von Wladislaw Sankin
Die langjährige Chefin der Vaterlandspartei (ukr. Batkiwtschina), Julia Timoschenko, bewirbt sich zum dritten Mal um das Präsidentenamt. Im Jahr 2010 verlor sie gegen Wiktor Janukowitsch nur um wenige Prozentpunkte. Nach knapp vier Jahren verlor er sein Amt infolge eines bewaffneten Staatsstreichs. Im Jahr 2014 unterlag Timoschenko dem jetzigen Präsidenten und Dollar-Milliardär Petro Poroschenko deutlich.
Doch diesmal stehen die Chancen für Timoschenko gut. Der Ausgang der Wahlen ist für viele ungewiss. Auch weil die USA und die anderen westlichen Staaten sich in ihrer Unterstützung (noch) nicht festgelegt haben. Es ist ein offenes Geheimnis, dass in den wichtigsten Fragen diese "Unterstützung" nichts anderes als Fernsteuerung ist. Aber da es keinen "russlandfreundlichen" Kandidaten gibt, zumindest unter den aussichtsreichsten, gibt es für die westliche "Freunde" der Ukraine keinen Grund zur Sorge und die Kandidaten dürfen ihr Verhältnis zueinander unter sich klären.
Präsident Poroschneko steht schon seit langem in Verruf, da er sich der Amtsressourcen für seine Kandidatur großzügig bedient. Erst vor wenigen Wochen beendete er seine "Tomos-Tour" – eine Reise durch die Städte der West- und Zentralukraine, wo er sich in den Kirchen als einer Art neuer Landes-Taufer feiern ließ. Anfang Januar erwirkte er die Vergabe des Erlasses für Autokephalie (griechisch Tomos) für die in der orthodoxen Welt als schismatisch geltende Orthodoxe Kirche der Ukraine durch das Konstantinopeler Patriarchat. Er ließ das handschriftliche Dokument, das nach Ansicht vieler Experten die Abhängigkeit der umstrittenen Kirche von Konstantinopel bedeutet, in den Kirchen bestaunen, stellte sich dahinter und hielt patriotische Reden von der "endgültigen Loslösung" von Russland. Zahlreiche Blogger zeigten in ihren Videos Belege dafür, dass die medienwirksamen Auftritte des Präsidenten nichts anderes als durchorchestrierte PR-Partys mit herangekarrten "Kirchengängern" aus städtischen Betrieben waren.
Doch die Tomos-Tour ist vorbei und ihre PR-Wirkung, wenn es sie überhaupt je gab, ist inzwischen verblasst. Nun stehen andere Vorwürfe gegen den Präsidenten im Raum. So warf ihm seine Rivalin Julia Wladimirowna Timoschenko vor kurzem vor, die Stimmen der bis zu drei Millionen Wähler kaufen zu wollen. Im ukrainischen Fernsehen zeigte sie Belege dafür – Stimmzettel über die Unterstützung der Arbeit des Präsidenten, die Volontäre des Poroschenkos Wahl-Teams angeblich per Türklinken-Methode von den ukrainischen Bürgern gegen Entgelt von 500 bis 1.000 Griwna (umgerechnet 16 bis 32 Euro) unterschreiben lassen sollen. Dies sei ein Korrumpierungsvorgang, so Timoschenko. Dokumente zeigte sie in einem politischen Talk-Programm des Senders 1+1, der einem Media-Holding des Oligarchen und einstigen Rivalen von Poroschenko, Igor Kolomoiski, gehört. Sie übergab die Stimmzettel dem Innenminister Arsen Awakow und versprach, ein Verfahren gegen Poroschenko wegen Wahlmanipulation einzuleiten.
Das war nicht der einzige Vorwurf. Timoschenko forderte den Präsidenten auf, die Kandidatur eines Rada-Abgeordneten namens Juri Timoschenko von den Wahlen auszuschließen. Das Problem sah die prominente 58-jährige Kandidatin darin, dass der unbekannte Abgeordnete mit dem gleichen Nach- und Vatersnamen und fast identisch klingendem Vornamen mit ihr von den Bürgern auf den Stimmzetteln verwechselt werden kann. Tatsächlich heißen die beiden Timoschenkos entsprechend Julia Wladimirowna und Juri Wladimiriwitsch, was die völlig identischen Abkürzungen ergibt: Timoschenko J.W. – für die Wähler verwirrend.
Nach Timoschenkos Ansicht ist der Kandidat lediglich ein Spoiler, der kurz vor dem Schluss der Kandidaten-Registrierung vom Präsidenten und seinem Stab eingesetzt wurde. Die Verwechslung könnte wertvolle Tausende von Stimmen bedeuten und dies sei ein schmutziger Trick, so Timoschenko.
Der Kandidat Juri Timoschenko gehört seit 2014 dem Parlament Werchowna Rada als Mitglied der Volksfront-Partei an. Die nun fast aufgelöste Partei des einstigen Premierminister Arsenij Jatzenjuk schloss ihn aus ihren Reihen aus, als Timoschenko bekanntgab, kandidieren zu wollen. Nun geht er als unabhängiger Kandidat ins Rennen. Auf seinem Facebook-Account gibt der 56-jährige an, ein ehemaliger Kämpfer der Selbstverteidigung von Maidan und Ex-Soldat der Nationalgarde zu sein.
Laut der letzten Erhebung über die Wahlpräferenzen der Ukrainer, welche das Kiewer Internationale Institut für Soziologie am 14. Februar veröffentlicht hat, hat das Wahlrennen nun einen neuen Favoriten – den Comedy-Schauspieler Wladimir Selenskij. Heute würden 27 Prozent für ihn stimmen. Seine nächsten Rivalen sind Petro Poroschenko (17,7 Prozent) und Julia Timoschenko (15,8 Prozent). Selenskij schlüpft bereits seit Jahren in die Rolle des ukrainischen Präsidenten - als Schauspieler in der eigens produzierten Comedy-Serie "Diener des Volkes".
Mit 13,7 Prozent hält nur die Hälfte der potenziellen Selenskij-Wähler seine Chancen für realistisch, während bei Poroschenko (17,8 Prozent) und Timoschenko (16,8) diese Einschätzung fast identisch mit den Wählerwünschen ist.
Die Präsidentschaftskandidaten Julia Timoschenko und Anatoli Gritzenko von der Bürgerplattform werden auf der Münchner Sicherheitskonferenz am 16. Februar am sogenannten Ukrainian Lunch teilnehmen. Zu der illustren Veranstaltung, die von der Stiftung des ukrainischen Oligarchen Wiktor Pintschuk seit mehreren Jahren in Davos und München organisiert wird, werden vor allem namhafte Personen aus dem US-Sicherheitsapparat, dem internationalen Bankenwesen und der NATO erwartet.
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