von Wladislaw Sankin
Es ist kein "Jubiläum", das man feiern sollte, stellte Michael Harms, der Vorsitzende der Geschäftsführung des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft, am Anfang der Diskussionsrunde klar. Aber eine Zäsur, die zum kritischen Umdenken motivieren sollte. Die Konferenz "Fünf Jahre Russlandsanktionen – wie kommen wir raus aus der gegenseitigen Blockade?", die er eröffnet, findet in den Räumen des Deutschen Bundestages statt.
Dem Wirtschaftsmann pflichtet auch der zweite Veranstalter bei – Klaus Ernst (Die Linke), der Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft und Energie. Später, als er zu Wort kommt, wird er die Gründe aufzählen, warum die Sanktionen aufgehoben werden sollten. Zunächst aber hören die Anwesenden von den Problemen der deutschen Unternehmen, die den Sanktionen ausgesetzt sind.
Harms erzählt von der Schwierigkeit speziell für deutsche Mittelständler, auf den russischen Markt zu kommen. Allein schon die juristische Überprüfung, ob man bei den russischen Partnern nicht die eine oder andere Sanktion verletze, überfordert die meisten. Die Regulierung von russischer Seite habe aber auch zugenommen, die Rede ist von Protektionismus. Es dauere in der Regel mehrere Monate, bis man mit der ersten Lieferung beginnen könne. Spätestens dann entscheiden sich viele deutsche Unternehmen, ihre Standorte und Partner in anderen Ländern zu suchen, wenn sie nicht es schon früher aus "politischen Reputationsgründen" getan haben.
Die Zahl der deutschen Unternehmen, die noch auf dem russischen Markt aktiv sind, beziffert Harms auf 5.000. Zwischen den Zeilen ist rauszuhören: Es werden immer weniger. In seinem Impulsvortrag spricht er auch von der Umorientierung der russischen Partner, die wegen fehlender Rechtssicherheit den Deutschen zunehmend den Rücken zukehren und auf Geschäfte mit China orientieren. Deutschland rangiert zwar nach wie vor auf dem zweiten Platz unter den russischen Handelspartnern, der Rückstand auf China, das den ersten Platz belegt, sei aber auf das Doppelte gestiegen. Das Sanktionsregime sei mit Planungssicherheit unvereinbar.
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Wirtschaftswissenschaftler treten in der Runde ebenfalls auf und beziffern den globalen Handelsverlust aufgrund der Russlandsanktionen bis Ende 2018 auf 300 Milliarden Dollar. Allerdings sei es schwer, zwischen Konjunkturschwankungen und Auswirkungen der Sanktionen zu unterscheiden. Während in Deutschland vor allem wegen der russischen Gegensanktionen auf Agrarerzeugnisse vielen Unternehmen Einnahmen wegbrechen und Arbeitsplatzverluste drohen, sind in Russland vor allem Verbraucher die Leidtragenden. Seit dem Inkrafttreten des Embargos seien die Lebensmittelpreise im Schnitt um zwölf Prozent gestiegen.
Dass die Sanktionen schädlich sind, darüber ist man sich im Saal einig. Nach Impulsvorträgen bittet der Moderator die Vertreter der vier Bundestagsparteien – zwei von der Opposition, zwei von den Regierungsfraktionen – um ihre politische Einschätzung der Notwendigkeit einer Fortsetzung der Sanktionspolitik.
Die FDP-Abgeordnete Sandra Weeser findet die Sanktionen als Druckmittel notwendig, denn sie waren ihr zufolge eine Antwort auf "eklatante Völkerrechtsbrüche" Russlands in der Ukraine. Obwohl die Verhängung von Sanktionen und Handelseinschränkungen dem Geist der freien Demokraten eigentlich zuwider seien. Der Abbau der Sanktionen sei aber grundsätzlich möglich, wenn beispielsweise im Minsker Prozess Fortschritte gemacht werden. Dafür sei eine Art "Roadmap" hilfreich.
Bernd Westphal von der SPD gehört auch zu den Befürwortern der Sanktionen, spricht sich aber viel deutlicher für deren Abbau aus. Er beruft sich dabei auf die Tradition der Friedenspolitik, die in der SPD "parteipolitisch verhaftet" sei. "Wir Europäer müssen selbständiger und souveräner sein", sagte er und hofft, die Bundesregierung möge auf die neue Linie des französischen Präsidenten Emmanuel Macron einschwenken. Er hat vor Kurzem die Annäherung an Russland auf die Agenda gesetzt. Nach fünf Jahren Sanktionen sei es an der Zeit, den ersten Schritt zu machen. Die konkrete Umsetzung einer gemeinsamen EU-Linie sei im Rahmen des EU-Rates zusammen mit Frankreich möglich.
Andreas Metz vom Ost-Ausschuss, der die Konferenz moderiert hat, äußert da seine Zweifel. Die EU sei in dieser Frage zu sehr gespalten, es gebe zu viele lautstarke Befürworter, vor allem in Baltikum und in Polen. Nun hat wieder Klaus Ernst das Wort. Er ist ehemaliger Gewerkschafter und kommt nicht aus dem Osten, sondern aus Franken. Er verweist auf seinen beruflichen Hintergrund und sagt, die Unternehmen spielen eine große Rolle für den Weltfrieden.
Er schätzt die deutschen Chancen, den Abbau der Sanktionen auf EU-Ebene zu bewirken, als groß ein. Deutschland habe am meisten unter den Sanktionen gelitten, darauf sollte man Rücksicht nehmen. Er setzt die Aufhebung der Sanktionen in Zusammenhang mit den EU-Strategien gegen die exterritorialen Sanktionen der USA. Dieses Damoklesschwert hängt seit mehreren Monaten über europäische Unternehmen. Um diese abzuwenden, sollte man die einseitigen Sanktionen zurücknehmen. Die Sanktionen schwächen Europa und Russland gegenseitig, und dies sei im Interesse der USA, aber nicht im europäischen Interesse.
Auf der Konferenz und im späteren Gespräch mit RT sagt Ernst, die Sanktionen hätten ihren Zweck nicht erfüllt und die angestrebte Änderung der russischen Politik nicht bewirkt. Diese Erkenntnis ist aber seit Jahren schon zum Allgemeinplatz geworden. Demgegenüber steht die Ansicht der Transatlantiker in Presse und Politik, die Sanktionen hätten die Russen in der Ukraine sehr wohl aufgehalten. Sonst hätte sich Russland mit großer Sicherheit neben der Krim auch den Donbass und den ukrainischen Südosten einverleibt.
Doch Ernst geht über die Allgemeinplätze hinaus und stellt nun die Legitimität der Sanktionen in Frage. Sein Argument: Diese seien nur dann zulässig, wenn sie ihren Zweck erfüllen. Tun sie dies nicht, dann verlieren sie ihre Legitimität. Im Interview geht er noch mal auf den Anlass der ersten Sanktionen ein – die Eingliederung der Krim in die Russische Föderation. Es sei unglaubwürdig, von Russland die Einhaltung des Völkerrechts zu verlangen, wenn man es selbst verletzt. Als historisches Beispiel nennt er jedoch nicht das Kosovo oder den Irak, sondern die Umstände der EU-Verhandlungen mit der Ukraine über das Assoziationsabkommen unter Ausschluss Russlands vor sechs Jahren. "Das haben wir damals auch schon diskutiert."
Professor Herwig Roggemann, ein bekannter Berliner Rechtswissenchaftler, meldet sich zum Schluss der Veranstaltung zu Wort und bezeichnet die Sanktionen als "höchst problematisch aus der Sicht des Völkerrechts". Bei dem SPD-Politiker Westphal stößt das auf Unverständnis, die Verletzung des Rechts durch Russland sei viel schlimmer gewesen. Ebenso verhallt der Hinweis des Politikwissenschaftlers Alexander Rahr auf die Ukraine als Nutznießer der Sanktionspolitik ungehört. "Welches Interesse hat dann die Ukraine, die Minsker Abkommen umzusetzten, wenn bei deren Umsetzung die von ihr gewollten Russlandsanktionen fallen würden?", fragt der Experte.
Diese Fragen wurden in den letzten Monaten mit der "Hoffnung auf den neuen ukrainischen Präsidenten" abgetan. Dass dieser genauso wie sein Vorgänger sogar die Verschärfung der Sanktionen gegen Russland fordert und seinem Nachbarland "Aggression und Krieg in Zentraleuropa" vorwirft (wie etwa in seiner Rede bei der UNO), findet dabei keine Beachtung.
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Peter Ramsauer von der CSU verweist in seinem Statement darauf, dass er sich nach 29 Jahren im Parlament keinen Fraktionsrichtlinien mehr unterwerfen müsse. Tatsächlich, der 65-Jährige Ex-Bundesminister redet wie ein Freigeist. Die Transatlantiker in seiner Fraktion seien "Fantasten", die keine Ahnung von Russland hätten. Er sei bereits als 18-Jähriger in Russland gewesen. Ramsauer schlägt vor, die Sanktionen stufenweise "rasch abzubauen". Die Union mit der "Berliner-CDU" und seiner "Münchner CSU" sei flexibel genug für so einen Politikwechsel.
Ernst, der "Hausherr der Konferenz", zeigt sich nach dem Ende der Veranstaltung zufrieden. Es sei zum ersten Mal in so breiter Form im Bundestag über den Ausstieg aus den Sanktionen geredet worden. Rahr ist dagegen skeptisch. Leute, die gegen die Sanktionen auftreten, seien "isoliert", Bundesregierung, Presse und ein transatlantisch verzweigtes Stiftungswesen verfolgen nach wie vor ihren antirussischen Kurs, und die ukrainische Weigerung, die Minsker Abkommen umzusetzen, erhält deren volle Rückendeckung. Vor diesem Hintergrund verschlechtern sich die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen, und die deutschen Unternehmen verlassen langsam den russischen Markt.