von Prof. Dr. Anton Latzo
Die an Rumänien und die Ukraine angrenzende ehemalige Sowjetrepublik Moldau (auch: Moldawien) hat am Sonntag ein neues Parlament gewählt. 15 Parteien waren auf den landesweiten Listen vertreten. Ins Parlament wurden vier von ihnen gewählt: die Sozialistische Partei (PSRM) des Staatspräsidenten Igor Dodon (31,35 Prozent/ 33 Sitze), die Demokratische Partei (PDM) des bisherigen Ministerpräsidenten Pavel Filip(24,01 Prozent/31 Sitze), ein Wahlbündnis "ACUM" (26,17 Prozent/27 Sitze) und die Sor-Partei (8,44 Prozent/7 Sitze) sowie drei Unabhängige. Die Kommunistische Partei ist mit rund vier Prozent der Stimmen an der Sperrklausel gescheitert, die bei sechs Prozent liegt. Die Liberalen haben mit rund 1,5 Prozent eine deutliche Abfuhr erlitten. Die Wahlbeteiligung war mit 49 Prozent weiter rückläufig.
Das gewählte Parlament besteht aus 101 Abgeordneten. Davon sind 51 auf Landeslisten der Parteien und 50 in Direktwahl bestimmt worden. Die stärkste Fraktion bildet die PSRM des Staatspräsidenten Igor Dodon. Zur Bildung einer politisch gleich ausgerichteten Koalition fehlen aber die Bündnispartner. Zur Beobachtung der Wahl waren die wichtigsten internationalen Organisationen, einschließlich OSZE, Europarat, GUS eingeladen. Anwesend waren rund 3.000 Wahlbeobachter, 50 allein aus den USA und 106 aus der GUS.
Das Ergebnis ermöglicht nicht, in der innen-und außenpolitischen strategischen Ausrichtung der Republik Moldau und auch in der Politik des Landes wieder einheitliche Ziele zu erarbeiten und sie im Zusammenwirken der staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen im Inneren sowie mit den ausländischen Partnern übereinstimmend zu verwirklichen, was nicht unbedeutend für die Entwicklung und die Politik des Landes ist.
Seit der Wahl von Dodon zum Staatspräsidenten (2016) besteht in Moldau eine Situation der Doppelherrschaft. Sie war von sich gegenseitig grundsätzlich widersprechenden Konzeptionen und gesellschaftlichen und politischen Positionen des Parlaments und der Regierung einerseits und des Präsidentenamtes andererseits charakterisiert. Dieser Widerspruch wird gemildert, aber nicht beseitigt.
Die tatsächlichen Interessen der Bevölkerung und des Landes konnten auf dieser Grundlage nur ungenügend in der Innen- und Außenpolitik verwirklicht werden. Die Gebundenheit an die Interessen der Kräfte der neuen Bourgeoisie des Landes und des ausländischen Kapitals beziehungsweise seiner Organisationen führte zu einseitigen innen- und außenpolitischen Schritten der Regierung, die durch die bisherige Mehrheit im Parlament auch gegen den Willen des Staatspräsidenten sanktioniert wurde.
Das jetzige parlamentarische Kräfteverhältnis kann dazu beitragen, dass der politische Kurs stärker den realen Erfordernissen sowie den ökonomischen, politischen und sicherheitspolitischen Gegebenheiten Rechnung tragen wird. Die von den Erwartungen der Menschen ausgehenden Erfordernisse der Entwicklung der Gesellschaft dürften stärkere Berücksichtigung in der innen- und außenpolitischen Linie des Landes finden. Das wird ohne Zweifel auch zu widersprüchlichen Reaktionen sowohl der EU und ihrer Hauptmächte als auch der USA gegenüber der Republik Moldau führen.
Natürlich setzen die objektiven Bedingungen im Lande auch der Politik bestimmte Grenzen. Es ist nicht zu erwarten, dass kurzfristig alle Hebel völlig umgelegt werden können.
Innenpolitische Herausforderungen
Innenpolitisch geht es darum, das Land wieder auf einen stabileren ökonomischen Entwicklungsweg zu bringen, um die Lebensbedingungen stabiler zu gestalten, die Nationalitätenprobleme zu lösen und das politische Vertrauen der Bevölkerung zu stabilisieren. Die neue Regierung ist vor allem mit diesen Herausforderungen konfrontiert:
1. Die ökonomischen Grundlagen des Staates zu stabilisieren, was mit strategischen Umorientierungen zusammenhängt und die Sache nicht erleichtert. Ein wichtiges Element besteht in der Verhinderung des Ausverkaufs von Grund und Boden an Ausländer.
2. Die Lebensbedingungen und die Lösung grundlegender sozialer Fragen mit subjektiv spürbaren Auswirkungen auch für den Einzelnen in Angriff zu nehmen.
3. Die zumeist hochqualifizierten Arbeitskräfte, die im Ausland tätig sind, zur Rückkehr zu veranlassen. Dazu müssen aber im Inland wirtschaftspolitische Entscheidungen beschlossen und neue Arbeitsplätze geschaffen werden.
Die ökonomische Stabilisierung des Landes und die politische Entwicklung machen es notwendig, die auf beiden Seiten des Dnjestr historisch gewachsenen Potenziale wieder zusammenzuführen und wirksam zu machen. Damit ist auch die Notwendigkeit neuer Ideen zur Schaffung entsprechender staatlicher und gesellschaftlicher Strukturen verbunden. Im Umlauf sind Überlegungen zu einer föderalen Struktur, die auch das Problem der Gagausen miteinschließen.
Das steht wiederum in engem Zusammenhang mit Maßnahmen zur Ausgestaltung des Nationalitätenproblems insgesamt, um die negativen Folgen und Wirkungen zu beseitigen, die nach der Auflösung der Sowjetunion und durch die Politik der pro-westlichen Regierungen entstanden sind. Es geht in der Innenpolitik also nicht um irgendwelche Korrekturen, sondern um Entscheidungen und Entwicklungen grundsätzlicher Art, die vom Staatspräsidenten und der PSRM vertreten werden, im Wahlprogramm der PDM aber so nicht enthalten waren.
Außenpolitische Grundpositionen
Das Gelingen der innenpolitischen Vorhaben hängt in bedeutendem Maße mit der Außenpolitik des Landes zusammen. Folgt man dem Konzept von Präsident Dodon, so wird Moldau seine Außenpolitik auf 1. Eigenstaatlichkeit und Souveränität, 2. geostrategische Neutralität und Ausgeglichenheit sowie 3. ausgeglichenen Wirtschaftsbeziehungen zu Ost und West aufbauen.
Eigenstaatlichkeit besagt, dass die Idee der Vereinigung mit Rumänien strikt abgelehnt wird. Es wird aber darauf hingewiesen, dass die wichtigsten Wirtschaftspartner gegenwärtig in Russland und Rumänien gesehen werden. Sie sind auch jetzt schon die wichtigsten Märkte für den Absatz der Waren aus Moldau. Die Bedeutung des russischen Marktes hat dabei sichtlich zugenommen.
Geostrategische Neutralität beinhaltet eindeutig: keine Zugehörigkeit zur NATO, was übrigens auch der Verfassung entspricht. Das Beispiel der Ukraine zeige, dass der "pro-europäische" und der "pro-NATO" Weg zum Verlust der Souveränität und der Kontrolle über die Wirtschaft und die Sicherheit des Landes führt, so Präsident Dodon.
Verhältnis zu den Vereinigten Staaten
Die Ergebnisse der Wahlen stellen eine Ablehnung der Politik derjenigen in der Moldau dar, die dem Konzept der der USA/NATO folgen, wonach das Land als Bestandteil einer Region (Georgien, Moldau und Ukraine) betrachtet wird, in der "demokratische Transformationen" im Rahmen der US-Geostrategie gegen Russland eingesetzt werden. Die Ergebnisse der Wahlen zeigen, dass die USA bisher nicht in der Lage waren, irgendeinen "eingefroren Konflikt" im ehemaligen Raum der Sowjetunion stabil in ihrem Sinne zu lösen, dass in der Öffentlichkeit die Erkenntnis wächst, dass die Länder, die den USA und der EU zuliebe antirussische Positionen eingenommen haben, nur zu verlieren haben.
Verhältnis zur Europäischen Union und Deutschland
Das Wahlergebnis bestärkt die Position der im Sinne von Dodon agierenden politischen Kräfte auch in der Haltung zur EU. Es ist davon auszugehen, dass zumindest eine Neuverhandlung der 2014 zwischen der Republik Moldau und der EU abgeschlossenen Vereinbarungen eingeleitet wird. Der Schwerpunkt dürfte sich auf die bilateralen Beziehungen mit den Mitgliedern der EU verlagern. Dabei besteht auch weiterhin ein Interesse daran, die wirtschaftlichen Beziehungen zu Deutschland sowohl unter dem Gesichtspunkt des Absatzes von Waren aus Moldau als auch von ausgewählten deutschen Investitionen in Moldau zu behandeln.
In politischer Hinsicht konzentrieren sich die Betrachtungen von Seiten Moldaus auf die Fragen der Sicherheit des Landes und der Region. Die Fragen Sicherheit und Frieden und der Durchsetzung der Gleichberechtigung und Unabhängigkeit der Staaten, des Völkerrechts, sollten diesen Teil der politischen Agenda dominieren.
Verhältnis zu Russland und den GUS-Staaten
Seit seiner Wahl zum Präsidenten unternahm Dodon zahlreiche Schritte, um die antirussische Politik der Regierung unwirksam zu machen und Vertrauen zwischen Russland und Moldau wiederherzustellen. Die Ergebnisse der Wahl haben diese Politik bestätigt. Auf russischer Seite findet Moldau Verständnis. Während des Besuches von Dodon in Moskau vor einem Monat erklärte der russische Präsident Wladimir Putin:
Natürlich ist es für Russland wichtig, wie sich das Parlament in Moldau formiert, weil das Parlament die Regierung des Landes bildet und von dieser hängt in bedeutendem Maße ab, wie sich die Beziehungen zwischen Russland und Moldau weiter entwickeln.
Beide Seiten unterstreichen, dass sie durch gemeinsame Anstrengungen das im Rahmen des moldo-russischen Wirtschaftsforums vereinbarte "ehrgeizige" Programm zur Entwicklung des Handels, der Wirtschaft und der Investitionen verwirklichen werden.
Laut Dodon bekräftigten beide Präsidenten "ihre entschiedene Position, dass die endgültige Lösung der Transnistrien-Frage unter Bedingungen der Erhaltung der Souveränität und territorialen Integrität der Republik Moldau in ihren auch international anerkannten Grenzen erreicht werden kann."
Insgesamt hob Dodon hervor, dass nach den Wahlen neue Perspektiven für die Vertiefung der strategischen Partnerschaft mit Russland eröffnet werden. Das schließe ein, dass Moldau gegenseitig vorteilhafte Beziehungen sowohl zur Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) als auch mit den Staaten der EU anstrebe. Die eurasische Option wird als eine realistische betrachtet und entsprechend angestrebt.
Insgesamt ist zu erwarten, dass die Verwirklichung des Konzepts des Präsidenten Dodon, wonach die Republik Moldau in nächster Zeit als ein neutraler Staat in einer Zone höchster geopolitischer Sensibilität und der Spannungen zwischen Ost und West positioniert werden soll, mit der Zuspitzung innenpolitischer Widersprüche und Schwierigkeiten verbunden sein wird. Die Mächte der NATO und der EU dürften auch weiterhin Anknüpfungspunkte und Partner identifizieren, um ihre Ziele weiter zu verfolgen.
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