Von Felicitas Rabe
Am 15. Mai verstarb die Professorin für Soziologie Dr. Maria Mies im Alter von 92 Jahren. Zur Beisetzung der weltweit bekannten Feministin auf dem Kölner Südfriedhof kamen am Donnerstag rund 150 Weggefährten aus ganz Deutschland. Der besondere Dank der Trauergemeinde galt dem Ehemann von Maria Mies, dem Buchautor Saral Sarkar, der seine Frau bis zum Schluss liebevoll betreut hat.
In ihren Trauerreden würdigten die Mitstreiterinnen Prof. Veronika Bennholdt-Thomsen und Prof. Ute Projahn das Lebenswerk und die besondere Persönlichkeit von Maria Mies. Die Wissenschaftlerin zeichnete sich insbesondere durch ihr weltweites Engagement für soziale Gerechtigkeit und durch ihre bodenständige Kooperationsbereitschaft auf Augenhöhe aus.
Auf einzigartige Weise verband die Soziologin ihre Forschungen zur Rolle der Frau, zur Ökologie, zur Ernährungssouveränität und zuletzt auch zu den Auswirkungen der neoliberalen Globalisierung mit einem kontinuierlichen Engagement als politische Aktivistin. Schon lange vor der Etablierung des Internets trug sie wesentlich zur internationalen Vernetzung von Frauen- und Antiglobalisierungs-Bewegungen bei. Mit ihrer unerschütterlichen Zuversicht in die Wirksamkeit von politischem Engagement inspirierte und ermutigte sie Aktivisten auf der ganzen Welt.
Maria Mies wurde am 6. Februar 1931 im Eifeldorf Steffeln geboren, wo sie mit 11 Geschwistern auf einem Bauernhof aufwuchs. Nach ihrer Ausbildung zur Volksschullehrerin ging sie nach Indien, wo sie am Goethe-Institut in Pune bis 1968 als Sprachlehrerin arbeitete. Dort lernte sie auch ihren Ehemann Saral Sarkar kennen. Zurück in Deutschland beschäftigte sie sich mit den Auswirkungen des Patriarchats in Indien und Deutschland. Sie promovierte 1971 bei dem Soziologen Prof. Dr. René König zum Thema "Rollenkonflikte gebildeter indischer Frauen".
Von 1972 bis 1993 lehrte sie als Professorin für Soziologie im Fachbereich Sozialpädagogik an der Fachhochschule Köln zu den Themen Frauenforschung, Familien- und Randgruppensoziologie. Gemeinsam mit ihren Studentinnen erkämpfte sie 1976 in Köln das erste autonome Frauenhaus gegen häusliche Gewalt. Am Institute for Social Studies in Den Haag gründete sie das Studienprogramm "Women and Development" für Frauen aus dem globalen Süden.
Die Frauenforscherin entwickelte schließlich einen bis heute zu wenig beachteten neuen wissenschaftlichen Ansatz: die methodischen Postulate zur Frauenforschung. Anlässlich ihrer Forschungen zu Gewalt an Frauen stellte sie den herrschenden wissenschaftlichen Anspruch einer objektiven uninvolvierten Forschung grundsätzlich in Frage. Mit anderen Worten: Objektive Forschung könne es nicht geben, weil Forschung immer von Interessen und Herrschaftsverhältnissen bestimmt sei.
In ihrem Aufsatz "Was haben wir gewollt, was ist daraus geworden?" erinnerte sich Maria Mies 2007, wie sie die neuen Methoden anlässlich ihrer Forschung zu Gewalt an Frau entwickelte:
"Als Sozialwissenschaftlerin versuchte ich darum, meine Betroffenheit über die Gewaltgeschichten, die ich Tag und Nacht von den Frauen im Frauenhaus zu hören bekam, 'wissenschaftlich zu Ende zu denken und dann zu Ende zu handeln', wie ich es in einem späteren Aufsatz ausdrückte. Ich merkte bald, dass das mit den herkömmlichen Methoden der quantitativen Sozialforschung nicht ging, denn diese schließen jede Parteilichkeit und Solidarität mit den Betroffenen, jede Subjektivität auf Seiten der ForscherInnen aus. Das war für mich aber unmöglich."
"Ich entwickelte einen eigenen methodologischen Ansatz für eine engagierte Frauenforschung. Er bestand aus einer Kritik an der herrschenden uninvolvierten 'Zuschauerforschung' mit ihrem falschen Anspruch auf Objektivität und gipfelte in sieben grundlegenden methodischen Postulaten zur neuen Frauenforschung."
In ihren Büchern befasste sich die Wissenschaftlerin nicht nur mit Frauenthemen, welche sie immer in einen gesellschaftlichen Gesamtkontext einordnete, wie zum Beispiel in den Werken "Patriarchat und Kapital" und "Frauen, die letzte Kolonie" (zusammen mit Claudia von Werlhof und Veronika Bennholdt-Thomsen).
Seit dem Ende der 1990er Jahre beschäftigte sich Mies zunehmend mit den Auswirkungen einer Globalisierung, die den größtmöglichen Profit zum Ziel allen wirtschaftlichen Handels deklariere: In ihren Büchern "Globalisierung von unten" und "Krieg ohne Grenzen" beschreibt sie die fatalen Folgen dieser neoliberalen Wirtschaftsweise auf Menschen, Tiere und Umwelt. Den Neoliberalismus verglich sie mit einem Krieg gegen Mensch und Natur, der als Folge auch militärische Kriege mit sich bringe. Denn in der Logik des Neoliberalismus sei "Krieg gut für die Wirtschaft". Institutionen wie die Welthandelsorganisation oder auch die EU-Kommission hielt sie grundsätzlich für nicht reformierbar, sie seien von Korruption beherrscht.
Einer der ersten Nachrufe erschien am 17. Mai in der Indischen Zeitung Indianexpress. In Indien und in vielen Ländern des globalen Südens wird das Engagement von Maria Mies für Frauen, für den Erhalt einer ökologischen Subsistenz-Landwirtschaft und für soziale Gerechtigkeit seit Jahrzehnten geschätzt. Gemeinsam mit der indischen Physikerin und Trägerin des alternativen Nobelpreises Dr. Vandana Shiva schrieb sie das Buch "Ökofeminismus". Im Nachruf des Indianexpress erinnert sich Shiva an ihre Freundschaft mit der deutschen Feministin:
"Maria war eine sehr gute Freundin. Zusammen schrieben wir das Buch 'Ökofeminismus' ‒ unser Denken war tief verbunden. 1995 nahmen wir an der UN-Konferenz über pflanzengenetische Ressourcen in Leipzig teil und verfassten dort gemeinsam den Leipziger Appell. 1996 haben wir auf dem UN-Ernährungsgipfel den Aufruf zur 'Ernährungssouveränität in Frauenhände' gestartet und 1.000.000 Unterschriften gesammelt. Maria wird durch ihre Ideen, ihren Aktivismus und unsere Freundschaft weiterleben."
Aber auch deutsche Medien würdigten ihr Lebenswerk. Und nicht nur im Spiegel-Nachruf wurde darauf hingewiesen, dass es der bekannten Feministin nicht um die Gleichstellung der Frau in einer kapitalistischen Gesellschaft ging, sondern dass sie sich für eine andere, gerechtere Gesellschaft einsetzte:
"Im Unterschied zu vielen anderen Feministinnen zielte Mies nicht auf die Gleichstellung der Frau innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft – sondern auf eine neue Gesellschaft."
Im Nachruf der Kölner Fachhochschule (TH Köln) wird die herausragende wissenschaftliche Leistung der Professorin honoriert:
"Professorin Maria Mies bleibt aufgrund ihrer beeindruckenden Lebensgeschichte, ihrer herausragenden wissenschaftlichen Leistung als Hochschullehrerin und ihrem außergewöhnlichen zivilgesellschaftlichen Engagement für Frauenrechte, globalen Frieden und Ökologie eine Inspiration für Gegenwart und Zukunft."
Zeit ihres Lebens vermittelte Maria Mies im persönlichen Kontakt Frauen ein Gefühl für Selbstwert: Indem sie ein Bewusstsein über ihren eigenen Selbstwert ausstrahlte, bot sie Orientierung. Und indem sie Frauen in ihrer Umgebung wertschätzte, deren Potential erkannte und förderte, stärkte sie ihr Selbstwertbewusstsein. Nicht zuletzt hat das auch die Autorin dieses Nachrufes in der Kooperation mit dieser besonderen Frau erfahren.
Auf dem Monsanto-Tribunal 2016 in Den Haag fragte die Autorin die ebenfalls teilnehmende Dr. Farida Akhtar aus Bangladesch, ob sie sich an Maria Mies erinnere. Fast schon empört antwortete die Wissenschaftlerin:
"Ob ich mich an Maria erinnere? ‒ Maria ist alltäglich und für immer in meinem Herzen."
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