Im Rahmen unserer Reportage über das dänische "Ghetto" Vollsmose traf ein Team von RT Deutsch auf den dort ansässigen Thomas Skov Jensen. Im Viertel ist Jensen bekannt. Er führte uns durch die Siedlung, die fernab der Stadt Odense liegt. Im Laufe der Woche erfuhr er auf einem Treffen zwischen Anwohnern und der Wohnungsgesellschaft, dass auch er seine Wohnung verlieren wird. Jensen ging davon aus, dass seine Anlage von einem Abriss verschont bleiben würde. Rund 3.000 Menschen werden dort Opfer der dänischen Politik und sind gezwungen, sich eine neue Bleibe zu suchen. In Vollsmose leben rund 9.000 Menschen. Charakteristisch für den Ort sind die Bauten im 70er-Jahre-Stil. Überdies ist er seit den 90er-Jahren dafür bekannt, dass hier viele Menschen mit nicht-dänischen Wurzeln leben. Diese machen rund 70 Prozent der Anwohner aus. Die Hälfte der Einwohner ist unter 25 Jahre alt; die Wohnungen sind im Besitz von drei Wohnungsgesellschaften.
Ingesamt 22 dieser Ghettos – auch Problemviertel genannt – gibt es in Dänemark. Mindestens drei von fünf Kriterien müssen erfüllt sein, damit ein Viertel den Stempel eines Ghettos erhält. Die Kriterien lauten: hohe Kriminalitätsrate, hohe Arbeitslosigkeit, niedriges Bildungsniveau, niedriges Einkommensniveau und Einwohner mit mehrheitlich nicht westlichem Hintergrund. Treffen mehr als drei Kriterien zu, so spricht man von einem sogenannten harten Ghetto – wie im Falle von Vollsmose. Thomas Skov Jensen beschreibt uns das Gemeinschaftstreffen der Anwohner:
"Wir hatten nun das große Meeting. Alle wissen jetzt, was abgerissen wird. Es ist schon viel. Die Leute sind frustriert. Einige Leute haben mit einem Sitzstreik begonnen.
Am 16. Mai werden die Vorstandsmitglieder der Wohnungsbaugesellschaften abstimmen, und am 21. Mai werden die Anwohner wählen. Wir können uns gegen den Abriss entscheiden. Dies steht somit noch nicht ganz fest. Anschließend muss der Stadtrat übernehmen und sich Pläne überlegen. Wir gehen jedoch nicht davon aus, dass er die Pläne ändern wird. Es wird spannend, dies weiter zu verfolgen. Im Jahr 2021 wird ein Teil der Wohnungen abgerissen – dann im Jahr 2024 auch meine Wohnung."
Wie lange leben Sie bereits in Vollsmose?
Seit sechs Jahren. In meinem Haus wohnt auch eine alte Frau, die seit 48 Jahren in der gleichen Wohnung lebt. Sie hat dort ihre Kinder großgezogen – das ist sehr hart. Ich leide an gesundheitlichen Problemen, und es wird nun festgestellt, wie viel ich eigentlich arbeiten kann. Ich zahle derzeit 500 Euro Miete für rund 72 Quadratmeter.
Wie haben die Leute reagiert, als ihnen von den Plänen mitgeteilt wurde?
Viele Leute sind frustriert; einige haben geweint. Eine Person jedoch hat bereits im Vorhinein die Pläne in die Hände bekommen und diese verteilt. Die Anwohner wussten somit größtenteils Bescheid. Sie sind frustriert, verärgert und traurig. In Aarhus wird zum jetzigen Zeitpunkt in ähnlicher Weise gegen ein Ghetto vorgegangen.
Was gefällt Ihnen an Ihrem Wohnort?
Das Besondere ist für mich hier, dass die Leute warmherzig im Umgang miteinander sind. Sie lächeln, wenn man sie begrüßt; auch wenn alle so unterschiedlich sind, ist man doch nett zueinander. Ich habe das Gefühl, dass dies mein zu Hause ist, auch wenn ich Nachbarn habe, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Ich fühle mich hier frei. Ich hörte von einer Frau, die sich im Krankenhaus einer schweren Operation unterziehen musste. Als sie wieder nach Hause kam, besuchten sie zwei Nachbarn und übernahmen das Kochen für sie und versorgten sie außerdem. Und dies, obwohl sie die Leute nicht gut kannte. In solchen Situationen rücken die Leute hier sehr zusammen. Das sieht man in anderen Gegenden Dänemarks nicht.
RT Deutsch unterwegs im Ghetto: Abriss als Lösung gegen Kriminalität?
Und wie sieht es mit den Problemen innerhalb des Ortes aus?
Wir haben einige Probleme mit der Kriminalität und der Arbeitslosigkeit; es sind jedoch definitiv nicht die gleichen Probleme, wie die Regierung sie darstellt. Ich habe das Gefühl, sie geben auf und reißen einfach alles ab. Es ist hier nicht in dem Maße kriminell, wie es behauptet wird. Die Kriminalitätsrate entspricht der der Stadt, und wir müssen eine Lösung finden. Es wird jedoch behauptet, der Ort sei eine von Kriminalität infizierte Gegend. Das ist nicht wahr. Wir haben viele junge Leute, die gelangweilt sind, und wir müssen sicherstellen, dass diese nicht in die falschen Milieus geraten.
Wohin werden die Leute ziehen, wenn ihre Wohnungen abgerissen werden?
Die Regierung muss Lösungen bieten. Das steht im Gesetz. Meine Mietkosten werden allerdings steigen, wenn ich umziehen muss. Am 5. Juni wird in Dänemark gewählt, und es sieht so aus, als würden wir eine neue Regierung bekommen. Ich weiß noch nicht, was sich dann ändern wird. Die Anti-Einwanderungsparteien werden nicht mehr die Macht haben, die sie in den letzten vier Jahren hatten. Es bleibt nun abzuwarten, was passiert.
Wir bedanken uns für das Interview und wünschen Ihnen alles Gute.