Als Kroatien im Jahr 1991 die Unabhängigkeit von Jugoslawien erklärte, lebten über 4,7 Millionen Menschen in dem kleinen Land auf dem Balkan. Die Bevölkerung ging in den Kriegsjahren bis 1995 drastisch zurück auf 4,45 Millionen durch Flucht und kriegsbedingte Opfer. Obwohl bis zu 120.000 Menschen wieder zurückkehrten, sollte das Land diesen Wert von 1997 nie wieder erreichen.
Seit 1999 sind die Bevölkerungszahlen rückläufig. Zwischen 2003 und 2010 gab es zwar eine relativ stabile Erholung, aber seit dem EU-Beitritt im Jahr 2013 rennen dem auch bei Deutschen äußerst beliebten Land an der Adria die Menschen davon. Rund 260.000 Kroaten haben seitdem ihre Heimat verlassen, um ihr Glück in verschiedenen EU-Industrieländern zu suchen. Allein in Deutschland lebten Ende 2018 fast 400.000 kroatische Staatsangehörige – viele davon seit Jahrzehnten – fast zehn Prozent der Gesamtbevölkerung. Davon sind allein schon von 2016 bis 2018 etwas über 63.000 Menschen gekommen.
Kurz vor der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft am 1. Januar erklärte Ministerpräsident Andrej Plenković, dass die Abwanderung ein "existenzielles" Problem für Kroatien und einige andere EU-Länder darstellt. Dabei kritisierte er auch zum ersten Mal die Personenfreizügigkeit innerhalb der Europäischen Union, die eine Abwanderung deutlich vereinfacht.
Um diesem Trend politisch etwas entgegenstellen zu können, will Plenković mit einer Art Prämie einen Teil der Auswanderer wieder in die Heimat locken. Zusammen mit Arbeitsminister Josip Aladrović gab er bekannt, dass die Regierung solche Pläne vorbereitet und sie nächsten Monat vorgestellt werden sollen. Die Maßnahmen sollen sich nach dem Modell richten, das Anfang des Jahres für Arbeitslose eingeführt wurde.
Demnach könnten rückreisewillige Menschen bis zu 100.000 Kuna (ca. 13.000 Euro) erhalten, wenn sie sich in Kroatien selbstständig machen. Wenn sie das erste Jahr wirtschaftlich überleben und Sozialabgaben bezahlt haben, müssten sie der Regierung nichts von dem Geld zurückzahlen, das sie erhalten haben. So ist zumindest das Modell für Arbeitslose ausgelegt.
Doch nicht nur Auswanderer sollen in den Genuss solcher Maßnahmen kommen. Auch die inländische Migration soll damit angekurbelt werden, um Menschen wieder in bisher wirtschaftlich schwachen Regionen wie beispielsweise Slawonien anzusiedeln. Jahrelang hatte die Regierung in Zagreb tatenlos zugesehen, wie der Osten des Landes strukturell abgehängt wurde und vor allem junge Menschen in die Hauptstadt zogen.
Während der Demografieexperte Dražen Živić diesen finanziellen Anreiz begrüßt, erinnert er die Politiker daran, dass nur das allein nicht reichen wird, um das eigentliche, das "existenzielle" Problem zu lösen. Gegenüber der Zeitung Večernji list sagte er, dass gleichzeitig die Lebensqualität erhöht werden müsse. Dazu gehöre selbstverständlich eine wirtschaftliche Entwicklung, mehr und bessere Arbeitsplätze und eine familienfreundliche Politik, die sich auf die Geburtenraten auswirken wird. Eine rein finanzielle Steuerung wird nichts bringen, wenn gleichzeitig nach wie vor die politischen und wirtschaftlichen Bedingen vorherrschen, die die Menschen erst ins Ausland zwingen würden, sagte der Experte.
Auch kroatische Auswanderer wie etwa Marijan Jukić in Melbourne/Australien sehen das Programm eher kritisch. Solange die wesentlichen Veränderungen in Kroatien nicht stattgefunden haben, die erst zu diesem Exodus geführt haben, werden sich seiner Meinung nach nicht viele Menschen bereit erklären, in ihre Heimat zurückzukehren. Was in den vergangenen 30 Jahren auch gesellschaftlich schiefgelaufen ist, wird sich nicht mit 100.000 Kuna über Nacht verändern, ist der Experte für Künstliche Intelligenz sicher.
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