Der deutsch-russische zivilgesellschaftliche Austausch befindet sich auf dem Weg aus der Corona-Krise. Der Vorsitzende des russischen Lenkungsausschusses beim Petersburger Dialog Wiktor Subkow kam am Freitag mit einer Delegation nach Berlin, um sich mit dem Vorsitzenden des Vorstands auf deutscher Seite Roland Pofalla im Rahmen einer Präsidiumssitzung zu treffen. Von beiden Seiten nahmen an der Sitzung je zehn weitere Delegationsmitglieder teil.
Dies sei die erste Präsidiumstagung von Angesicht zu Angesicht seit 20 Monaten, betonte Subkow in einem Pressegespräch. Der 79-jährige Politiker war in seiner politischen Laufbahn kurzfristig russischer Ministerpräsident und ist seit 2012 als Sonderbeauftragter des russischen Präsidenten für das Zusammenwirken mit dem Forum Gas exportierender Länder tätig. Er teilte mit, dass sich die Koordinationsausschüsse im Juni treffen, um die Einzelheiten des größeren Treffens in Kaliningrad im Oktober zu besprechen.
"Wir besprachen Themen, die für uns wichtig sind", sagte Subkow. Er wies die deutsche Seite darauf hin, dass inzwischen fast 70 Staaten russische Anti-COVID-Vakzine nutzen und in Deutschland seit Januar keine Entscheidung über die Lieferung von Sputnik V gefallen sei.
"Da es um Menschenleben geht, könnte die Vakzinierung in Deutschland mit Sputnik V schneller vonstatten gehen."
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Ihm zufolge brachten die deutschen Sitzungsteilnehmer ihre Unzufriedenheit mit der russischen Gesetzgebung zum Ausdruck, wonach nun auch einige aus Deutschland finanzierte Organisationen in Russland als "ausländischer Agent" eingestuft werden.
"Ein ausländischer Agent ist aber kein Feind", sagte der russische Politiker und wies auf ähnliche Gesetzgebungen in westlichen Staaten hin. Auf der anderen Seite betonte er, dass die politische Aktivität vieler ausländisch finanzierter Organisationen in der Tat unerwünscht sei. "Wozu sie aufrufen – das passt uns nicht."
"Es finden Einmischungen statt, offene Regierungskritik und Versuche, unserer Jungend Werte aufzuzwingen, die uns fremd sind."
Wiktor Subkow äußerte sich jedoch erfreut darüber, dass gesellschaftlicher Austausch mit Deutschland nun aktiver vorangetrieben werde. "Unsere Pläne für Entwicklung unserer Zivilgesellschaften haben wir sogar übertroffen".
Ein Journalist wies den russischen Delegationschef auf mögliche Änderungen im deutschen Kabinett nach den Bundestagswahlen hin. "Wir erinnern uns, vor 20 Jahren wurde der Petersburger Dialog von der damals regierenden SPD ins Leben gerufen, danach hat die Union die Partnerschaft weitergeführt."
"Die Regierungen wechseln, aber die Zivilgesellschaften bleiben", sagte Subkow.
"Wir streiten uns und versöhnen uns, aber die Zivilgesellschaften kooperieren weiter. Ich denke, für jede Regierung ist es nützlich, die Beziehungen zu Russland zu entwickeln. Die Werke, die im Russland-Geschäft tätig sind, schaffen Tausende Arbeitsplätze."
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Subkow sagte, dass die Russen sich dafür interessieren, was in Deutschlands Wirtschaft, Kultur, Gesundheitswesen und mit der Jugend passiert. "Zivilgesellschaften wollen zusammenarbeiten und Erfahrungen austauschen." Er brachte außerdem eine Erweiterung des zivilgesellschaftlichen Dialogs um drei weitere Länder – Österreich, Frankreich und Italien – ins Spiel. Am Ende äußerte Subkow den Wunsch, dass die künftige Regierung die Beziehungen zu Russland weiterentwickelt.
"Wer auch immer die Wahlen gewinnt, es wird höchstwahrscheinlich eine Koalition geben. Wir wollen, dass diese Regierung die Beziehungen zu Russland entwickelt, und wir werden uns dafür einsetzen, dass der gesellschaftliche Austausch sich entwickelt."
Umfragen zufolge hat die Partei Bündnis 90/Die Grünen bei den kommenden Wahlen gute Chancen auf eine Regierungsbeteiligung. Die Kanzlerkandidatin der Grünen Annalena Baerbock liegt bei den Umfragen sogar knapp vorn. In der Russland-Politik fordert sie mehr Härte. Diese gelte jedoch der Regierung, als Partner in Russland sieht sie vor allem die Zivilgesellschaft. Norman Volger, Landesvorstandssprecher der Grünen in Sachsen, brachte die Grundzüge dieser Politik auf den Punkt, als er die Moskau-Reise des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer kommentierte:
"Unser bündnisgrüner Anspruch ist es, die russische Zivilgesellschaft vor Ort zu stärken. Ein Kuschelkurs mit russischen Funktionsträger*innen ist gerade nicht an der Tagesordnung, jedoch das entschiedene Benennen von Konfliktlinien. Für eine Zusammenarbeit mit Russland gibt es klare Bedingungen. Werden diese nicht erfüllt, kann eine Zusammenarbeit nicht erfolgen und vor allem sprechen wir Bündnisgrüne uns dann klar für striktere Sanktionen durch die Europäische Union aus."
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