Die alte Mohrenköpfe-Diskussion in der Schweiz ist nach dem gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Floyd wieder aufgeflammt. Den Anlass bot diesmal die Entscheidung der Handelsgenossenschaft "Migros", die süßen "Mohrenköpfe" – Schweizer Variante für deutsche Schokoküsse – aus ihrem Sortiment zu nehmen. Dieser Entscheidung lag eine Twitter-Aufforderung zugrunde.
Am 8. Juni setzte ein anonymer Nutzer unter dem Pseudonym MereSirrTeh ein Post ab, das ein Video mit den Verpackungen der Dubler-Mohrenköpfe zeigte und das Unternehmen aufforderte:
Liebe Migros, ich bitte Sie, dieses Produkt unverzüglich aus Ihrem Sortiment zu nehmen!? Dieser Ausdruck ist äußerst rassistisch konnotiert und entspricht nicht der Political Correctness.
Nach einer Bedenkzeit von zwei Tagen gab die größte Schweizer Supermarktkette nach und kündigte ihre Entscheidung ebenso per Twitter an:
Wir haben uns dazu entschieden, das Produkt aus dem Sortiment zu nehmen. Die aktuelle Debatte hier hat uns dazu bewegt, die Situation neu zu beurteilen. Dass dieser Entscheid ebenfalls zu Diskussionen führen wird, ist uns bewusst.
Zu diesem Zeitpunkt tobte die Diskussion auf Twitter bereits. MereSirrTeh fiel dabei mit Beleidigungen auf Schweizerdeutsch auf. Nau.ch wies das Unternehmen in einer Anfrage auf die Anonymität des Twitterers hin und fragte über die Gründe für eine derart "drastische Entscheidung" nach.
Der Entscheid sei durch die Genossenschaft Migros Zürich gefällt worden, war die Antwort. "Die Diskussion der letzten Tage hat gezeigt, dass unsere Kundinnen und Kunden den Produktnamen vermehrt als provozierend empfunden haben", schrieb Gabriela Ursprung, Leiterin Corporate Communications und Kulturprozent der Genossenschaft Migros Zürich, zurück.
Inzwischen ist der Twitter-Account von MereSittTeh gelöscht, worauf ein anderer Nutzer in einem Tweet hinweist:
Die Diskussion geht derweil weiter. "Viele Leser schlagen sich die virtuelle Hand auf die Stirn ab der Neuigkeit", schreibt das Portal telebasel.ch und zeigt Facebook-Kommentare. "Geht's noch?", schreiben einige. "Lächerlich", "Ohne Worte" und "Jetzt spinnt die ganze Welt", heißt es da etwa. Andere User finden die Änderung übertrieben, denn auch andere Lebensmittel hätten Bezüge zu Menschen. So schreibt etwa eine Userin, ob dann Berliner, Hamburger und "Schnägg" nicht auch problematisch seien. "Dann wird es ja ganz schräg!", so der Kommentar.
Manche reagieren jedoch mit Verständnis und meinen, dass der Begriff klar rassistisch sei. Das Wort geht ursprünglich auf das griechische "moros" zurück, das "töricht", aber auch "dumm" bedeutet. Auch auf das lateinische "maurus", das für "schwarz", "dunkel" und "afrikanisch" steht, wird das Wort zurückgeführt.
Bei der Süßspeise ginge es aber nicht um die negativen Gedanken mit dem Wort, argumentieren andere. "Mohrenkopf bleibt Mohrenkopf", schreiben einige. Argumentiert wird auch damit, dass der Name schon lange existiert.
Nicht jeder Buchstabe muss auf die Rassismus-Waage gelegt werden", schreibt etwa Lotti Wagenbrenner.
In der Schweiz wird über die Bezeichnung seit längerem gestritten. Bereits 2017 wurde in einer Onlinepetition gefordert, dass Dubler – der als einer der letzten Anbieter die Süßigkeit mit "Mohrenkopf" anschreibt – sein Produkt umbenennen soll.
Der Hersteller Robert Dubler äußert sich derweil in den Medien und sagt, dass mit einer Namensänderung dem Grundproblem Rassismus nicht entgegengewirkt werde. Für ihn ist klar, dass er mit dem Namen "Mohrenkopf" niemanden beleidigen will – im Gegenteil, er stehe für etwas Positives.
Ich komme ohne die Händler über die Runden", sagte er.
Der gern als "oberster Vertreter der Afrikaner in der Schweiz" genannte Celeste Ugochukwu, der den Afrika Diaspora Rat Schweiz koordiniert, ließ die Argumente des Herstellers nicht gelten. In einem Blick-Interview vom 11. Juni sagte er:
Jeder weiß, wo dieses Wort herkommt. Es hat mit der Sklaverei und dem Verkauf von Menschen als Ware zu tun. (…) Die Süßigkeit kann bleiben, aber unter diesem Namen geht sie eigentlich nicht mehr.
In einem Interview mit SRF vor sechs Jahren plädierte er jedoch noch für mehr Gelassenheit bei dem Umgang mit potenziell "rassistisch" beladenen Begriffen. "Ich finde, es ist ein Zeichen für ein Minderwertigkeitsgefühl, wenn ein Afrikaner denkt, dass alle afrikanischen Symbole in Europa einen negativen Hintergrund haben und dass man sie einfach so abschaffen soll." sagte er. Offenbar hat sich nach dem Tod des Afroamerikaners George Flyod auch in der Alpenrepublik der Zeitgeist gewandelt.
Mehr zum Thema - Nach Rassismusvorwürfen: Videostreamingdienst HBO Max entfernt Filmklassiker "Vom Winde verweht"