"Erpressung seitens Erdoğans" – Türkei blockiert NATO-Verteidigungsplan für das Baltikum

Ankara soll die NATO erpresst haben: Man wolle den vorgeschlagenen "Verteidigungsplan" für das Baltikum und Polen erst unterzeichnen, wenn das Bündnis die kurdisch geführte Miliz YPG in Nordsyrien offiziell als "terroristische Gruppe" anerkennt, so ein Reuters-Bericht.

Die Einigung auf einen neuen NATO-"Verteidigungsplan" für die osteuropäischen Länder ist von einer Formalität zu einer wahrhaften diplomatischen Schlacht eskaliert, berichtete Reuters am Dienstag unter Berufung auf vier hochrangige Quellen innerhalb des Blocks.

"[Die Türken] nehmen Osteuropäer als Geiseln und blockieren die Genehmigung dieser militärischen Planung, bis sie Entgegenkommen sehen", so eine der Quellen.

Der türkische Gesandte sei angewiesen worden, den Plan, der von allen NATO-Mitgliedern einstimmig genehmigt werden muss, nicht zu unterzeichnen, bis das Bündnis die kurdisch dominierten sogenannten Volksverteidigungseinheiten in Syrien (YPG) als Terroristen anerkennt.

Die YPG ist die Kerngruppe der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) genannten Miliz, die kürzlich zum Ziel eines neuen Angriffs des türkischen Militärs wurde. Die Gruppe, die als langjähriger Verbündeter der USA gegen die Terrormiliz Islamischer Staat kämpfte, wird von Ankara als Ableger der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) betrachtet – die nicht nur von der Türkei, sondern auch von den USA als terroristische Organisation angesehen wird.

Polen und die drei baltischen Staaten – Estland, Lettland und Litauen – baten die NATO um mehr militärische Hilfsgelder und militärische Präsenz – mit dem Argument, einer unmittelbaren Gefahr einer Aggression durch Russland ausgesetzt zu sein. Für das Letztgenannte erbrachten sie allerdings keinerlei Beweise.

Und obwohl zum diskutierten Plan zur "Verteidigung" der baltischen Staaten weder Wortlaut noch irgendwelche Details öffentlich vorliegen, kann man davon ausgehen, dass es dabei um einen Ausbau der aktuell auf Rotationsbasis in Estland, Lettland und Litauen etablierten militärischen Präsenz  anderer NATO-Verbündeter geht. Diese Staaten wären bei einer NATO-Kampagne gegen Russland ein wichtiger Brückenkopf, zumal sie an die am dichtesten besiedelten Gebiete Russlands angrenzen.

Ebenso wäre bei einer Verabschiedung dieses "Verteidigungsplans" davon auszugehen, dass die NATO-Manöver im Ostsee-Raum zu Lande, zu Wasser und in der Luft, die in den letzten Jahren ohnehin recht häufig stattfanden und groß angelegt waren, ebenfalls intensiviert werden. Ein Indiz dafür ist die Reaktion des ehemaligen Befehlshabers des estnischen Militärs, Ants Laaneots, auf das Verhalten der Türkei:

Das ist Erpressung seitens Erdoğans. Ich glaube, die NATO-Leitung sollte hier irgendeine Entscheidung treffen", zitiert das estnische Nachrichtenportal news.err.ee den General a. D..

Die türkische Blockade droht die geplanten Feierlichkeiten auf dem NATO-Gipfel zum 70-jährigen Jubiläum in London gehörig zu versalzen. Ankara zeige sich jedoch unnachgiebig: Es werde für den Plan nur dann grünes Licht geben, wenn es vom Block Zugeständnisse erhält.

"Jeder kritisiert sie [die Türken], aber wenn sie nachgeben, wird es auf Kosten der Nichteinmischung in ihre Syrien-Strategie gehen", kommentierte eine der Quellen.

Die von der NATO vermeldete Unnachgiebigkeit der Türkei wird, wenn sie sich bestätigen sollte, die aktuellen Probleme der NATO nur noch verschlimmern. So kritisierte US-Präsident Donald Trump wiederholt die Mitglieder der Allianz, weil sie ihren Verpflichtungen bezüglich der Militär-Haushaltspläne nicht nachkommen: Nur sieben der 29 NATO-Mitglieder geben derzeit mindestens zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für das Militär aus – und während Polen und das Baltikum zu diesen gehören, gehört die Türkei nicht dazu.

Die Türkei hat jedoch das zweitgrößte Militär innerhalb des Bündnisses und nimmt die strategische Position an dessen Ostflanke ein, die sowohl an Russland als auch an den Nahen Osten angrenzt. Allerdings war Ankaras Beziehung zu den USA in letzter Zeit äußerst turbulent, nicht zuletzt durch Ankaras Erwerb russischer S-400-Flugabwehrsysteme sowie durch die Operation des türkischen Militärs in Nordsyrien.

Die Türkei hätte Trumps Rückzug der US-Truppen als stillschweigende Zustimmung für ihre "Operation Friedensquelle" ansehen können, doch in Washington hält man daran fest, nach wie vor mit den kurdisch geführten Milizen in Syrien "verbündet" zu sein. Die USA forderten die Türkei wiederholt auf, bei ihrer Militärkampagne gegen die kurdischen Milizen Zurückhaltung zu üben.

Mehr zum Thema – Kramp-Karrenbauer im Baltikum – Mögliche Ausweitung des NATO-Militäreinsatzes