Die rechtsextreme Identitäre Bewegung Österreich (IB) und deren Vorsitzender Martin Sellner werden von Behörden, Regierung und Medien seit einigen Tagen des Rechtsterrorismus bezichtigt. Die Gründe sind eine Spende in Höhe von 1.500 Euro, die Sellner im vergangenen Jahr vom mutmaßlichen Attentäter von Christchurch, dem Australier Brenton Tarrant, erhielt sowie ein kurzer Mailwechsel, in dem sich Sellner für diese Spende bedankte.
Tarrant hatte bei einem Anschlag auf zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch vor zwei Wochen insgesamt 50 Menschen getötet. Er verstand sich "auf den Spuren der Kreuzritter" als "Kämpfer gegen muslimische Invasoren". Dieses Denken weist Parallelen zur Ideologie der IB auf, in deren Zentrum der Kampf gegen den "Großen Austausch" steht, also durch das angeblich gezielt verfolgte Ersetzen der europäischen Bevölkerung durch Zuwanderer.
Am Montag ließ die Grazer Staatsanwaltschaft Sellners Wohnung in Wien durchsuchen und dessen Computer, Telefone und Bankkarten beschlagnahmen. Nach Aussage der Staatsanwaltschaft führt sie ein Verfahren wegen des Verdachts auf Bildung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung.
Bundeskanzler Sebastian Kurz gab am Mittwoch auf einer Pressekonferenz bekannt, die Auflösung der Identitären prüfen zu wollen. Extremismus, egal welcher Art, dürfe "keinen Platz in unserem Land und in unserer Gesellschaft haben". "Jede Verbindung zwischen dem Attentäter von Christchurch zu Mitgliedern der Identitären in Österreich muss restlos und schonungslos aufgeklärt werden", so Kurz weiter.
Die Medien schlossen sich dieser Linie überwiegend an. Die Ermittlungen wegen des Verdachts auf Bildung einer terroristischen Vereinigung nur auf Grundlage einer erhaltenen Geldspende werden als etwas Normales dargestellt, zum Teil wurde auch in den Medien ein Verbot der IB gefordert. Dieser Tonfall überwog auch in den sozialen Netzwerken.
Sellner selbst hat sich mittlerweile in mehreren Videos zu den Vorwürfen und den Ermittlungen geäußert. Es gebe keine Verbindungen, die über die Spende und die Dankesmail hinausgingen. Er lehne jede Form von Gewalt ausdrücklich ab und betätige sich ausdrücklich friedlich. Die Durchsuchung nannte Sellner ungerechtfertigt und überzogen, er sehe der Untersuchung gelassen entgegen. Es gehe darum, ihn und die IB in den Schmutz zu ziehen. Am Freitagnachmittag wird er sich erneut öffentlich äußern.
Sellner betonte dabei ausdrücklich, dass ihm seiner Meinung nach klares Unrecht widerfahren sei, allerdings seien die wahren Opfer nicht die Identitären, sondern die Toten von Christchurch. Diese würden instrumentalisiert, was er für "letztklassig" halte.
Am Freitag wurde bekannt, dass die USA dem Chef der IB sein Langzeitvisum aberkannt haben. Sellners Lebensgefährtin ist US-Amerikanerin. Sellner gab bekannt, dass die US-Behörden ihn darüber nach einer Hintergrundüberprüfung informiert hätten.
Bereits im vergangenen Jahr hatte die Staatsanwaltschaft Graz gegen Sellner und andere Identitäre ein Verfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung angestrengt. Die Angeklagten wurden von diesem Vorwurf erst im Januar 2019 höchstinstanzlich freigesprochen.
Das neuerliche Vorgehen der Justiz und der Regierung gegen die Identitären dürfte juristisch folgenlos bleiben, wenn nicht noch gänzlich andere Sachverhalte bekannt werden. Man darf dieses Vorgehen angesichts der zugrunde liegenden Tatsachen durchaus für zweifelhaft halten. Letztlich dürften sich Anhänger und Gegner der Identitären Bewegung und ihrer These vom "Großen Austausch" in ihrer Position bestätigt fühlen, die gesellschaftlichen Gräben sich weiter vertiefen.
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