Setzt NATO "Kindersoldaten" ein?

Die Kriege der vergangenen 17 Jahre fordern bei einigen NATO-Mitgliedern ihren Tribut. Nicht nur die verpulverten finanziellen Ressourcen, sondern auch die menschlichen Ressourcen für die Armeen werden knapp. Deshalb werden mancherorts bereits 16-Jährige rekrutiert.

Noch ist die Menschheit nicht so weit, Kriege ohne Soldaten zu führen. Für die Länder ohne Wehrpflicht bedeutet das also, sich ständig um neue Rekruten für ihre Armee bemühen zu müssen. Dass das in der heutigen Zeit immer schwieriger wird, zeigt sich auch in den USA oder in Israel, wo die Armee heroisiert und Kriege durch Medien und Filmindustrie spektakulär verharmlost werdem. Dieses Wunschbild prallt auf die brutale Realität jedes Krieges und führt dazu, dass viele Soldaten desillusioniert und mit posttraumatischen Störungen zurückkehren, die nicht selten sogar in einem Freitod enden können.

Für die Rekrutierung von Nachwuchs ist das natürlich keine gute Werbung. Deshalb wenden sich einige Länder bereits an Minderjährige, um deren Naivität und mancherorts auch die drohende Jugendarbeitslosigkeit auszunutzen, um die Kasernen zu füllen. Und das geschieht nicht etwa nur in einigen Ländern Afrikas, wo die internationale Gemeinschaft zurecht den Missbrauch von Kindersoldaten voller Entrüstung verurteilt, sondern auch beim transatlantischen Militärbündnis NATO.

Kindersoldaten bei der NATO? Was wie ein unglaublich schlechter Witz klingt, trifft laut UNICEF-Definition auf einige Armeen der Allianz zu. Demnach gelten als Kindersoldaten "alle Personen unter 18 Jahren, die von bewaffneten Streitkräften oder Gruppen rekrutiert oder benutzt werden …, unter anderem als Kämpfer, Köche, Träger, Boten, Spione oder zu sexuellen Zwecken."

Während in den USA und in Deutschland Jugendliche dagegen ab 17 Jahren zugelassen werdene, rekrutiert Großbritannien sogar Minderjährige bereits ab 16 Jahren für die Königliche Armee. Dabei wird offensichtlich gezielt und vermehrt in Gegenden geworben, wo sich einkommensschwächere Familien niedergelassen haben und daher den Jugendlichen die Armee als hoffnungsvoller Weg aus der Armut angepriesen wird. Laut Untersuchungen der Menschenrechtsorganisation CRIN (Child Rights International Network) haben sich in den fünf ärmsten Bezirken 57 Prozent mehr Minderjährige anwerben lassen, als in den reichsten fünf Bezirken Englands.

Charlotte Cooper, Koordination bei CRIN, sagte dazu:

Die Armee stützt sich auf Jugendliche aus den ärmsten Schichten, um ihre Rekrutierungskrise zu beheben, und nutzt sie, um die riskantesten Rollen zu besetzen, weil sie nicht genug Erwachsene überzeugen kann, sich einzutragen. Aber die Beweise zeigen, dass diese Gruppe am ehesten negative gesundheitliche Auswirkungen aufgrund einer militärischen Karriere davontragen wird.

Die offizielle Statistik der britischen Regierung gibt Cooper Recht. Im Jahr 2018 verpflichteten sich nur 6.320 Personen, die geringste Anzahl seit 1999. Und davon waren 1.820 Minderjährige – Kindersoldaten gemäß UNICEF-Definition –, aufgeteilt auf 1.000 16-Jährige und 820 17-Jährige. Das bedeutet also, dass fast 30 Prozent der neuen Rekruten Minderjährige waren. Zum Vergleich: Bei der deutschen Bundeswehr betrug der Anteil an Minderjährigen im Jahr 2017 9,1 Prozent, wie aus einer Kleinen Anfrage der Linken hervorgeht.

Diese Tendenz kritisierte noch 2016 der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, Hans-Peter Bartels, in seinem Wehrbericht zu Recht:

Mit dem Engagement Deutschlands bei der Wahrnehmung der völkerrechtlichen Verpflichtungen im Rahmen des Kinder- und Minderjährigenschutzes scheint es nicht ganz leicht zu vereinbaren, wenn die ausnahmsweise Rekrutierung Minderjähriger zum Regelfall mit steigender Tendenz wird.

Doch wie die Bundeswehr, plagt auch die britische Armee weiterhin die Rekrutierungsmüdigkeit der Bevölkerung. Zumal sich – im Gegensatz zu Deutschland – Großbritannien seit bald zwei Jahrzehnten an der Seite der USA an Kampfeinsätzen beteiligt, die oft auch noch völkerrechtswidrig sind. Das alles hat dazu geführt, dass die britischen Kampfeinheiten mit 40 Prozent unter der normalen Truppenstärke an Kampfeinsätzen beteiligt sind, wie The Guardian aus freigegebenen Dokumenten des Verteidigungsministeriums erfahren hat. Diese Lücke sollen dann auch unter anderem die Minderjährigen schließen, die laut CIRN anfälliger für stressbedingte psychische Erkrankungen aufgrund der Kriegserlebnisse sind.

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