Gerne betrachtet sich die Bundesregierung als "Friedensmacht". Genauso selbstverständlich ist diese Selbsttitulierung zum Ausdruck eines neuen außen- und sicherheitspolitischen Selbstverständnisses geworden. Verstärkt setzt man jetzt auf militärische Mittel, um in der Welt, aber auch nach innen mehr sicherheitspolitische "Verantwortung" zu übernehmen.
Vor wenigen Tagen verabschiedete das Bundeskabinett das neue "Strategiepapier der Bundesregierung zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie". Die neue Richtlinie ersetzt den Vorläufer aus dem Jahr 2015 ("Strategiepapier zur Stärkung der Verteidigungsindustrie") sowie das "Strategiepapier zur Stärkung der zivilen Sicherheitsindustrie" des Jahres 2016.
Damit ist auch bereits die Marschrichtung der neuen Strategie vorgegeben, in der die internationalen verteidigungspolitischen "Herausforderungen" mit sicherheitspolitischen Anforderungen nach innen verwoben werden.
So heißt es einerseits, dass die "sicherheits- und verteidigungspolitischen Herausforderungen Deutschlands, der EU sowie der NATO (...) in den zurückliegenden Jahren größer, volatiler und komplexer geworden" seien. Andererseits wird ebenfalls gleich zu Beginn klargestellt:
Im Bereich der inneren Sicherheit ist eine Anpassung der Sicherheitsarchitektur in Deutschland an die gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen erforderlich. Gleichzeitig sind die Potenziale der Digitalisierung zur Gewährleistung der inneren Sicherheit zu nutzen.
Zur "Anpassung der Sicherheitsarchitektur" gesellt sich später im Text die Angleichung der "rechtlichen Befugnisse".
Auch die rechtlichen Befugnisse und technischen Instrumente der Sicherheitsbehörden sind an die neuen Gefährdungslagen anzugleichen. Es bedarf eines Gleichlaufes der Kompetenzen der Sicherheitsbehörden im digitalen wie im analogen Raum und einer zukunftsfähigen Ausgestaltung zentraler Ermittlungsbefugnisse und -fähigkeiten", ist man sich sicher.
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Gemeinsamer Nenner bei den Herausforderungen, denen es sich nun verstärkt zu stellen gilt, ist demnach unter anderem die "Terrorismusbekämpfung". Diese ist folglich eine "Aufgabe der äußeren wie der inneren Sicherheitspolitik".
Mit diesen Problemen konfrontiert, lässt sich das Notwendige aber durchaus mit dem Nützlichen verbinden – und gutes Geld verdienen. So ist Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier überzeugt:
Mit dem neuen Strategiepapier stärken wir die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie in Deutschland und Europa. Wir wollen industrielle Kernfähigkeiten und strategisch relevante Entwicklungskapazitäten in Deutschland wie auch in der EU erhalten und fördern. Die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie besitzt sowohl industrie- wie auch technologiepolitisch eine hohe Bedeutung. Als Ausrüster der Polizeien und anderer ziviler Sicherheitsorganisationen sowie der Bundeswehr leisten die Unternehmen einen unverzichtbaren Beitrag zu unserer inneren und äußeren Sicherheit.
Doch es gilt auch, die Bevölkerung von den eigenen Analysen und Schlussfolgerungen zu überzeugen, um die Kassen der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie klingeln zu lassen.
Teile unserer Gesellschaft stehen der Verteidigungsindustrie und speziell ihren Exportaktivitäten kritisch gegenüber. Diese Einstellung schließt häufig die Rüstungsexportkontrollpolitik der Bundesregierung mit ein", wird im Strategiepapier festgestellt.
Deshalb will man eine "offene Debatte in der Gesellschaft" führen, "um mit einer breiten Öffentlichkeit über die Rolle der Verteidigungsindustrie für die Sicherheitsvorsorge in Deutschland, Europa und darüber hinaus zu diskutieren".
Da sich die Bundesregierung jedoch nicht allein den ausgemachten Bedrohungen zu stellen mag, hat man in den letzten Jahren bereits entscheidende Schritte hin zur Europäischen Verteidigungsunion (EVU) unternommen. Deren Fundamente bilden dabei PESCO (Permanent Structured Cooperation), CARD (Coordinated Annual Review on Defence) und EVF (Europäischer Verteidigungsfonds).
Jetzt gilt es, im Sinne der "Europäisierung" die entsprechend notwendigen strukturellen Rahmenbedingungen fortzuentwickeln und dabei die "Bündnis- und Kooperationsfähigkeit Deutschlands und der EU, insbesondere innerhalb der NATO", zu wahren. Ausschlaggebend ist hier die "Interoperabilität der Streitkräfte in den Bündnissen" zu "erhöhen und zudem durch die Nutzung von Skaleneffekten (economies of scale) Kostensenkungen zu erzielen".
Auf dem Weg der stärkeren Europäisierung der Streitkräfte soll es dabei jenseits von reiner Rüstungskooperation um eine echte und tiefe Integration von militärischen Fähigkeiten gehen. Als Rahmennation will Deutschland so strategische Kooperationen mit anderen Streitkräften eingehen, die dann auch durch Rüstung unterlegt sind.
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Dadurch würde man auch dem drängenden Problem eines faktisch noch nicht realisierten "Verteidigungsbinnenmarktes" begegnen.
In diesem Zusammenhang steht wohl auch der Besuch der deutschen Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer bei ihrer französischen Amtskollegin Florence Parly am Donnerstag in Paris. Vor Ort wurde eine Vereinbarung zur Entwicklung eines Prototypen für ein neues Kampfflugzeug unterzeichnet.
Wir wollen in Europa mit Blick auf die Verteidigungsanstrengungen der Zukunft den Weg gemeinsam gehen. Hinter einem solchen Waffensystem verbirgt sich immer mehr als Technik, es verbirgt sich die gemeinsame Anstrengung, der gemeinsame politische Wille, das gemeinsame strategische Verständnis", erklärte Kramp-Karrenbauer anlässlich der Unterzeichnung.
Das entsprechende Luftkampfsystem FCAS (Future Combat Air System) soll demzufolge von 2040 an einsatzfähig sein. Das Rüstungsprojekt dient jedoch nicht nur dem Bau eines gemeinsamen Kampfflugzeugs. Ziel ist ein Gesamtsystem, das Drohnen oder auch Satelliten steuern kann. Ganz im Sinne der genannten Europäisierung ist nun auch Spanien mit dabei. Drei Verträge über die Aufnahme Spaniens in das Projekt des neuen europäischen Luftkampfsystems wurden bereits unterzeichnet.
Neben der terroristischen Gefahr, der es zu begegnen gilt, will man auch mehr "Verantwortung" übernehmen, wenn es etwa um die "Ukraine-Krise", den "Mittleren und Nahen Osten" oder "Afrika" geht. Darauf kam Kramp-Karrenbauer auch in Frankreich zu sprechen. Vor Ort diskutierte man die "Bedrohung Europas" durch den islamistischen Terrorismus in der Sahelzone.
Es werden große militärische und politische Anstrengungen notwendig sein, um diese Länder zu stabilisieren, das wollen wir europäisch koordinieren", kündigte die deutsche Ministerin nach dem Treffen in Paris an.
Dabei wird man sich jedoch stets von den vielzitierten "westlichen Werten" leiten lassen.
Als verlässlicher Partner in NATO und EU hat Deutschland nicht nur das Interesse an Frieden, Sicherheit und Wohlstand in Europa im Blick, sondern auch die Sicherheitsbedürfnisse seiner Verbündeten und Partner, die Bedeutung von Rüstungskontrolle und Abrüstung sowie die Achtung der Menschenrechte weltweit.
Doch Frieden, Wohlstand und die Menschenrechte sind auch durch "die Erhöhung militärischer Aktivitäten an den Außengrenzen der EU und der NATO" gefährdet. Doch wo vor allem die Grenzen des transatlantischen Verteidigungsbündnisses verlaufen, bestimmt die NATO zunehmend selbst. Sogenannte "Out of area"-Einsätze gehören dabei mittlerweile zum Mittel der Wahl, um "Verantwortung" für die eigene "Sicherheit" zu übernehmen.