"Wir sind der Bulldozer" - Ex-MI5 Agentin präsentiert neues Whistleblower-Projekt Code Red
In der Berliner c-base präsentierten die ehemalige MI5-Offizierin und Whistleblowerin Annie Machon und der langjährige Datenschutzaktivist Simon Davies ihr neues Projekt Code Red. Mit dem Meta-Netzwerk sollen bestehende Sphären des Widerstandes gegen gesellschaftsfeindliche Regierungspraktiken vernetzt werden. Von Whistleblowern befreite Daten sollen so besser genutzt werden können.
von RT Deutsch-Redakteur Florian Hauschild
Für die Präsentation ihres neuen Whistleblower-Projektes Code Red haben Annie Machon und Simon Davies historisches Terrain gewählt: Die c-base in Berlin, Keimzelle der Hackerszene, Gründungsort der einstigen Demokratie-Hoffnung Piratenpartei und Hauptquatier des Chaos Computer Club. Hier sind schon viele Ideen entstanden, hier trifft sich die digitale Avantgarde.
Der gestrige Abend stand ganz im Zeichen des Themas Whistleblowing, dem Aufdecken gesellschaftsschädigender Akte von Korruption und Unrecht. Spätestens die Enthüllungen von Edward Snowden zur globalen Überwachung bewiesen die gesellschaftliche Bedeutung des organisierten Geheimnisverrates. Seit dem ist eine Debatte darüber entbrannt, wie die Gesellschaft Insider, die sich entscheiden ihr Wissen mit der Öffentlichkeit zu teilen, am besten unterstützen kann.
Annie Machon weiß wovon sie spricht. Von 1991 bis 1997 war sie Offizierin des britischen Inlandsgeheimdienstes MI5 und wurde danach selbst zur Whistleblowerin. Während ihrer Tätigkeit für die Behörde koordinierte sie nicht nur die Unterwanderung politischer Aktivistengruppen, Machon hatte auch direkte Einblicke in völkerrechtswidrige Praktiken der Geheimdienste. Mit ihrem Ausstieg deckte sie unter anderem Mordpläne des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6 aus dem Jahre 1996 an Muammar al-Gaddafi auf.
Simon Davies ist seit über drei Jahrzehnten Datenschutz-Aktivist, schon lange bevor viele überhaupt wussten, was Datenschutz ist und welche Bedeutung dieser im digitalen Zeitalter hat, sagt er. Davies ist auch Initiator des Big Brother Awards, einem Negativpreis, der alljährlich für die schlimmsten Datenschutz-Vergehen an Behörden, Unternehmen, Organisationen und Personen vergeben wird. Gemeinsam, und mit über dreißig weiteren renommierten Mitstreitern wie dem Aktivisten Jacob Appelbaum, dem Snowden-Vorgänger und NSA-Whistleblower William Binney und dem Sicherheitsexperten Whit Diffie wollen Machon und Davies nun Code Red aufbauen. Ein Meta-Netzwerk für Whistleblowing, das, so Davies, dafür sorgen wird, dass die Szene künftig nicht mehr wie "Pussycats" daher kommt. Davies ist das ewige Relativieren und Lamentieren mancher Datenschützer, Hacker und Aktivisten leid. Ständig werde - auch in kritischen Kreisen - dafür plädiert, dass eine "Balance" zwischen Freiheit und Sicherheit gefunden werden müsse, ständig werde der Angstmache der Regierungen und den Narrativen des Medienmainstreams ("Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten") Vorschub geleistet. Davies zeigt recht deutlich was er von einem derart verwässerten Diskurs hält: Nichts.
Mit Code Red will er die "Big Guns" auspacken, den Standard für Whistleblowing und die Aufdeckung gesellschaftsfeindlicher Regierungsführung generell erhöhen. Bevor der Code Red-Stratege Davies erläutert wie dies genau aussehen soll, fasst Operation Director Machon die Grundproblematik für das Publikum zusammen.
Machon berichtet von ihren eigenen Erfahrungen, die exemplarisch zu verstehen sind. Besonders in den USA und Großbritannien wagen sich immer mehr Whistleblower an die Öffentlichkeit. Doch bringen sie sich damit auch in eine große Gefahr. Während es im Vereinigten Königreich keine Gesetze für den Schutz von Whistleblowern gibt, führen die Vereinigten Staaten sogar einen regelrechten Krieg gegen sie. Die 35-jährige Haftstrafe der Ex-Soldatin Chelsea Manning belege dies. Auch Machon selbst musste sich nach ihrem MI5-Ausstieg jahrelang auf die Flucht durch halb Europa begeben. Ihr
Mitausssteiger und damaliger Lebensgefährte David Shayler landete sogar zwei mal im Gefängnis. In dieser Zeit habe Machon lernen müssen, was es heißt überwacht zu werden und welch kostbares, schützenswertes Gut die Privatssphäre ist. Machon berichtet, alle ihre Telefonate wurden abgehört, jegliche Kommunikation überwacht, sogar das eigene Haus war bis ins Schlafzimmer verwanzt. Neben dem ständigen psychologischen Druck sieht die Ex-Agentin die größte Gefahr in einer drohenden Selbstzensur als Folge der Überwachungsmaßnahmen. Besonders in der Überwachung des Internets, dem Nervensystem der Gesellschaft, sieht Machon eine Krise der Zivilisation, die - wenn sie nicht gelöst wird - Privatsphäre für immer begraben wird. Die Überwachung sei auch eine große Gefahr für Journalisten, für die es immer schwieriger wird, ihre Quellen zu schützen, es unterminiert überdies das Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwälten und Klienten und macht Politiker erpressbar.
Für Machon und Davies kann diese Krise der Kultur nur dadurch gelöst werden, in dem direkt an der Organisation dieser Maßnahmen Beteiligte den Mut fassen auszupacken. Doch auch auf die Gesellschaft kommen dabei neue Aufgaben zu. Whistleblower müssen geschützt und angehört werden, ihre Daten müssen ausgewertet und interpretiert werden können. Für Letzteres ist vor allem eine strukturierte Aufarbeitung von geleakten Dokumenten wichtig. Ein Standard, eine Indexierung, um für die Öffentlichkeit relevante Daten besser nutzen zu können.
An dieser Stelle kommt Code Red ins Spiel. Das Projekt sieht sich als Brückenbauer, als Knotenpunkt zwischen bereits bestehenden Netzwerken in Wirtschaft, Medien, Wissenschaft, Verwaltung, Politik und Aktivismus.
Code Red will diese Inseln vernetzten und gesellschaftlich relevantes Wissen das aus ihnen befreit wird, so strukturieren, dass es die jeweils anderen Sphären verstehen können. Es gelte die Mauern zwischen vielen Akteuren, die in die gleiche Richtung wollen, einzureißen, einen neuen Dialog-Standard zu setzen, ein neues Paradigma.
Machon und Davies geht es dabei ausdrücklich nicht um die Stars der Szene. Auch wenn allen Anwesenden klar ist welche gesellschaftliche Bedeutung Top-Whistleblower wie Snowden oder Manning haben, Code Red geht es vor allem darum, den gesellschaftlichen Mittelbau für sich zu gewinnen. Diesen gelte es zu bestärken, zu motivieren und zu schützen. In einem Gespräch mit Edward Snowden habe ihm dieser bestätigt, das dies nun der sinnvolle nächste Schritt sei, so Davies.
Drei Monate gibt sich das Entwicklerteam, um das Meta-Netzwerk aufzusetzen. Folgen soll eine Crowdfundig-Kampagne, gesucht werden zudem noch Botschafter, die das globale Code-Red-Team bereichern.
"Wer an den Kern des Problems will, soll wissen, wir wollen das auch. Wir sind der Bulldozer", sagt Davies im Nachgespräch und zeigt sich sicher, dass nach drei Jahren Vorbereitungszeit die Zeit reif ist für Code Red.
Anmerkung der Redaktion: Simon Davies ist am Donnerstag ab 19.30 zu Gast in der RT Deutsch-Sendung "Der Fehlende Part".