Wegen Kritik an der Diskriminierung "Ungeimpfter": Grüne werfen Streeck Holocaust-Relativierung vor

Während der Corona-Jahre hatte sich der Bonner Virologe Hendrik Streeck als moderater Kritiker der staatlichen Maßnahmen einen Namen gemacht. Der Mediziner bleibt bei seinen Positionen – und muss sich nun vorwerfen lassen, den Holocaust zu verharmlosen.

Der 47-jährige Medizinprofessor Hendrik Streeck hatte vor wenigen Tagen der Zeitschrift Focus ein Interview gegeben. Wie schon zu Zeiten der Corona-Politik äußerte sich Streeck darin verhalten kritisch zu den Maßnahmen selbst, aber auch über die Folgen der Corona-Jahre für die Gesellschaft.

Streeck möchte sozusagen beim nächsten Mal alles besser machen. Zudem hat der Mediziner politische Ambitionen und will bei der nächsten Bundestagswahl für die CDU kandidieren.

Nun werfen ihm Politiker von Bündnis 90/Die Grünen vor, mit seinen Interview-Aussagen den Holocaust zu verharmlosen. Die Jüdische Allgemeine titelt: "Virologe Streeck vergleicht Corona-Ungeimpfte mit Juden". Die bayerische Bundestagsabgeordnete Marlene Schöneberger schrieb auf X, Streeck klinge "nach verschwörungstheoretischem Milieu" und seine Aussagen seien "unsäglich, Shoa relativierend und ein Tabubruch".

Auch Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt ließ per X wissen, dass sie einem anderen Posting zustimme, in dem behauptet wird, Streeck habe die Lage von "Ungeimpften" mit der "Situation der Juden während der Pest" verglichen.

Schweres Geschütz gegen Streeck fuhr auch der Bundestagsabgeordnete Janosch Dahmen auf, ebenfalls Mitglied der Grünen und Mediziner. Er schrieb auf X mit Bezug auf den Artikel der Jüdischen Allgemeinen:

"Pandemie-Schutzmaßnahmen für Ungeimpfte mit der Verfolgung jüdischer Menschen zu vergleichen, verharmlost Antisemitismus & die Schrecken der Geschichte. Millionen verdanken der Corona-Impfung ihr Leben. Solche Vergleiche sind geschichtsvergessen & unwürdig."

Schließlich warf Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, dem Bonner Professor vor, mit seiner Kritik am staatlichen Handeln anschlussfähig zu sein für Positionen, die von Notz den sogenannten "CoronaGegnern" und"Schwurblern" zuordnete:

"Das Problem des Vergleichs von #Streeck ist, dass er an die Narrative der 'CoronaGegner', Schwurbler, Verschwörungstheoretiker und Reichsbürger anknüpft, die seit Jahren mit angesteckten Judensternen und geschichtsvergessenen Vergleichen gegen die Schutzmaßnahmen polemisieren."

Im Gespräch mit dem Focus hatte der Bonner Professor die extreme gesellschaftliche Spaltung beklagt, die seit Corona festzustellen sei. Man habe es mit einer der "schwerwiegendsten Krisen seit dem Zweiten Weltkrieg" zu tun. Nun müsse wieder Vertrauen geschaffen und die Spaltung überwunden werden. Streeck geht es darum, Schlüsse für das Handeln in der Zukunft zu ziehen, also "wie wir es als Gesellschaft in künftigen Krisen anders und besser machen können".

Dabei stellt er weder die Pandemie noch die staatlichen Maßnahmen als solche in Frage. So fordert er beispielsweise in Reaktion auf die freigeklagten/freigegebenen RKI-Protokolle, das Robert Koch-Institut zu reformieren – man brauche ein "durchsetzungsfähiges und von politischen Weisungen unabhängiges RKI". Das Institut müsse "eigene Studien durchführen können, es muss unabhängig vom Bundesgesundheitsministerium arbeiten".

Ein Fehler sei es gewesen, den Schutz vor Infektionen über alles zu stellen. Der behauptete Schutz durch die "Impfungen" sei "aber nicht gut durch klinische Studien belegt" gewesen. Man habe "also etwas kommuniziert, was so am Ende nicht haltbar war". Milde Kritik äußert Streeck auch an Gesundheitsminister Karl Lauterbach: "Ja, auch die Kommunikation, dass die Impfung 'nebenwirkungsfrei' sei, war wirklich nicht gut."

Und schließlich sei der gesellschaftliche Umgang mit Kritikern zu kritisieren:

"Wir, als Gesellschaft, sind mit Menschen, die sich nicht impfen lassen wollten, nicht gut umgegangen. Man hat sie zum Teil ausgegrenzt, diffamiert, diskreditiert. Man hat ihnen die Schuld an dieser Pandemie gegeben. Das war einfach falsch. Da ist man mit einem Anteil der Bevölkerung, rund 20 Prozent, nicht gut umgegangen."

Der Medizinprofessor zog dann sogar einen historischen Vergleich:

"Es wurden Schuldige gesucht, wie es bei der Pest mit den Juden gemacht wurde und bei HIV mit den Homosexuellen. Wir haben aus unserer Geschichte nicht gelernt. Der wahre Feind ist doch das Virus, nicht der Mensch."

Allerdings verlagerte Streeck die tatsächliche Ausgrenzung durch die staatlichen Maßnahmen dann in die Sphäre der bloß subjektiven Wahrnehmung: "Viele Menschen fühlten sich nicht mehr als Teil des gesellschaftlichen Lebens." Der Virologe ging dann noch auf weitere Aspekte ein, die seiner Meinung nach in die Nachbereitung der Maßnahmen einzugehen hätten.

Streecks einerseits mutige, andererseits vorsichtige und moderate Kritik an den Maßnahmen und an der faktischen Diskriminierung von "Ungeimpften" veranlasste den Spiegel – wie schon die Jüdische Allgemeine – zu der verkürzten Aussage "Virologe Streeck vergleicht Corona-Ungeimpfte mit Juden". Darauf verteidigte sich Streeck auf X. Gerade die Deutschen müssten aus der Geschichte lernen. Die Stilisierung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen zu Schuldigen und deren Ausgrenzung müsse der Vergangenheit angehören.

Streeck verwahrte sich dagegen, das "Leid der Ausgrenzung" zu vergleichen, und unterstrich, ihm gehe es um den "Mechanismus, mit welchem Menschen zu Feindbildern gemacht werden". Als Gesellschaft müsse man "auf solche Mechanismen aufmerksam machen", und zwar, wie er betonte, "bevor sie vergleichbar werden – nicht erst in der traurigen Rückschau".

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