von Timo Kirez
Seit dem Gezerre um das Flüchtlingsschiff "Aquarius" im September 2018 hängt der Haussegen zwischen Frankreich und Italien schief. Damals hatte Frankreich scharfe Kritik an Italien geübt, da Rom sich weigerte, das monatelang umherirrende Schiff mit 58 Flüchtlingen an Bord aufzunehmen. "Wir sagen Italien noch einmal, dass das Schließen seiner Häfen für Menschen in Not gegen Recht und Menschlichkeit verstößt", sagte Europaministerin Nathalie Loiseau seinerzeit gegenüber dem französischen Radiosender Sud Radio. Das hat man sich in Rom offenbar gemerkt, denn seitdem lässt die Regierung von Premierminister Guiseppe Conte keine Gelegenheit aus, um ihrem EU-Partner in Paris eins auszuwischen.
Nachdem Vertreter der Regierung, darunter auch der Innenminister Matteo Salvini, offen ihre Sympathien für die Gelbwesten-Bewegung geäußert und Macron eine "Politik gegen sein Volk" vorgeworfen hatten, folgte nun die nächste Spitze. Luigi Di Maio, Vorsitzender der Fünf-Sterne-Bewegung und stellvertretender italienischer Premierminister, machte Frankreich für die anhaltenden Flüchtlingsströme an den EU-Grenzen verantwortlich. Di Maio sprach am Sonntag bei einer Kundgebung, als er auf die jüngsten Todesfälle durch Ertrinken im Mittelmeer einging. Es wird angenommen, dass bis zu 170 Migranten, die Libyen und Marokko auf maroden Schlauchbooten verlassen haben, letzte Woche auf See ertrunken sein könnten.
Drei Migranten wurden am Freitag von der italienischen Marine vor der Küste Lampedusas gerettet. Die Überlebenden sagten, sie seien Teil einer Gruppe von 120 Personen, die am Donnerstag von Libyen aus losgefahren sein soll. Ihr Boot begann zu sinken, nachdem sie etwa 10 Stunden lang auf See waren. Zu den Opfern gehören nach Angaben von Migrantenorganisationen ein zwei Monate altes Kind und mindestens 10 Frauen. Separat kenterte ein weiteres Boot mit 53 Migranten im westlichen Mittelmeer, so der einzige Überlebende des Vorfalls.
Die Tragödien haben die Debatte über die Migrationspolitik der italienischen Regierung neu entfacht. Vize-Premier Di Maio regierte nun auf die neuen Vorwürfe in seiner Rede während der Kundgebung:
Wir wären Heuchler, wenn wir einfach weiter über die Auswirkungen sprechen würden, ohne nach den Ursachen zu suchen. Wenn wir heute Menschen aus Afrika haben, liegt das daran, dass einige europäische Länder wie Frankreich nie aufgehört haben, Afrika in ihren Köpfen zu kolonisieren", so Di Maio.
Der Politiker, der auch als Wirtschaftsminister fungiert, verwies auf den CFA-Franc, eine Währung, die in 14 ehemaligen französischen Kolonien in West- und Zentralafrika verwendet wird. Die Währung wird vom französischen Finanzministerium garantiert und hat einen festen Wechselkurs zum Euro. Während dies von manchen als ein Grund für die finanzielle Stabilität einiger afrikanischer Länder gerühmt wird, wird es von Kritikern als ein Vehikel der Abhängigkeit von Frankreich angesehen. Dabei verweisen die Kritiker darauf, dass der 1945 geschaffene CFA-Franc die wirtschaftliche Entwicklung eher behindere, da die afrikanischen Länder keinen Einfluss auf die französische oder europäische Geldpolitik hätten.
"Es gibt Dutzende von afrikanischen Staaten, in denen Frankreich seine eigene Währung, den Franken der Kolonien, druckt und damit die französische Staatsverschuldung finanziert", sagte Di Maio gegenüber der Menge und fügte hinzu, dass Frankreich Sanktionen der EU und möglicherweise der UNO unterworfen werden sollte, weil es diese Staaten verarme und die Flucht der Menschen auslöse:
Der Platz der Afrikaner ist in Afrika und nicht auf dem Meeresgrund.
Di Maio erklärte weiter, dass Frankreich in der internationalen wirtschaftlichen Rangliste weit zurückfallen würde, wenn es nicht das Instrument der Währung gegenüber seinen ehemaligen Kolonien besitzen würde.
"Wenn Frankreich nicht die afrikanischen Kolonien hätte, die es verarmt, wäre es die 15. internationale Wirtschaftsmacht und gehört stattdessen zu den ersten, dank dem, was es in Afrika tut", so Di Maio weiter. Frankreich ist nach Angaben der Weltbank für 2017 die siebtgrößte Volkswirtschaft der Welt und nach Deutschland und Großbritannien die drittgrößte in Europa.
Di Maio sagte, seine Partei werde dem Parlament einen Vorschlag unterbreiten, um Frankreich in den kommenden Wochen zu "bestrafen". In einem direkten Angriff auf den französischen Präsidenten erklärte Di Maio, Macron solle aufhören, Italien über Moral zu belehren, während seine Regierung weiterhin afrikanische Nationen ausbeute.
Dass Di Maio derart aggressiv gegen Frankreich vorgeht, dürfte neben den altbekannten Differenzen in der Flüchtlingsfrage noch einen weiteren Grund haben: Während die Zustimmungswerte für die zweite Regierungspartei Lega um Innenminister Matteo Salvini wachsen, fallen Di Maio und seine Fünf-Sterne-Bewegung immer weiter ab. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos im Januar kommt die Fünf-Sterne-Bewegung aktuell auf 25,4 Prozent.
Bei einer vorangegangenen Umfrage im Dezember lag die Popularität der Bewegung noch bei 27 Prozent. Zum Vergleich: Bei den Parlamentswahlen im März 2018 kam die Fünf-Sterne-Bewgung auf 32,7 Prozent der Stimmen. Laut dem Umfrageinstitut wird die Bewegung als politisch eher unerfahren wahrgenommen und verliert gegenüber der Lega an Stimmen. Die Lega kommt laut der von der Mailänder Tageszeitung Corriere della Sera veröffentlichten Umfrage auf 35,8 Prozent der Stimmen. Bei den Parlamentswahlen im März 2018 waren es noch 17,4 Prozent. Damit löst die Lega die Fünf-Sterne als stärkste Kraft im Land ab.
Spekulationen, denen zufolge die Lega die Regierungskoalition mit den Fünf-Sternen auflösen und mit Ex-Premier Berlusconi eine neue Mitte-Rechts-Regierung bilden wolle, wies Salvini wiederholt zurück. Die Fünf-Sterne-Bewegung habe sich bisher als zuverlässig erwiesen, so der Lega-Chef. Dennoch hat Di Maio allen Grund, nervös zu sein. Ob die Attacken in Richtung Paris das Ruder rumreißen können, bleibt allerdings fraglich.
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