Pedro Sánchez von der Sozialistischen Arbeiterpartei Spaniens (Partido Socialista Obrero Español, PSOE) ist nach zwei Parlamentswahlen und zwei Debattenrunden im spanischen Abgeordnetenhaus zur Wahl des Ministerpräsidenten schließlich zum Präsidenten der spanischen Regierung gewählt worden. Nach den Parlamentswahlen im April 2019 hatte Sánchez nicht die notwendige Unterstützung des spanischen Parlaments nach der Investiturdebatte erhalten. Doch nach den Neuwahlen im November 2019 hat er nunmehr die nötige parlamentarische Mehrheit für seine Wahl gewinnen können.
Damit konnte der sozialistische Politiker in der zersplittertesten Volksvertretung, die in Spanien seit der Rückkehr zur Demokratie 1978 gewählt wurde, die Unterstützung der politischen Formationen Unidas-Podemos (UP), Partido Nacionalista Vasco (PNV), Más País/Equo, Compromís, Nueva Canarias (NC), Bloque Nacionalista Galego (BNG) und Teruel Existe auf sich vereinigen.
Einfache Mehrheit von einer Stimme
Nachdem Sánchez in der ersten Abstimmung am Sonntag nicht die erforderliche absolute Mehrheit erreicht hatte, sicherte er sich in der notwendig gewordenen zweiten Abstimmungsrunde am Dienstag die für diesen Fall ausreichende einfache Mehrheit, das heißt mehr Ja- als Neinstimmen. Sánchez erhielt 167 Ja- gegenüber 165 Neinstimmen, bei 18 Enthaltungen von den Abgeordneten der katalanischen Unabhängigkeitsbefürworter von Esquerra Republicana de Catalunya (ERC) und der baskischen Nationalisten von EH Bildu.
Mit dem Ergebnis des Urnengangs im November war klar, dass die Abstimmung zur Wahl von Sánchez – als einzigem Kandidaten mit Möglichkeiten zur Regierungsbildung – äußerst knapp werden würde. Zudem wurde bis zum letzten Moment befürchtet, dass einige Abgeordnete ihr Votum ändern könnten. Denn bereits bei einem Patt zwischen Ja- und Neinstimmen gilt die Wahl zum Ministerpräsidenten als gescheitert.
Während der drei Sitzungstage kam es zu einigen spannungsreichen Momenten, ausgehend von den Reihen der parlamentarischen Rechten. So rief die Fraktionssprecherin der rechtsliberalen Partei Ciudadanos, Inés Arrimadas, offen zum Seitenwechsel bei der Abstimmung auf, indem sie darum bat, dass doch nur ein einziger sozialistischer Abgeordneter mit "Nein" stimmt. Die rechtsextreme Partei Vox forderte sogar einen Staatsstreich. Ihr Abgeordneter im EU-Parlament Hermann Tertsch war zwar nicht im Plenarsaal anwesend, mischte sich jedoch über Twitter im Vorfeld der Debatte ein und rief die Armee zum Handeln auf.
Kritik an der von der PSOE organisierten Stimmenmehrheit
Die Redebeiträge der Vertreter der politischen Formationen, die sich gegen die Ernennung von Sánchez aussprachen, konzentrierten sich auf die von der Sozialistischen Partei organisierten politischen Bündnisse zu seiner Wahl und Regierungsbildung, insbesondere im Hinblick auf die mit der ERC getroffenen Vereinbarungen. Anstatt die vom Kandidaten vorgeschlagenen politischen Maßnahmen zu diskutieren oder Alternativen anzubieten, kam es zu einer schroffen Debatte mit Buhrufen, Geschrei und Beleidigungen.
Weitere scharfe und wiederholte Vorwürfe gegen Sánchez zielten auf die für den Wahlerfolg benötigte Stimmenthaltung der baskischen Unabhängigkeitspartei EH Bildu. Die Rechten beschuldigen sie, Erbin derjenigen zu sein, die den terroristischen Kampf in der Vergangenheit unterstützt hatten. So sind dieser Tage Erwähnungen der Terrorgruppe ETA mit Nachdruck in die öffentliche Debatte zurückgekehrt, obwohl diese Organisation 2011 ihrer militärischen Aktivitäten eingestellt und sich 2018 selbst aufgelöst hatte.
Bedrängen der Sánchez-Unterstützer unter den Abgeordneten
Es blieb nicht bei den Aufrufen an sozialistische Parlamentarier, die Wahldisziplin ihrer Fraktion zu sabotieren. Tatsächlich war der Abgeordnete der Formation Teruel Existe, Tomás Guitarte, einer der am massivsten bedrängten, seit er seine Position zugunsten der Amtseinführung von Sánchez bekannt gegeben hatte.
Der Fraktionsführer von Vox, Santiago Abascal, verwies in seiner Rede vor dem Plenum wiederholt auf Guitarte und rief über die sozialen Medien dazu auf, in der Stadt Teruel zu kampieren, um Druck auf deren Repräsentanten im Parlament auszuüben. Darüber hinaus prangerte Guitarte an, wie in den vergangenen Tagen beleidigende Graffiti in seiner Heimatstadt auftauchten, sowohl gegen ihn als auch gegen seine politische Formation.
Die erste Koalitionsregierung seit dem Ende der Franco-Diktatur
Das Ergebnis der historischen Abstimmung gibt grünes Licht für eine Regierung, die seit dem Übergang des Landes zur Demokratie nach dem Ende der Franco-Diktatur beispiellos ist. Auf diese Weise wird Sánchez auf nationaler Ebene erstmalig eine Koalitionsregierung aus Mitgliedern der beiden linken Parteien PSOE und Unidas-Podemos bilden.
Die Vereinbarung einer solchen Koalitionsregierung trafen beide Parteien bereits zwei Tage nach den Parlamentwahlen am 10. November. Am 30. Dezember veröffentlichten beide politischen Formationen die zwischen ihnen verabredeten wichtigsten Maßnahmen des geplanten gemeinsamen Regierungsprogramms.
Damit wird zum ersten Mal seit der Zweiten Spanischen Republik (1931-1936) eine Partei an der Regierung sein, die programmatisch links von der Sozialistischen Partei steht. Seit der Wiederherstellung der Demokratie nach vier Jahrzehnten der Franco-Diktatur gab es bisher nur Einparteienregierungen der Sozialisten oder der Volkspartei (Partido Popular, PP). Das über lange Jahre stabile Zweiparteiensystem mit wechselnden Regierungen der beiden etablierten Volksparteien PSOE und PP zerbrach im Zuge der schweren wirtschaftlichen, sozialen und politischen Krise seit 2008 mit dem Aufkommen neuer Parteien wie der linken Podemos, der rechtsliberalen Ciudadanos und schließlich der ultrarechten Vox.
Die Aufnahme von UP-Mitgliedern in die zukünftige Ministerriege von Sánchez stand zusammen mit den Bündnissen, die die Sozialisten mit verschiedenen regionalistischen und nationalistischen Kräften geschlossen haben, im Zentrum der Kritik der drei rechten Parteien PP, Ciudadanos und Vox. Deren Sprecher belegten während der Eröffnungssitzung Sánchez mit Beleidigungen wie Verräter, Lügner, Soziopath, Antiklerikalist, Bürgerkrieger, Betrüger oder Scharlatan.
Die Vorzeigeprojekte der neuen progressiven Regierung
Viele der wichtigsten Maßnahmen, die die neue Exekutive aus beiden linken Parteien umsetzen will, waren bereits seit der Veröffentlichung des geplanten Regierungsprogramms bekannt. Sánchez selbst hatte sie in seinen Eröffnungsreden zu beiden Abstimmungsrunden der Wahl zum Regierungspräsidenten erneut umrissen.
So kündigte Sánchez eine Steuererhöhung für die höchsten Einkommen (ab 130.000 Euro Jahreseinkommen) und eine progressive Anhebung der Mittelzuweisungen für Bildung und Gesundheit auf fünf bzw. sieben Prozent des BIP im Laufe der Legislaturperiode an.
Im Bildungswesen ist ein neues Gesetz vorgesehen, das zwar erst im Jahr 2021 in Kraft treten soll, doch bereits zuvor seine Wirkungen entfalten kann und Religion aus den notenrelevanten Schulfächern ausschließt.
Auf die katholische Kirche bezieht sich auch das Vorhaben, die von dieser religiösen Institution in Spanien in den letzten Jahrzehnten vorgenommenen Grundbuchregistrierungen zu überprüfen. Diejenigen Immobilien, die in irregulärer Weise auf den Namen der Kirche registriert wurden, sollen an ihre rechtmäßigen Eigentümer rückübertragen werden.
Im sozialen Bereich plant die neue Regierung, den Mindestlohn auf 60 Prozent des nationalen Durchschnittslohns (rund 1.200 Euro) anzuheben, eine Grundsicherung einzurichten, die Renten jährlich gemäß dem Verbraucherpreisindex zu aktualisieren und den Gemeinderäten Instrumente an die Hand zu geben, um den Anstieg der Wohnungsmietpreise zu begrenzen.
In seiner programmatischen Eröffnungsrede der Investiturdebatte kündigte Sánchez an, dass der 31. Oktober zum Gedenktag für die Opfer des Franquismus und der 8. Mai zum Gedenktag für die Opfer des Exils erklärt werden soll. Als weitere Maßnahme zur Aufarbeitung der Jahrzehnte des spanischen Faschismus und der Diktatur ist die Rückführung in den Staatsbesitz von Gütern vorgesehen, die durch das Franco-Regime privatisiert wurden.
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