Die Sanktionen der USA gegen die Erdgasleitung Nord Stream 2 zwischen Russland und Deutschland sorgen hierzulande für Ärger. Sogar Kritiker des Pipelineprojekts befürworten nun, als "Moleküle der Freiheit" getauftes US-amerikanisches Flüssiggas mit "Klimazöllen" zu bestrafen.
Die Drohung mit "zerstörerischen Sanktionen", die als Teil des von US-Präsident Donald Trump in der vergangenen Woche unterzeichneten US-Militärhaushaltes wirksam werden können, haben bereits die schweizerisch-niederländische Firma Allseas veranlasst, ihre Bauarbeiten am letzten Abschnitt der zweiten Nord Stream-Pipeline in der Ostsee zwischen Russland und Deutschland einzustellen.
Die Wirtschaftsexpertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin bezeichnet die Sanktionen als Strategie der USA, ihr eigenes Flüssiggas (LNG) möglichst teuer nach Deutschland und Europa zu verkaufen. Sie wirft Washington und Moskau gleichermaßen vor, Gas als politische Waffe einzusetzen.
Kemfert, die zwar das Projekt Nord Stream 2 als "ökologisch schädlich und ökonomisch unnötig sowie finanziell unprofitabel" kritisiert, verurteilt jedoch die US-Sanktionen als "inakzeptabel", die eine Antwort der EU erfordern:
Europa sollte erwägen, Klimazölle gegen die Vereinigten Staaten zu verhängen, sodass ökologisch schädliches Frackinggas nicht von den Vereinigten Staaten nach Deutschland und Europa exportiert werden kann.
Während die Regierung in Berlin von ihrem "Bedauern" über die "Einmischung in unsere inneren Angelegenheiten" durch die USA sprach, hat sie keinerlei Maßnahmen dagegen ergriffen. Der Vorstoß von Kemfert, den zuerst das Handelsblatt zum Wochenbeginn aufgegriffen hatte, scheint bisher der erste Vorschlag einer Vergeltungsmaßnahme zu sein.
Auch scheint dies das erste Mal zu sein, dass auf dieser Ebene US-amerikanisches Flüssiggas als ökologisch schädlich kritisiert wird. Dieses wird zum größten Teil über Hydraulic Fracturing, kurz "Fracking", gewonnen, ein Verfahren, das von seinen Gegnern für das Auslösen von Erdbeben und die Vergiftung des Grundwassers verantwortlich gemacht wird.
Nicht ohne Ironie ist dabei, dass Deutschland einer der größten CO2-Emittenten Europas ist, weil es nahezu die Hälfte seiner Energieerzeugung durch Kohlekraftwerke deckt. Berlin hat in den zurückliegenden Jahren enorme Subventionssummen in alternative Energiegewinnung über Wind, Sonne und Biotreibstoffe gesteckt und gleichzeitig beschlossen, komplett aus der heimischen Kernenergie auszusteigen. Dies hat dazu geführt, dass die Strompreise hierzulande europaweit zu den teuersten zählen. Deutschland ist damit besonders empfänglich für die Nutzung günstigerer Energiequellen – wie beispielsweise russisches Erdgas.
Unterdessen bezeichnete der US-Botschafter in Berlin, Richard Grenell, die Sanktionen als "eine sehr pro-europäische Entscheidung", weswegen sich dankbare "europäische Diplomaten" bei ihm gemeldet hätten. Während Grenell die Staaten dieser Repräsentanten nicht näher benannte, hatten sich sowohl die EU-Mitglieder Polen und die baltischen Staaten als auch das Nichtmitglied Ukraine unverblümt gegen Nord Stream 2 ausgesprochen.
Die Kritik aus Washington, Kiew und Warschau an dem Projekt ist hauptsächlich politischer Natur, bei der es um den möglichen Einflussverlust geht, statt um das Wohlergehen Europas. Die Vereinigten Staaten verurteilen die "zunehmende Abhängigkeit" der EU von russischem Gas und bieten stattdessen ihr eigenes Flüssiggas – offiziell tatsächlich "Moleküle der Freiheit" genannt – als Alternative, allerdings zu einem deutlich höheren Preis.
Warschau und Kiew wiederum beklagen, dass Nord Stream 2 sie jeweils um Milliarden US-Dollar bringen würde, die sie seit Jahren an Gebühren für den Transit von russischem Gas verdienen. Die Pläne für eine Erweiterung der existierenden Nord Stream-Pipeline durch eine zweite Leitung (Nord Stream 2) gehen auf den Streit zwischen der Ukraine und Russland 2009 zurück, als Kiew während extremer Winterkälte die Durchleitung russischen Gases nach Europa blockiert hatte, um von Moskau bessere Konditionen herauszuschlagen.
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