von Wladislaw Sankin
Es hat sich etwas geändert bei dem viel kritisierten Bandera-Kult in der Ukraine. Nun wurde der Anführer einer faschistischen Partei, der Agent des NS-Militärgeheimdienstes und Nazi-Kollaborateur in die Liste der "herausragenden Persönlichkeiten" aufgenommen, deren Geburtstage und Jubiläen im Jahr 2018 offiziell gefeiert werden. Seit Januar 2019 sind auch seine Gefolgsleute aus der ukrainischen Aufstandsarmee (UPA) und Organisation der ukrainischen Nationalisten (OUN) per Gesetz mit Veteranen des Zweiten Weltkrieges gleichgesetzt. Damit haben die etwa 1.200 Verbliebenen Anspruch auf eine erhöhte staatliche Veteranen-Rente.
Bandera und der Karneval
Auch die traditionellen Fackel-Märsche der Nationalisten zu Ehren von Stepan Bandera an seinem Geburtstag am 1. Januar befinden sich im Umbruch. Sie werden nicht mehr wie früher von der Polizei massiv geschützt, und die Teilnehmer wollen nun zunehmend einen lockeren Eindruck machen. In diesem Jahr gab es in Kiew zwei solcher Märsche – die von den Parteien "Swoboda" und "Rechter Sektor" und die vom Nationalen Korps (früher Azow-Batallion). Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen konnten sich die Nationalisten wegen innerer Streitigkeiten nicht auf einen gemeinsamen Zug einigen.
Beide Züge unterschieden sich voneinander. Der Marsch des Nationalen Korps verzichtete beispielsweise auf das Tragen von Fackeln, dafür setzten sich die Teilnehmer Santa-Claus-Mützen auf und verteilten Geschenke an Kinder. Angeführt wurden die Menschen in Camouflage von mehreren Schneemann-Figuren. Weihnachtslieder auf Ukrainisch begleiteten den Zug. Der andere Marsch wurde hingegen traditionell gehalten, mit lauten "Ukraine über alles"-Sprüchen. Aber auch die Organisatoren dieses Zuges machten von einer Trommler-Gruppe Gebrauch, um ihrem bisher eher düsterem Image etwas entgegenzusetzen.
Der "Swoboda"-Zug endete mit einer Kundgebung auf dem Unabhängigkeitsplatz (Maidan) – dem Ort der erbitterten Kämpfe zwischen den nationalistischen Milizen und Sicherheitskräften Anfang 2014. Mehrere Politiker und Aktivisten hielten Reden.
Nur wir, die Vereinigung aller Ukrainer, können uns den antiukrainischen Kräfte widersetzen. Keine Clowns oder Oligarchen retten die Ukraine, sondern nur die Nationalisten, sagte der Rada-Abgeordnete Andrej Iljenko vor ca. 2.000 Versammelten.
Russland: Abscheuliches Ritual
In Russland stößt die Verehrung der Nazi-Kollaborateure traditionell auf Ablehnung und Kritik. So sagte der russische Senator der Region Krim, Sergej Tzekow, die endgültige juristische Gleichsetzung der UPA-Kämpfer mit Kriegsveteranen mache die Resultaten des Großen Vaterländischen Krieges – eines gemeinsamen Kampfes aller Völker der Sowjetunion – zunichte.
Das russische Außenministerium prangerte in seiner Erklärung das Ausbleiben westlicher Reaktionen auf die Verehrung von Bandera zum wiederholten Male an:
Das Fehlen einer angemessenen Reaktion vonseiten der westlichen Kuratoren Kiews, internationaler Institutionen sowie Menschenrechtsorganisationen, die sich sonst um 'demokratische Werte' kümmern, ruft Bedauern hervor.
Die Verehrung "solcher abscheulicher Protagonisten" bedeute nur Verachtung für das ukrainische Volk und der zahlreichen Opfern Banderas, so die Behörde weiter in ihrem Kommentar.
Bystron: Problem für die Ukraine
Doch die Kritik aus Europa kam, aber von überraschender Seite. Gleich nach dem Ende der Feierlichkeiten in Kiew brachten die russischen Zeitungen ein Zitat des AfD-Außenpolitikers Petr Bystron, das er im Gespräch mit der russischen Zeitung Komsomolskaja Prawda gesagt haben soll:
Ich denke, das ist ein großes Problem der ukrainischen Regierung – die Verehrung eines nazistischen Handlangers. Die ungeheuerlichen Verbrechen der Nazis während des Zweiten Weltkrieges gehören verurteilt und dürfen nicht vergessen werden. Jeder, der solche Taten feiert und lobpreist, verhöhnt das Gedenken an Millionen Opfer des Nazismus.
Einige russische Medien verorteten diese Meinungsäußerung gleich im "Bundestag". Inwieweit der AfD-Obmann für Außenpolitik im deutschen Bundestag Petr Bystron diese Position auf der Parlamentsbühne vertreten kann, ist jedoch noch unklar. Auf jeden Fall kann sich seine Partei auf Unterstützung des Präsidenten eines Nachbarlandes verlassen: Miloš Zeman, dem Präsidenten Tschechiens. Er hat die diesjährigen Feierlichkeiten zum Bandera-Tag schon im Vorfeld als Verherrlichung von Kriegsverbrechern in einem Tweet verurteilt. Doch sein Zorn galt dabei in erster Linie der tschechischen Regierung, die offenbar in dieser Angelegenheit eine ganz andere politische Linie als er vertritt.
Das ist Schande, dass das Außenamt von Petříček (der tschechische Außenminister) den Kopf in den Sand gesteckt hat. Sie haben nicht einmal an die Opfer der Bandera-Mörder erinnert", schrieb sein Pressesprecher auf Twitter.
Tomáš Petříček erwiderte ebenso per Tweet, dass die Ukraine selbst mit den "schmerzhaften Episoden ihrer Geschichte" fertig werden soll. "Dafür soll sie die notwendige Zeit bekommen", so Petříček.
Mit dieser Geduld und Toleranz vertritt offenbar der tschechische Außenminister große Teile der Öffentlichkeit im Westen. Gespräche mit Leuten, die sich für die deutsch-ukrainischen Beziehungen einsetzen, bestätigen das. Einerseits ist klar, dass Bandera und seinesgleichen "Faschisten" waren. Andererseits will man Toleranz zu einer "jungen Nation" zeigen, die möglicherweise solche Exzesse in ihrem Kampf um Unabhängigkeit nicht hätte, sollte die "Nationbuilding" früher ansetzen. In den Augen solcher Politiker wie Rebecca Harms von den Grünen wird der Bandera-Kult zusätzlich durch den Kampf gegen die "russische Aggression" gerechtfertigt. Dabei verweisen sie gern auf magere Wahlergebnisse der Neobandera-Parteien. Die Tatsache, dass die Ideologie der Nazi-Kollaborateure den amtlichen, staatstragenden Diskurs in der Ukraine seit Jahren immer stärker beeinflusst und das sich das ganze Parlament für das Gedenken an einen Nazi-Kollaborateur einsetzt, wird dabei komplett übersehen.
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