Kriegsertüchtigung: Berlin will Krankenhäuser auf "Verteidigungsfall" vorbereiten

Seit etlichen Jahren wird von zivilen Bundesbehörden und der Bundeswehr die Notwendigkeit einer "zivil-militärischen Zusammenarbeit" propagiert. Nun hat das Land Berlin den "Rahmenplan Zivile Verteidigung Krankenhäuser" vorgestellt. Die zivilen Kliniken sollen kriegstüchtig werden.

Zuerst hatte der Tagesspiegel am Mittwoch berichtet, seit gestern liegt eine offizielle Pressemitteilung zum Thema vor: Berlin will nicht nur für Katastrophenfälle und Notlagen die medizinische Versorgung sicherstellen, sondern ausdrücklich auch im sogenannten Verteidigungsfall. Der Berliner Senat und die Krankenhäuser des Landes bereiten sich explizit auf ein solches Szenario vor. Die Einzelheiten der diesbezüglichen Planungen bleiben aus naheliegenden Gründen geheim, doch die Grundzüge einer Ertüchtigung der Berliner Krankenhäuser für den Kriegsfall sind der Presse bekannt.

Neue zentrale Strukturen

Als vorrangig erachtet werden zentrale Befehls- und Kommandostrukturen, die auf Landesebene als Gegenstücke die Anweisungen von Bundesregierung und Senat empfangen können. So soll ein zentraler Krisenstab eingerichtet werden, dem dann viele Kliniken unterstellt wären. Um die Instruktionen in den einzelnen Krankenhäusern umzusetzen, soll in jeder Klinik eine Einsatzleitung gebildet und geschult werden. Im Falle eines Falles müsste dieses Leitungsgremium dann sofort einsatzbereit sein. Wie der Tagesspiegel schreibt, würden – "branchenintern" – Vertreter der Gesundheitsverwaltung und der in Berlin ansässigen Krankenhauskonzerne, aber auch die konfessionsgebundenen Kliniken ein solches Konzept für "praktikabel" erachten.

Um das Klinikpersonal auf den Ernstfall vorzubereiten, seien regelmäßig entsprechende Veranstaltungen erforderlich – zur "Sensibilisierung". Dabei gilt es offenbar als Vorzug der Berliner Krankenhäuser, im Laufe des Krieges in der Ukraine bereits viele Patienten von dort behandelt zu haben. Ärzte und Pflegepersonal seien "mit kriegstypischen Verletzungen vertrauter als noch vor wenigen Jahren", schreibt die Zeitung. Das medizinische Personal verfüge mittlerweile über Erfahrungen mit "Wunden durch Explosionen, Großkaliber und Bombensplitter". Insbesondere "in der Charité, dem Unfall- sowie dem Bundeswehrkrankenhaus" seien solche Verletzungen des Öfteren behandelt worden.

"Rekrutierung"

Nun sollen Krankenpfleger, Sanitäter und Ärzte ermittelt werden, die sich bereits im Ruhestand befinden oder in andere Berufsfelder gewechselt sind, um sie im Not-, aber eben auch Kriegsfall kontaktieren und einsetzen zu können. Und was die eingangs erwähnte "zivil-militärische Zusammenarbeit" betrifft, legt der Tagesspiegel eben eine solche Kooperation auch in Berlin nahe:

"Unbestätigten Angaben zufolge fragte der Senat die Bundeswehr auch nach einem Überblick über in Berlin lebende Reservisten, die im Gesundheitswesen arbeiten. Daten dazu sind derzeit jedoch wohl nicht verfügbar."

Zwar verfügen Kliniken auch jetzt schon über Notstromaggregate, doch die Anforderungen an solche Installationen für Notfälle sollen nun erweitert werden. Künftig müssen Krankenhäuser nicht nur für ihre eigene Stromversorgung, sondern auch für ihren Fuhrpark Treibstoffreserven anlegen, die für bis zu 72 Stunden ausreichen sollen. Darüber hinaus ist die Einrichtung "autarker" Kommunikationsnetze, worunter offenbar ein eigenes Digitalfunksystem zu verstehen ist, geplant. Zudem sollen sich die Krankenhäuser auf enge Zusammenarbeit mit Polizei und Feldjägern der Bundeswehr einstellen.

Am Donnerstag haben Berlins Gesundheitssenatorin Ina Czyborra (SPD) und Marc Schreiner, der Geschäftsführer der Berliner Krankenhausgesellschaft, den gerade verabschiedeten Rahmenplan gemeinsam vorgestellt. Bereits vor zwei Jahren hatte in der Berliner Gesundheitsverwaltung eine Arbeitsgruppe das Handlungskonzept für den "NATO-Bündnisfall" erarbeitet. Es ist bekannt, dass ähnliche Überlegungen sowohl im Kanzleramt als auch in der Bundeswehr angestellt werden.

Umsetzung in der Praxis – "Corona" als Testlauf

Für den Fall eines Krieges rechnen laut Pressebericht ungenannt bleibende "Experten" mit erheblichen Sabotageaktionen, von denen auch die zivile Infrastruktur betroffen sein dürfte. Zu den Schwierigkeiten, mit denen zivile Stellen und Militär im Kriegsfalle konfrontiert wären, würde der Transport tausender NATO-Soldaten quer durch Deutschland zählen. Das Chaos würde noch dadurch verstärkt, dass absehbar eine große Zahl verwundeter Soldaten und verletzter Zivilisten in den Berliner Krankenhäusern behandelt werden müsste.

Um das befürchtete Durcheinander einzugrenzen, soll sowohl im Katastrophen- als auch im Kriegsfall der Berliner Senat die Versorgung koordinieren – vor allem mit Blick auf die anzunehmende große Zahl von Verletzten. Wohl nicht zufällig will die öffentliche Verwaltung dabei auf Erfahrungen zurückgreifen, die mit den staatlich verordneten Corona-Maßnahmen gesammelt wurden. In ähnlicher Weise sollen auch im Kriegsfall die Patienten in verschiedene Kategorien eingeteilt und je nach Schweregrad auf bestimmte Krankenhäuser verteilt werden. Kliniken der Stufe "Rot" bleiben Schwerstverletzten vorbehalten. Vorgesehen sind zwei weitere Abstufungen für Notfallpatienten in den Farben "Gelb" und "Grün". Darüber hinaus sollen Krankenhäuser außerhalb der Notfallmedizin einer Kategorie "Blau" zugeordnet werden, die beispielsweise für Reha-Maßnahmen zuständig wären.

Für die Steuerung des Klinikbetriebs soll auch im Kriegsfall die derzeit verwendete zivile Software "Ivena" weiter in Gebrauch bleiben. Seit vielen Jahren wird dieses System von Feuerwehren und Rettungsdiensten genutzt. Das Programm erfasst Bettenkapazitäten, verfügbare Medikamente und einsatzbereites Personal. Notärzte und Sanitäter geben Patientendaten und erste Diagnosen vor Ort in das vernetzte System ein, wodurch Logistik und Therapie koordiniert werden können. Ob sich das in Friedenszeiten erprobte System auch unter Kriegsbedingungen einsetzen ließe, gerade wenn konventionelle Telekommunikation und Internet unterbrochen sind, scheinen die Planer nicht bedacht zu haben – auch wenn sie ein eigenes Digitalfunknetz für den Kriegsfall schaffen wollen.

Begründung für den "Rahmenplan": Russland

Berlin ist das erste Bundesland, das zumindest auf dem Papier ein Konzept für eine "krisenresiliente Krankenhausversorgung" erstellt hat, wie die anfangs erwähnte Pressemitteilung feststellt. Dabei geht es um "Arbeitsaufträge" für eine Krisen- und Notfallversorgung, die – so das dazugehörige "Faktenblatt" – ausdrücklich in den aktuellen außen- und sicherheitspolitischen Kontext gestellt werden.

Dabei liegen die ersten Planungsschritte in dieser Richtung mindestens zehn Jahre zurück. Als Begründung für die Einbindung der zivilen Krankenhäuser in die Planungen für den Kriegsfall wird beispielsweise angeführt:

"Als es 2014 zur Annektierung der Halbinsel Krim durch Russland kam, wurde auf Bundesebene politisch entschieden, die Zivile Verteidigung in Deutschland wiederaufzubauen."

Außerdem behauptet das "Faktenblatt":

"Spätestens seit Beginn des Ukraine-Krieges 2022 hat sich die Gefährdungslage Deutschlands massiv verändert."

In der Perspektive des Berliner Senats gerät dabei nahezu jede potenzielle kleinere oder größere Gefahr zu einem Sicherheitsproblem, das sich zu einer "Krisen- und Bedrohungslage" für die gesamte Gesellschaft entwickeln könnte:

"Die aktuell zu berücksichtigenden Krisen- und Bedrohungslagen sind sehr komplex und vielfältig – sie reichen von Pandemien, Wetterkatastrophen wie z.B. Hitzewellen, Hochwasser oder Überschwemmungen, aber auch Bedrohungen durch Cyber- und Terrorangriffe, Angriffen auf kritische Infrastruktur, hybriden Bedrohungslagen bis hin zu möglichen militärischen Konflikten, z.B. durch Auslösen des NATO-Bündnisfalls."

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