Wahlprogramm wie eine "Wunschliste": Ex-Premier Tony Blair wirft Labour-Chef Corbyn Versagen vor

Der ehemalige britische Premierminister und Labour-Chef Tony Blair hat nach dem desaströsen Wahlergebnis für die Sozialdemokraten schwere Vorwürfe gegen den aktuellen Parteichef Jeremy Corbyn erhoben. Die Partei habe sich in eine Protestbewegung verwandelt.

Labour habe mit dem unpopulären Jeremy Corbyn an der Spitze eine "Strategie zum Verlieren" verfolgt, sagte der britische Ex-Premier Tony Blair am Mittwoch bei einer Rede in London.

Das in einer Zeit der nationalen Krise zu tun, wenn eine glaubhafte Opposition so wichtig für das Interesse des Landes ist, ist unverzeihlich", so der heute 66-Jährige.

Labour hatte bei der britischen Parlamentswahl vergangene Woche 59 Mandate verloren und damit das schlechteste Ergebnis seit 1935 eingefahren. Der konservative Premierminister Boris Johnson hingegen kann nun mit einer satten Mehrheit regieren. Labour musste zudem viele ihrer jahrzehntelangen Hochburgen an die Tories abgeben.

"Jeder Depp" könne Versprechungen machen

Geschadet hat der Labour-Partei laut Blair etwa die unklare Haltung zum Brexit. Er nannte sie "fast schon komische Unentschlossenheit". Corbyn hatte ein zweites Brexit-Referendum in Aussicht gestellt, sich aber nie festgelegt, auf welcher Seite er im Streit über den EU-Austritt stand. Blair hatte seit Langem dafür plädiert, sich deutlich gegen den Austritt zu positionieren.

Zudem übte Blair scharfe Kritik an Corbyns "quasi-revolutionärem Sozialismus", der nun gescheitert sei. Corbyn habe "eine Idee, eine Marke des quasi-revolutionären Sozialismus verkörpert, der extrem linke Wirtschaftspolitik mit einer tiefen Feindseligkeit gegenüber der westlichen Außenpolitik" vermische.

Corbyns Plan: Verstaatlichung verschiedener Bereiche der Grundversorgung

Auch sein Wahlprogramm, das einer Wunschliste geglichen habe, hätte der Partei geschadet. "Jeder Depp" könne Versprechungen machen, was alles umsonst sein solle, sagte Blair. Doch die Leute hätten sich nicht für dumm verkaufen lassen. Während des Wahlkampfes versuchte Labour, vor allem mit sozialen Themen wie Wohnungsnot, marodes Gesundheitssystem und Bildung zu punkten. Eines der umstrittensten Pläne von Corbyn war die Verstaatlichung verschiedener Bereiche der Grundversorgung – etwa die Energie- und Wassernetze sowie Post und Eisenbahn. Unternehmerverbände liefen dagegen Sturm.

Laut Blair habe sich die Partei unter Corbyn in eine Protestbewegung verwandelt, die von linksgerichteten Idealen getrieben gewesen sei, sagte der Ex-Regierungschef (1997-2007). Sollte sich Labour nicht in eine "progressive moderne Koalition" verwandeln, sei die Partei am Ende. Unter der Führung von Blair verfolgte die Partei einen wirtschaftsfreundlichen Kurs.

Corbyn will im Frühjahr 2020 von seinem Amt als Parteichef zurücktreten. Für seine Nachfolge brachten sich am Mittwoch der Brexit-Experte Keir Starmer und die außenpolitische Sprecherin Emily Thornberry in Stellung. Sie gehören beide zum gemäßigten Flügel der Partei. Die besten Chancen werden bislang aber der wirtschaftspolitischen Sprecherin Rebecca Long-Bailey vom linken Parteiflügel eingeräumt.

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(rt deutsch/dpa/reuters)