Beim Treffen mit Plenković im Banuspalais in Zagreb besprach Merkel mit ihrem kroatischen Amtskollegen das Vorgehen beider Länder während der gemeinsamen EU-Ratspräsidentschaft im nächsten Jahr, die sich Kroatien und Deutschland teilen. Insbesondere die von Frankreich vorerst gestoppte EU-Erweiterung auf dem Balkan stand ganz oben auf der Prioritätenliste. Man wolle alles dafür tun, die Voraussetzungen für die Aufnahme von Nordmazedonien und Albanien in die EU zu schaffen. Aber auch die Aufnahme Kroatiens in das Schengener Abkommen wurde besprochen, was derzeit insbesondere von Slowenien blockiert wird.
Bei der anschließenden Pressekonferenz wurde von einem ARD-Journalisten die Frage aufgeworfen, ob Kroatien angesichts der Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen im Umgang mit den Migranten an der kroatisch-bosnischen Grenze überhaupt die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen könne. Angela Merkel ließ diese Kritik nicht gelten und meinte:
Aus deutscher Perspektive haben wir auch Erfahrungen mit Flüchtlingen und Migranten gemacht. Aber aus der Perspektive eines Landes, das die (EU-) Außengrenze schützen soll, sieht das natürlich nochmal anders aus, als aus der Perspektive eines Landes, das in der Mitte des Schengen-Raumes ist.
Damit bestätigte die Kanzlerin indirekt Aussagen von kroatischen Polizisten, dass ihr hartes Vorgehen gegen Migranten, die illegal aus Bosnien und Herzegowina über die Grenze kommen, auf Anordnung von "ganz oben" geschehe. Insbesondere das Geständnis eines Polizisten Ende Juli sorgte für großes Aufsehen in Kroatien, als er bestätigte, dass die Polizei auf Anordnung sowohl gegen kroatische als auch internationale Gesetze verstoße. Zwar müssten die Polizisten Befehle den ranghöheren Instanzen melden, wenn sie der Auffassung sind, dass diese nicht gesetzeskonform sind. Doch in diesem Fall könnten sie sich an niemanden wenden, weil die dafür zuständigen Stellen auch diejenigen sind, die diese illegalen Befehle erteilten. "Das ist ein offenes Geheimnis", sagte er weiter.
Selbst Kroatiens Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarović gab in einem Interview mit dem Schweizer Fernsehsender SRF zu, dass die Polizei "ein bisschen Gewalt" anwendet, um die Migranten wieder zurück nach Bosnien und Herzegowina zu drängen. Ohne Rückendeckung aus der EU wäre solch ein Eingeständnis wohl nicht möglich gewesen. Und jetzt bestätigte Angela Merkel in Zagreb direkt, dass Kroatien die Rolle des Verteidigers der EU-Außengrenzen spielt und sie offenbar keinerlei Probleme damit hat, dass es dabei auch zu Szenen kommt, die sie selbst an deutschen Grenzen nicht gern sehen würde.
"Keine öffentlich schwer vermittelbaren Bilder"
Denn kurz bevor die Flüchtlingswelle im Herbst 2015 Deutschland erreichte, beschloss die Bundesregierung eigentlich, die Grenzen ebenfalls dicht zu machen. In seinem Buch "Die Getriebenen – Merkels Flüchtlingspolitik. Report aus dem Inneren der Macht" des Journalisten Robin Alexander, schilderte er, wie am 12. September 2015 vereinbart wurde, dass solche Flüchtlinge und Migranten, von denen Merkel in Zagreb sprach, an der deutschen Grenze zurückgewiesen werden.
Doch bei der dafür am nächsten Tag anberaumten Einsatzplanung des Innenministeriums äußerten die Beamten rechtliche Bedenken für solch ein Vorgehen. Daraufhin verließ laut Robin der damalige Innenminister Thomas de Maizière das Treffen und rief seine "Chefin" an – die Bundeskanzlerin Angela Merkel. In diesem Gespräch habe sie keine Entscheidung getroffen, sondern lediglich darauf bestanden, dass die Grenzschließung juristisch wasserdicht sein müsse und es keine öffentlich schwer vermittelbaren Bilder vom Einsatz der Bundeswehr und Polizei gegen Migranten geben dürfe. Der Rest ist Geschichte.
Was Merkel an der deutschen Grenze zu Österreich nicht gern sehen wollte, geschieht nun aber an der bosnisch-kroatischen Grenze mit offensichtlicher Duldung der EU und der Kanzlerin, wenn nicht sogar im Auftrag aus Berlin und Brüssel.
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