Die "Seenotrettung" und der Moralimperialismus der Gutdeutschen

Carola Rackete, die Kapitänin, die 40 Migranten illegal nach Italien brachte, wird in Deutschland als Heldin gefeiert. Wer Menschenleben rette, kann kein Verbrecher sein. Doch wieder einmal gilt: Nicht alles, was sich moralisch gibt, ist am Ende auch moralisch.

von Andreas Richter

Der politisch-mediale Mainstream in Deutschland hat eine neue Heldin – Carola Rackete, Kapitänin des Schiffes "Sea-Watch 3" der gleichnamigen Hilfsorganisation. Mit ihrem Schiff sammelte Rackete vor der libyschen Küste Migranten auf, um sie von dort in die EU zu bringen, nach Italien.

Nach zwei Wochen auf See, in denen Rackete auch nach Tunesien oder Sylt hätte fahren können, erzwang sie in der Nacht zum Samstag das Anlegen im Hafen von Lampedusa, entgegen dem ausdrücklichen Verbot der italienischen Regierung. Dabei drückte sie ein Boot der Guardia di Finanza, das das Manöver zu verhindern suchte, an den Pier und zwang es so zum Rückzug.

Rackete wurde vorläufig festgenommen und unter Hausarrest gestellt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen sie wegen Beihilfe zur illegalen Einreise und Verletzung des Seerechts. Der italienische Innenminister Matteo Salvini nannte sie "verbrecherisch", ihr Schiff ein "Piratenschiff".

In Deutschland wird Rackete dagegen als Heldin gefeiert, die von einer skrupellosen italienischen Regierung kriminalisiert werde, weil sie Menschen gerettet habe. Der Tonfall ist schrill, die moralische Empörung groß. Die Fernsehmoderatoren Jan Böhmermann und Klaas Heufer-Umlauf sammeln auf der Plattform Leetchi unter dem Motto "Wer Menschenleben rettet, ist kein Verbrecher!" für Rackete und die "private Seenotrettung".

Bis Montagmittag kamen bereits über 750.000 Euro zusammen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier übernahm diesen Satz fast wörtlich in einem ZDF-Interview: Wer Menschenleben rettet, kann nicht Verbrecher sein.

Im selben Ton äußerte sich Außenminister Heiko Maas auf Twitter: Menschenleben zu retten sei eine humanitäre Verpflichtung. Seenotrettung dürfe nicht kriminalisiert werden. Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner setzte noch einen drauf, nannte die italienische Regierung ein "Regime" und Salvini "rechtsradikal".

Grünen-Chef Robert Habeck sprach von der "Ruchlosigkeit der italienischen Regierung". Rackete Unterstützung von Menschenhändlern und Piraterie vorzuwerfen, sei eine "Sprachverdrehung Orwellschen Ausmaßes". Ähnlich äußerten sich zahlreiche Politiker von SPD, Grünen, Linken und CDU. Auch der Vorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, schlug in dieselbe Kerbe, indem er Racketes Verhaftung als "Schande für Europa" bezeichnete:

Eine junge Frau wird in einem europäischen Land verhaftet, weil sie Menschenleben gerettet hat.

Ähnlich positionierten sich fast alle Medien und auch ein Großteil der Nutzer auf Twitter und Facebook. Diese Art der Argumentation ist hochgradig problematisch. Zum einen werden die Fakten verdreht. Rackete wurde nicht verhaftet, weil sie "Menschenleben gerettet hat", sondern weil sie gegen Gesetze verstoßen und Straftaten begangen hat.

Überhaupt ist der Begriff der Seenotrettung hochproblematisch. Die angebliche Seenot wird von Schleppern künstlich herbeigeführt, indem sie die Migranten vor der libyschen Küste aussetzen. Die angeblich "humanitäre Rettung" dieser Migranten befördert das Geschäft der Schlepper nur und bringt weitere Menschen dazu, sich auf den gefährlichen und teuren Weg nach Libyen zu begeben.

Das angeblich moralische Handeln der Retter ist es bei näherer Betrachtung eben nicht. Nur wenn klar ist, dass über das Mittelmeer kein Weg in die EU führt, lassen sich die unhaltbaren Zustände dort beenden. Tatsächlich hat die harte Haltung Roms bereits dazu geführt, dass die Anzahl der Todesopfer im Mittelmeer zurückgegangen ist.

Fatal ist auch die übersteigerte Gegenüberstellung von Gut und Böse. Hier die deutsche Heldin, die das "gute Deutschland" hinter sich hat, also das die Medien dominierende linksliberale Bürgertum, dort der böse "Faschist" Salvini, der allerdings in dieser Frage die Meinung einer klaren Mehrheit der Italiener vertritt.

Verheerend ist, dass nach Meinung der Betrachter das "Gute" quasi über dem Gesetz steht, dass sogar Gewalt für diese Sache in Kauf zu nehmen sei. Hier wird im Grunde leichtfertig die Büchse der Pandora geöffnet, werden die Grundlagen des gesellschaftlichen Zusammenlebens infrage gestellt. Dass für die vermeintlich gute Sache Regeln gebrochen werden, ist freilich eine Entwicklung, die immer weiter um sich greift.

Das Ganze hat auch eine internationale Komponente. Sicher, Rackete hat auch in Italien viele Unterstützer, so wie es in Deutschland nicht wenige Kritiker ihrer Aktionen gibt. Doch grundsätzlich ergibt sich der Eindruck, dass die Deutschen den Italienern wieder einmal erklären, wo es langgeht, was richtig ist und was falsch.

Nach all den Stereotypen, die die Deutschen den Italienern in den vergangenen Jahrzehnten bereits aufgedrückt hatten, kommt nun das des intoleranten Menschenfeindes hinzu. Für die Mehrheit der Italiener ist diese Form des moralischen Imperialismus eine Übergriffigkeit, die den Deutschen einfach nicht zusteht.

Carola Rackete ist Spross eines wohlhabenden Elternhauses. Sie vertritt, ohne etwas dafür zu können, vielleicht ohne es zu bemerken, ein bestimmtes Milieu der deutschen Gesellschaft. Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte gibt sich dieses neue "Juste Milieu" selbst hypermoralisch, verstellt sich aber mit seiner ideologisch induzierten Sicht auf die Dinge gern den Blick auf die Realität, beim Thema Klima und Energiepolitik ebenso wie beim "Kampf gegen rechts" oder eben die "Seenotrettung".

Damit befördert es zum einen die Spaltung der Gesellschaft und den Konflikt mit jenen, die sich postmaterialistisches Denken schlicht nicht leisten können. Zum anderen aber schafft es einen neuen deutschen Sonderweg, eine Art moralischen Imperialismus, der im Osten und Süden Europas nur mit Widerwillen und Ablehnung aufgenommen werden kann. Man kann von Matteo Salvini halten, was man will: Wenn er sich gegen die Kritik aus Deutschland verwahrt, in diesem Fall die des Bundespräsidenten, hat er recht:

Wir ermutigen den deutschen Bundespräsidenten, sich erst um die Zustände in seinem eigenen Land zu kümmern, und vielleicht seine Bürger aufzufordern, italienisches Recht zu achten und die italienischen Polizeibeamten nicht zu gefährden!

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