Wer stirbt in Italien an COVID-19 und warum? Eine Analyse des italienischen Gesundheitsinstituts

Erschreckende Zahlen und Bilder kommen aus Italien – täglich sterben Hunderte im Zusammenhang mit der COVID-19-Infektion. Alle fragen sich: Wird es auch bei uns so weit kommen? Ein differenzierter Blick auf die Sterbestatistik hilft, die Gefahr richtig einzuschätzen.

Viele Diskussionen drehen sich um die angeblich hohe Sterblichkeitsrate in Italien, und tatsächlich: Die Zahl der bekannten Virusträger liegt bisher bei etwa 47.021, die Zahl der Todesfälle bei 4.032. Das entspricht einer Rate von dramatischen 8,5 Prozent. Relevant sind jedoch auch weitere Zahlen – vor allem dazu, wen das Virus trifft und was es genau im Körper der Infizierten anrichtet.  

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Das Istituto Superiore di Sanità, Italiens oberstes Gesundheitsinstitut, legte am Donnerstag eine Studie vor, in der es alle klinischen Daten der Opfer analysierte. Diese Daten liegen der Süddeutschen Zeitung (SZ) vor.

Folgende Erkenntnisse und Mittelwerte kamen heraus: Das Durchschnittsalter der Verstorbenen liegt bei 79,5 Jahren. Die eindeutig am stärksten betroffene Altersgruppe sind die 80- bis 89-Jährigen. Nur fünf Menschen waren unter 40 Jahre alt, alle waren krank, ehe sie sich mit dem Virus infizierten.

Dabei sind 70 Prozent der Opfer Männer. Drei Personen (0,8 Prozent) starben offenbar unmittelbar am Coronavirus – alle anderen litten an mindestens einer schweren Vorerkrankung. Die Hälfte hatte drei oder mehr Krankheiten, die häufigsten waren Bluthochdruck, Diabetes, Krebs sowie Herz- und Atembeschwerden.

Das Gesundheitsinstitut führt auch auf, mit welchen Leiden die Menschen eingeliefert wurden. 77 Prozent hatten hohes Fieber, 74 Prozent litten an Atemnot, und 42 Prozent klagten vor allem über Husten. Auch über die durchschnittliche Verlaufszeit der Krankheit in den tödlichen Fällen lässt sich mittlerweile etwas sagen: Vom Augenblick der ersten Symptome und dem positiven Test bis zur Verlegung ins Krankenhaus vergehen normalerweise rund vier Tage, bis zum Tod auf der Intensivstation noch einmal vier.

Aufgrund der vielen sogenannten "Geisterträger" liegt die wahre Rate nicht bei acht, sondern bei einem bis drei Prozent, so die SZ weiter. Im Verlauf der Epidemie ist das Land seinen Nachbarn etwa zwei Wochen voraus. Ähnlich verläuft die Dynamik nun aber in Spanien, wo die Fallzahlen zuletzt stark anstiegen, sowie in Frankreich, den USA, Deutschland und der Schweiz. Ein Vergleich ist daher erst in einigen Wochen möglich.

Natürlich wird in Italien viel darüber diskutiert, warum die Sterberate so hoch ist. Wie die Statistiken zeigen, sind es fast ausschließlich ernsthaft vorerkrankte Personen im hohen Alter, auf die das Virus tödlich wirkt. Daher ist einer der Gründe für die hohe Sterberate schlicht die Demografie: Italiens Bevölkerung gehört zu den betagtesten der Welt, das Durchschnittsalter liegt bei 46,3 Jahren. 21 Millionen Italiener sind über 65 Jahre alt. Neben Spanien hat Italien mit 83,5 Jahren die höchste Lebenserwartung in Europa. Nur in Japan leben die Menschen länger.

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Der zweite Grund liegt in der Umweltverschmutzung. Das Epizentrum der Ausbreitung umfasst jene drei Regionen im Norden, alle in der Po-Ebene, die das wirtschaftliche und industrielle Herz des Landes bilden: die Lombardei, Venetien und die Emilia-Romagna. Nirgendwo in Europa ist die Luftverschmutzung größer. Viele ältere Bewohner leiden an Atemwegsbeschwerden. Und die Bevölkerungsdichte ist hoch: Ungefähr 40 Prozent der Italiener leben dort. 85 Prozent der Infizierten und 92 Prozent der Toten stammen nur aus diesen drei Regionen.

Die SZ nennt auch weitere Gründe für die schnelle Ausbreitung des Virus, etwa das radikal zusammengesparte Gesundheitssystem, das in einem "ungünstigen" Moment von der Corona-Krise getroffen wurde. Auch das Verbot von Flügen aus und nach China, das Transitflüge über Europas Städte jedoch nicht einschloss, könnte eine Rolle spielen. So reisten Passagiere aus China über Paris, Frankfurt und Zürich ungetestet nach Italien ein.

Beginn liegt erst ein Monat zurück

Der offizielle Beginn der Corona-Epidemie in Italien liegt genau einen Monat zurück – es war am 20. Februar, als ein 38-jähriger Mann in der Stadt Codogno in der Lombardei mit COVID-19 ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Einige Mediziner glauben jedoch, dass das Virus schon lange vorher nach Italien gekommen war.

Das Virus zirkuliert wahrscheinlich schon seit geraumer Zeit. Es passierte genau zu dem Zeitpunkt, als wir den Höhepunkt der saisonalen Grippe hatten und die Menschen Symptome zeigten", sagt Flavia Ricardo, Forscherin in der Abteilung für Infektionskrankheiten des italienischen Nationalinstituts für Gesundheit.

Krisenmanagement in Italien: Gut genug?

Nun bleibt die Frage, wie Italien mit der Epidemie fertig wird, denn alle schauen gebannt auf das am stärksten von der Epidemie betroffene Land. Reagiert die Regierung angemessen, verhalten sich die Einwohner diszipliniert? Sind Ausgangssperren wirklich ratsam? Der Chef der chinesischen Rotkreuz-Delegation sorgte heute mit seiner Kritik an den Italienern für Aufsehen. Das Video mit seiner Ansprache verbreitete sich schnell im Internet:

Ich sehe hier in Mailand eine sehr laxe Politik zur Eindämmung des Virus. Der öffentliche Verkehr funktioniert, die Menschen versammeln sich, die Hotels sind geöffnet, viele tragen keine Masken. Ich weiß nicht, was ihr euch dabei denkt.

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Die Mehrheit der Italiener scheint jedoch zufrieden mit dem Krisenmanagement ihrer Regierung zu sein. Ihre Popularität steigt rasant, schreibt die SZ und weist auf eine Umfrage von La Repubblica hin, der zufolge 71 Prozent Ministerpräsident Giuseppe Conte positiv bewerten – ein Wert, von dem sowohl er selbst als auch seine zahlreichen Amtsvorgänger in den letzten Jahren vor der Krise nur träumen konnten.

80 Prozent meinen, Italien gehe besser mit der Krise um als alle anderen Länder Europas. Besorgt sind indes fast alle: 65 Prozent "sehr", 30 Prozent "ziemlich". Laut letzten Meldungen aus den betroffenen Regionen Italiens sind nun zusätzliche 13.000 Soldaten im Rahmen der Mission "Sichere Straßen" entsandt worden. Nun sind es 20.000 Militärangehörige, die über die Einhaltung der Krisenregeln wachen.

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