von Timo Kirez
Eine Pandemie, zwei Realitäten: Während "Otto Normalverbraucher" täglich mit so profanen Dingen wie Toilettenpapier und Nudeln beschäftigt ist, spielen einige "Superreiche" wieder einmal in ihrer ganz eigenen Liga. Materiell wie auch ethisch.
So versuchen zum Beispiel nicht wenige reiche Russen laut einem Bericht der Moscow Times, in ihren eigenen vier Wänden eine Art "Miniklinik" aufzubauen. Das wichtigste Utensil dabei: ein Beatmungsgerät. Und eines reicht offenbar nicht – eine betuchte russische Familie gestand dem Online-Medium anonym:
Wir haben bisher eines bekommen und versuchen, zwei weitere zu kriegen.
Kostenpunkt laut der anonymen Quelle: rund 1,8 Millionen Rubel (in etwa 20.000 Euro). Doch es gebe eine achtmonatige Warteliste, so die Quelle weiter. Zwar scheint Russland nach den offiziellen Zahlen in einer guten Ausgangslage zu sein, was die Anzahl der Beatmungsmaschinen im Land betrifft, doch niemand weiß, wie sich die Pandemie entwickeln wird. Laut der Johns Hopkins University gibt es aktuell 3.548 Fälle von Infektionen und 30 Todesfälle in Russland.
Laut den offiziellen Zahlen verfügt Russland in seinen staatlichen Krankenhäusern landesweit über insgesamt etwa 42.000 bis 43.000 Beatmungsgeräte – also durchschnittlich etwa 29 Beatmungsgeräte pro 100.000 Einwohner. Das sind mehr als dreimal so viele wie in Italien, wo es nur acht sind.
Die Sorge um genug Beatmungsmaschinen
Doch die Sache hat einen Haken: Medizinische Experten erklärten der Moscow Times, dass sich die Beatmungsgeräte in den wohlhabenderen städtischen Zentren Russlands wie Moskau und Sankt Petersburg konzentrieren. So soll Moskau nach eigenen Angaben über etwa 5.000 Beatmungsgeräte verfügen.
Die Moscow Times zitiert Pawel Brand, Direktor von Klinika Semejnaja, einer Kette von Familienkliniken in Moskau. Brand berichtet von Kollegen in einigen russischen Regionen, die ihm mitgeteilt hätten, dass es dort nur sechs Beatmungsgeräte pro 100.000 Menschen gebe und dass viele von ihnen "alt und von schlechter Qualität" seien.
Um eine mögliche Überlastung zu verhindern, stellt Moskau den Regionen zusätzliche Mittel zur Verfügung. So bekam zum Beispiel die sibirische Region Tomsk acht Millionen Rubel (rund 94.000 Euro), um weitere Beatmungsgeräte anzuschaffen. Der Verkaufsdirektor des russischen Unternehmens MediKo, Artjom Siwatschew, bestätigte der Moscow Times, dass er in den vergangenen zwei Wochen unzählige Anrufe von Privatpersonen entgegengenommen habe. Doch es sei gegen die Firmenpolitik, an sie zu verkaufen.
Haben sich die Reichen verkalkuliert?
Andere scheinen da weniger Hemmungen zu haben: So soll die Mehrheit der Verkäufer der Moscow Times bestätigt haben, dass sie an Privatpersonen verkaufen. Doch die betuchten Käufer könnten sich mit der Anschaffung verkalkuliert haben – denn neben der Maschine braucht es vor allem auch eine qualifizierte Person, um sie zu bedienen.
"Sie brauchen ein Heimkrankenhaus mit einer Intensivstation und vor allem einen Spezialisten", sagte Jaroslaw Aschichmin, ein Kardiologe, der das medizinische Entwicklungszentrum der Skolkowo-Stiftung in Moskau berät, der Moscow Times.
Gott sei Dank sind die meisten Ärzte hier ethisch genug, nicht in das Haus eines reichen Mannes zu gehen und ihn zu behandeln, wenn Tausende von Menschen versorgt werden müssen", so Aschichmin weiter.
Allerdings verweist die Moscow Times auf anonyme Gespräche mit Wohlhabenden, die offenbar einen privaten Arzt auf Abruf bereit haben, der sich mit den Maschinen auskennt. Dennoch glaubt Aschichmin nicht, dass all das die Reichen "retten" wird:
Unsere Oligarchen haben nie in lokale Krankenhäuser investiert, weil sie nie dachten, dass sie dort behandelt werden müssten. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie bald eine unglückliche Überraschung erleben werden, da ausländische Kliniken sie nicht akzeptieren werden, so wie russische Privatkliniken sie nicht akzeptieren werden. Jetzt könnten sie die Hölle erleben, die sie mit geschaffen haben.
Auch in den USA wächst die Wut auf egoistische Reiche
Doch wer glaubt, dass dieses Phänomen auf Russland beschränkt sei, irrt. Auch in den USA sorgen einige "Superreiche" für Verärgerung. Ein Hersteller von Beatmungsgeräten, die Patienten mit COVID-19 behandeln können, bestätigte der New York Times, dass vermögende Käufer bei ihm vorstellig wurden.
Auch in den USA steigt die Nachfrage nach den lebensrettenden Maschinen an. Chris Kiple, CEO von Ventec, einem in Seattle ansässigen Hersteller, erklärte der New York Times:
Ich kann Ihnen mit 100-prozentiger Sicherheit sagen, dass jeder einzelne Hersteller im Moment mit einem Rückstand [besüglich der Bestellungen, Anm. der Redaktion] konfrontiert ist.
Vor rund zwei Wochen hatte US-Präsident Donald Trump erklärt, dass die Regierung "Abertausende" von Maschinen bestellen werde, um den Bestand zu erhöhen. Doch Experten sagen voraus, dass 70 Prozent der US-Amerikaner an COVID-19 erkranken könnten. Die Pandemie droht das US-Krankenhaussystem bis an seine Grenzen und darüber hinaus zu bringen.
Die vermögenden Privatpersonen, die sich um eine Maschine bemühen, wollen, ähnlich wie in Russland, die Geräte als Ausweichlösung, falls das US-Krankenhaussystem versagen sollte. Doch, so Kippe zu NBC News, gegenwärtig habe das Unternehmen entscheiden, nicht an Privatpersonen zu verkaufen.
Doch die reichen Ego-Shooter beschränken sich nicht allein auf den Erwerb von Beatmungsmaschinen. Auch hochwertige Schutzmasken, die ebenfalls knapp sind und vor allem in den Krankenhäusern gebraucht werden, werden von Privatpersonen erworben und gehortet. Das Online-Medium Intelligencer berichtet sogar von E-Mails wohlhabender Personen an ihre Ärzte, in denen sie darum bitten, als Erste geimpft zu werden, wenn ein Impfstoff vorliegt.
Europa: Rette sich, wer kann
Auch in Europa machen sich einige Wohlhabende gerade keine neuen Freunde – wenn auch aus anderen Gründen. In London versuchen vermögende Familien mit allen Mitteln, der Stadt zu entkommen. Dazu offerieren sie laut der britischen Zeitung Daily Mail bis zu 50.000 Pfund (rund 60.000 Euro) im Monat für einen Unterschlupf in einem ländlichen Gebiet.
Ganz oben auf der Nachfrageliste von Immobilienmaklern sollen Villen mit Bunkern, abgelegene Gutshäuser und unbewohnte Karibikinseln stehen. Ein Makler erklärte der Daily Mail:
Sie wollen Häuser mit mehr Platz als in London, vorzugsweise mit einem Garten, in dem die Kinder spielen können. Es ist ihnen egal, was es kostet.
Nicht anders die Situation bei unseren Nachbarn in Frankreich. Als Mitte März erste Gerüchte über eine bevorstehende landesweite Ausgangssperre kursierten, verabschiedeten sich viele Franzosen, die es sich leisten konnten, in Richtung Zweitwohnsitz auf dem Lande. Doch auf den ländlichen Gebieten ist die Angst groß, dass mit den Städtern auch das Coronavirus Einzug in die vermeintliche Idylle gehalten hat.
Ein Beispiel ist die Atlantikinsel Île de Noirmoutier rund fünf Autostunden südwestlich von Paris. Es sei "unverantwortlich und egoistisch", was die Pariser da machten, erklärte der Mediziner Dr. Cyrille Vartanian aus Noirmoutier der New York Times. Bürgermeister Noël Faucher erwog sogar, die einzige Brücke zum Festland zu blockieren.
"Wir waren machtlos, weil die Menschen nicht gezwungen wurden, in ihrem Hauptwohnsitz zu bleiben", so Faucher. Der Zustrom sei "eine Invasion" gewesen. Quasi über Nacht verdoppelte sich die Bevölkerung der Insel fast auf 20.000. Fast zwei Wochen nach Inkrafttreten der landesweiten Abriegelung am 17. März gibt es auf der Insel mittlerweile etwa 70 Verdachtsfälle einer Infektion mit dem Coronavirus.
Viren reisen nicht von allein
In Italien flohen viele aus dem schwer gebeutelten Norden in den Süden. Obwohl keine verlässlichen Zahlen vorliegen, führen nicht wenige im Süden Italiens Neuinfektionen auf den Zustrom aus dem Norden zurück. Letzte Woche sagte Ruggero Razza, das sizilianische Regionalratsmitglied für Gesundheit, im Fernsehen, dass viele der Neuinfektionen in Sizilien durch einen Zustrom von fast 40.000 Menschen aus anderen Regionen verursacht worden seien. Belege gibt es dafür nicht, doch andererseits ist auch klar, dass Viren sich nicht einfach selbst in Richtung Süden aufmachen.
In Griechenland kündigte Premierminister Kyriakos Mitsotakis letzte Woche eine landesweite Ausgangssperre an, nachdem Tausende von Stadtbewohnern seine Aufrufe, zu Hause zu bleiben, ignoriert hatten und in Dörfer und auf Inseln flohen. Daraufhin forderten die Bürgermeister mehrerer Ägäisinseln die Regierung auf, die Ankunft vom Festland aus zu drosseln. Das Büro des Bürgermeisters auf Milos beschrieb die Neuankömmlinge als "Trojanische Pferde, die das Virus in der Gemeinde verbreiten könnten".
Auf der Île de Noirmoutier bekommen die Pariser den Unmut der Einheimischen mittlerweile zu spüren. Bei über einem halben Dutzend Autos mit Pariser Kennzeichen wurde die Reifen zerstochen. Kein Wunder, wenn man den Schilderungen der Einheimischen Glauben schenken darf.
So sollen "die Pariser", wenn sie nicht gerade beim Kitesurfen waren, sämtliche Lebensmittel der Insel gehortet haben. In einer Bäckerei in einem Viertel namens L'Épine soll eine Pariserin mit 20 Baguettes im Arm nach Hause gegangen sein. In einem Bio-Supermarkt soll eine weitere Pariserin Bio-Katzenfutter gehortet habe. Einheimische und Pariser sollen sich um das frische Gemüse streiten, das um 10 Uhr morgens geliefert wird.
Die zerstochenen Reifen könnten sich jedoch als kontraproduktiv erweisen: Nun wird man die Pariser erst recht nicht mehr los.
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