Ob Großkonzerte oder bedeutsame Sportwettkämpfe, bei vielen Veranstaltungen werden die Zuschauer nur noch mit Smartphone-Ticket-Apps eingelassen. Die digitale Personalisierung von Eintrittskarten führe zu problematischen Datenflüssen und Kontrollmöglichkeiten, erklärte Wirtschaftsjournalist Norbert Häring Ende April auf seinem Blog.
Immer mehr Veranstalter böten ihre Tickets ausschließlich über bestimmte digitale Ticketvermarkter an. In solchen Fällen komme man nur mit der App dieses einen Ticketvermarkters auf das Konzert oder auf die Sportveranstaltung. Als Beispiel zitierte Häring aus den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Tour von Nick Cave & The Bad Seeds, für die man nur beim Ticketverkäufer Eventim Online-Tickets kaufen kann:
"Die digitalen Tickets werden vor dem Konzert in der kostenlosen EVENTIM.App zur Verfügung gestellt. Sie müssen die EVENTIM.App vor dem Konzert auf Ihr mobiles Endgerät herunterladen und installieren. Die digitalen Tickets können nur in der EVENTIM.App angezeigt werden." Menschen ohne Smartphone würden demnach auch von den Konzerten von Troye Sivan in Berlin, Metallica in München, Twenty One Pilots in Hamburg, Dua Lipa in Berlin und Wallows in Köln ausgeschlossen, um ein paar weitere Beispiele zu nennen. Neben Eventim vermarkten weitere Ticketanbieter für bestimmte Veranstalter exklusiv die Online-Eintrittskarten per Smartphone-App.
So erhalte man Zutritt zur Red-Bull-Arena in Leipzig nur mit einer RBL-Ticket-App. Laut Ticket-Webseite des FC Bayern München kommt man ohne Smartphone nicht mehr zu den Basketball-Heimspielen des bayerischen Sportklubs. An der Uni Köln gelangten Erstsemesterstudenten mittlerweile ohne Smartphone nicht mehr in die Universitätsbibliothek. Das Studententicket für den öffentlichen Nahverkehr könne man in vielen deutschen Universitätsstädten nur noch als Smartphone-App erhalten. Beim Paketdienst DHL würden Packstationen so umgerüstet, dass man Pakete ausschließlich mittels Smartphone abholen könne.
Auch in anderen Ländern werde der anonyme Zugang zu Kultur und Sport immer weiter eingeschränkt. In Paris bekomme man als Zuschauer der Tennismeisterschaften "French Open" nur noch per Smartphone-App Einlass. In immer mehr französischen Städten könne man nur mit Smartphone in Parkhäusern parken. Eine ähnliche Entwicklung gebe es bei Parkhäusern in Deutschland.
"Mit immer mehr Tricks und neuen Gemeinheiten", so Häring, zwinge die Deutsche Bahn ihre Kunden zur Nutzung eines Smartphone-Tickets. Seit der Einführung der Zugangskontrollen mittels Smartphone-Impfzertifikat während der Corona-Zeit baue man die digitale Überwachung mit neuer Rechtfertigung weiter aus. Der Journalist schreibt dazu:
"Wie leider zu erwarten und zu befürchten war, werden damit die Kontroll- und Überwachungsmethoden aus der Corona-Zeit mit neuem Zweck und neuer Rechtfertigung auf Dauer gestellt."
Schon im Februar 2021 hatte der Ticketvertreiber Evertim gefordert, "Ungeimpfte" von Veranstaltungen auszuschließen, und zeitgleich entsprechende Digitalwerkzeuge zur Überwachung entwickelt. Dabei sei ein "Smartphone-Zwang" auch bei personalisiertem Ticketverkauf gar nicht nötig, erläutert der Wirtschaftsexperte. Für die aktuelle Rammstein-Tour gebe die MTC-Agentur zwar – auch mit Eventim – personalisierte Tickets in Papierform heraus, mutmaßlich mit QR-Code.
Häring bewertet die Überwachung äußerst kritisch. Die erzwungene Kontrolle beim Zugang zu Veranstaltungen, zu Verkehrsmitteln oder anderen öffentlichen Institutionen führe dazu, dass jeder Mensch sein "persönliches Überwachungsgerät" permanent mit sich führen müsse. Ohne Smartphone-Apps werde er vom öffentlichen Leben ausgeschlossen. Somit handle es sich um totalitäres Überwachungspotenzial. Schließlich könne man unliebsame Personen mit der Technik auch jederzeit aus dem öffentlichen Leben ausschließen. Solchen Menschen würde dann einfach der Zugang zu Transportmitteln und öffentlichen Einrichtungen abgeschaltet. Aktivisten gegen Digitalzwang informieren per Newsletter, wie man sich gegen diese Entwicklung noch wehren könne, und über den Widerstand dagegen. Unter der E-Mail-Adresse frei-statt-smart@posteo.de kann man den Newsletter bestellen.
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