafür zu rügen. Tun sie das nicht, kann das Jobcenter die Hilfe für Unterkunftskosten ablehnen. Statt selbst Miethaie zu verfolgen, lässt der Staat nun also künftig die Ärmsten für Wucherpreise büßen.

Aufstockende Selbstständige sollen hinschmeißen

Ein besonders merkwürdiger Auswuchs im Entwurf richtet sich gegen Selbstständige. Viele Kleinunternehmer und Freiberufler verdienen in Deutschland zumindest zeitweise nicht genug, um sämtliche damit verbundene Ausgaben, darunter Krankenversicherung und Miete, zu decken und noch überleben zu können. Die genaue Zahl dieser Aufstocker ist unbekannt, da die Arbeitsagenturen nicht zwischen lohnabhängiger und selbstständiger Beschäftigung unterscheiden. Bekannt ist, dass knapp eine Million Bürgergeldbezieher berufstätig sind und – oft mit nur geringen Beträgen – aufstocken müssen.

Ab kommendem Jahr nun müssen sich Selbstständige, die länger als ein Jahr aufstocken, darauf einstellen, ihre Arbeit aufzugeben. Das Jobcenter kann sie dazu zwingen, indem es einfach die Zusatzhilfe einstellt, etwa die Finanzierung der Krankenversicherung mit einem Minimalbetrag von gut 100 Euro. Anders ausgedrückt: Längere Zeit aufstockende Freiberufler sollen komplett hinschmeißen, sich wieder in die totale Abhängigkeit von der Behörde begeben, die sie dann in irgendwelche Hungerlohnjobs "vermittelt".

Sachbearbeiter sollen "Psychiater" spielen

Ein Vorstoß im Regierungsentwurf hat wohl die Prädikate "asozial" und "grausam" ganz besonders verdient: Einfache Jobcenter-Sachbearbeiter sollen künftig Bedürftige mit psychischen Erkrankungen und Problemen selbst begutachten und "herausfinden", ob diese wirklich krank seien – dies ohne irgendeine Qualifikation. Dazu sollen sie die Betroffenen regelmäßig vorladen. Eine solche Willkürmaßnahme, die ärztliche Kompetenz außer Kraft setzt und Kranke kriminalisiert, erniedrigt, entrechtet und mit dem Entzug von Existenzmitteln bedroht, erinnert tatsächlich an dunkelste Kapitel deutscher Geschichte.

Dabei stellte die Denkfabrik der Bundesagentur für Arbeit (BA), das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), bereits vor fünf Jahren fest, dass gut ein Drittel aller Bedürftigen jedes Jahr eine psychiatrische Diagnose erhält. Jobcenter-Beschäftigte schätzten die Zahl psychisch Erkrankter zuvor sogar auf bis zu zwei Drittel aller Erwachsenen in diesem System.

Freibrief für Willkür und Grausamkeit

Schon jetzt ist es Glücksache für Betroffene, ob sie an wohlwollende Sachbearbeiter gelangen oder von missgünstigen dauerdrangsaliert werden. Das ist bekannt, und Letzteres kann Betroffene in Depressionen und in den Ruin treiben. Das Bürgergeld hat das immerhin ein wenig abgeschwächt.

Doch der jetzige Gesetzentwurf ist härter als alles bisher Dagewesene. Die Regierung hebt damit das Grundrecht auf Menschenwürde vollständig auf, knüpft das Existenzrecht von Menschen allein an ihre Nützlichkeit fürs Kapital – und kalkuliert es sogar ein, Kranke in den Hunger- oder Kältetod zu treiben.

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