von Susan Bonath
Immer mehr Menschen geraten in existenzielle Notlagen und suchen Hilfe bei einer Tafel. Dabei sind viele Essenausgabestellen weiterhin nur eingeschränkt oder gar nicht geöffnet. Das geht aus einer am Mittwoch veröffentlichten Umfrage des Bundesverbandes Tafel Deutschland bei den ehrenamtlichen Helfern hervor. Deren Vorsitzender Jochen Brühl mahnte:
Wir haben in den letzten Wochen eine neue Form der Not erlebt: Es kommen vermehrt jüngere Menschen, die bis vor kurzem überhaupt nicht auf die Tafeln angewiesen waren und nun vor Erleichterung weinen, weil sie etwas zu essen bekommen und ihre Kühlschränke wieder füllen können.
Demnach hat die Bundesregierung mit ihren Hilfspaketen ausgerechnet die Menschen vergessen, die Hilfe in der Krise am nötigsten haben. Hinzu kommt: Nicht jeder hat überhaupt Zugang zu einer Tafel. Von den insgesamt 947 Einrichtungen mit meist mehreren Essensausgabestellen sind 120 noch immer komplett geschlossen. In den meisten anderen Einrichtungen ist laut Brühl die Lebensmittelverteilung gegen einen Preis von einem bis zwei Euro "aufgrund der Abstandsregeln" eingeschränkt. Die Tafelhelfer rechnen in den kommenden Wochen mit weiter steigenden Zahlen an Hilfesuchenden.
Hungern aus Angst vor Corona?
Der Verbandschef zeigte sich aber auch "besorgt": "Vor allem ältere Menschen, die schon vor der Corona-Pandemie kamen, bleiben aus Angst vor einer Ansteckung zu Hause", berichtete er. Es sei den Helfern nicht möglich, alle zu erreichen, die eigentlich die Unterstützung benötigten. "Das macht uns große Sorgen, denn wir sehen, dass die Ärmsten besonders hart von der Krise getroffen werden", konstatierte er.
Insbesondere den älteren Menschen fehle es nicht nur an Nahrung, sondern auch an Kontakten zu anderen Menschen. Auch die Angst vor Corona treibe die Betroffenen in die Isolation. Lediglich einige Tafeln hätten "Lieferdienste für besondere Risikogruppen" einrichten können. Brühl warnte die Politik, von Armut Betroffene nicht zu vergessen.
Tafelvorsitzender: Kinderbonus hilft vielen nicht
Der Bundesverband Tafeln Deutschland hatte sich bereits im März mit einem offenen Brief an Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) gewandt und mehr Hilfen für existenziell Notleidende gefordert. Zudem hatte sich der Verband gemeinsam mit anderen sozialen Organisationen für eine temporäre Erhöhung der Grundsicherung um 100 Euro ausgesprochen.
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Über den einmaligen Kinderbonus berücksichtige das Milliarden-Konjunkturpaket arme Familien zwar minimal. "Die Hilfen reichen aber nicht aus und kommen zu spät", sagte Brühl. So bräuchten Betroffene, darunter viele Alleinerziehende, die insgesamt 300 Euro zwingend zum Leben. "Um Laptops für Home-Schooling anzuschaffen, reicht das nicht aus", mahnte er. Außerdem profitierten Menschen mit niedrigen Renten oder Grundsicherung im Alter überhaupt nicht von der Minigabe, die dem Versprechen der Bundesregierung zufolge nicht auf Sozialhilfe- oder Hartz-IV-Leistungen angerechnet werden soll.
Alleinstehende und -erziehende sind besonders oft arm
Dass arme Menschen öfter alleine leben oder Kinder alleine erziehen, hatte vergangene Woche die Denkfabrik der Bundesagentur für Arbeit (BA), das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), in einer Studie herausgefunden. Dies und der materielle Mangel habe viele Betroffene in die Isolation geführt.
Demnach befinden sich etwa unter den Grundsicherungsbeziehern 40 Prozent Alleinstehende. Im Rest der Bevölkerung ist ihr Anteil nur halb so groß. Außerdem wachsen in mehr als jedem zwölften Grundsicherungshaushalt ein oder mehrere Kinder mit nur einem Elternteil auf. In der restlichen Bevölkerung ist jeder 50. ein Alleinerziehenden-Haushalt.
Materiell benachteiligte Menschen hätten oft nur eine kleine Wohnung, selten ein Auto und oft nicht einmal einen Computer mit Internetzugang, resümieren die IAB-Forscher in ihrer Studie. Und weiter:
Menschen, die auf Grundsicherung angewiesen sind, fehlt es vielfach an Dingen, die für andere selbstverständlich sind. Die Einschränkungen durch den Corona-Shutdown haben sie daher besonders betroffen.
IAB: Materieller Mangel führt zu Konflikten und psychischen Problemen
Dies habe viele nicht nur in die soziale Isolation geführt und Kinder von der Bildung abgehängt, sondern auch psychische Auswirkungen auf die Betroffenen. So gehen laut den Autoren sozialpsychologische Theorien generell davon aus, dass Menschen unterschiedlich gut mit Stress, der Wirtschaftskrise und der Pandemie umgehen können. Dafür spielten die vorhandenen und aktivierbaren Ressourcen eine wichtige Rolle.
Ob eine solche Krise beispielsweise zu sozialer Isolation oder Konflikten im Haushalt führt, hängt maßgeblich davon ab, ob den Betroffenen Ressourcen zur Verfügung stehen, die ihnen bei der Bewältigung der Krise helfen", so die Autoren.
Geldsorgen, ein leerer Kühlschrank, beengte Wohnverhältnisse aber auch fehlende Sozialkontakte seien ein Motor für psychische Probleme und Konflikte. Neben den direkten gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen müsse man daher mit länger andauernden gesamtgesellschaftlichen sozialen Auswirkungen des Shutdowns rechnen. Dabei sei jetzt noch nicht absehbar, wie hoch die Arbeitslosigkeit noch steigen wird.
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