Am 19. September hat das Europäische Parlament eine Resolution verabschiedet, in der der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt vom August 1939 zu einer direkten Ursache für den Zweiten Weltkrieg erklärt wurde. Das Dokument wurde auf Initiative Litauens und mit Unterstützung der polnischen Abgeordneten der Europäischen Konservativen und Reformer erarbeitet. Im verabschiedeten Text steht unter anderem Folgendes:
Das Europäische Parlament betont, dass der Zweite Weltkrieg, der verheerendste Krieg in der Geschichte Europas, als unmittelbare Folge des auch als 'Hitler-Stalin-Pakt' bezeichneten berüchtigten Nichtangriffsvertrags zwischen dem nationalsozialistischen Deutschen Reich und der Sowjetunion vom 23. August 1939 und seiner geheimen Zusatzprotokolle ausbrach, in deren Rahmen die beiden gleichermaßen das Ziel der Welteroberung verfolgenden totalitären Regime Europa in zwei Einflussbereiche aufteilten.
Dabei zeigten sich die Abgeordneten darüber besorgt, dass "nach wie vor Symbole totalitärer Regime in der Öffentlichkeit und zu kommerziellen Zwecken verwendet werden" und dass "es im öffentlichen Raum einiger Mitgliedsstaaten noch immer Denkmäler und Gedenkstätten gibt, die totalitäre Regime verherrlichen, was der Verfälschung historischer Tatsachen über die Ursachen, den Verlauf und die Folgen des Zweiten Weltkriegs Tür und Tor öffnet".
In seiner Resolution warf das Europäische Parlament Russland vor, "historische Tatsachen zu verfälschen und die vom totalitären Regime der Sowjetunion begangenen Verbrechen schönzufärben". Man betrachte dies als "eine gefährliche Komponente des Informationskriegs gegen das demokratische Europa, der auf die Spaltung des Kontinents abzielt". Die Europäische Kommission solle dem deswegen entschlossen entgegenwirken.
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Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Marija Sacharowa, bezeichnete die Resolution mit dem Titel "Bedeutung der Erinnerung an die europäische Vergangenheit für die Zukunft Europas" als Ansammlung revisionistischer Behauptungen und erklärte, dass die Vorwürfe der EU-Parlamentarier nichts mit der Geschichte zu tun hätten.
Indem das Europäische Parlament die für sich selbst unangenehmen Seiten der Geschichte verschweigt und eine retuschierte Version der Ereignisse nach eigenem Belieben auslegt, verliert es endgültig jeden Sinn für die Realität. Diese besteht aber darin, dass in einigen Ländern Europas Naziverbrecher rehabilitiert werden, massenhafte Umzüge von Waffen-SS-Veteranen und deren Anhängern stattfinden und sich Neonazi-Organisationen wohlfühlen. Das ist nun die wahre Gefahr für die grundsätzlichen Prinzipien der Demokratie und der Menschenrechte", so Sacharowa.
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Die russische Diplomatin betonte auch, dass Russland die Geschichtsverfälschung entschieden ablehne. Die Geschichte müsse von verantwortungsvollen Fachleuten geschrieben werden – und nicht von Politikern, die sie zu eigennützigen Zwecken missbrauchen.
Einen Tag vor der Abstimmung war aus dem Resolutionsentwurf eine kritische Erwähnung des Münchner Abkommens vom September 1938 entfernt worden, aufgrund dessen die Tschechoslowakei das Sudetenland an das Dritte Reich hatte abtreten müssen.
Das war übrigens nicht die erste Resolution des Europäischen Parlaments, die den sogenannten Hitler-Stalin-Pakt verurteilte. Ein ähnliches Dokument war bereits vor zehn Jahren verabschiedet worden. Darin wurde allerdings Russland noch nicht direkt beschuldigt, die Geschichte zu fälschen.
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