von Wladislaw Sankin
Die deutsche NGO "Europäische Akademie" und die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit sind einflussreiche Thinktanks und gelten als prominente Ideengeber für Politik und Medien. Im Dezember warben die beiden Einrichtungen für eine Podiumsdiskussion mit einem vielversprechenden Namen: "Sackgasse Sanktionen? Die Russland-Politik der EU auf dem Prüfstand".
Aber wie der Moderator später zugab, sorgte ebendiese Fragestellung in den sozialen Medien schon im Vorfeld für Kritik. Für die einen war es unerhört, die Sanktionen überhaupt anzuzweifeln. Andere erkannten, vor allem in der Beschreibung, die alten Töne, die auf eine Vorverurteilung Russlands schließen ließen. Wer hatte denn nun Recht?
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Schon einmal vorweg: Zu einer heftigen Debatte kam es nicht. Die ausgewählten Experten – zwei hochrangige NGO-Mitarbeiter und zwei Wirtschaftsvertreter – unterschieden sich in ihrer Analyse nur in Nuancen voneinander. Die Pluralität wurde auf die interaktive Online-Abstimmung unter den Besuchern beschränkt; Ergebnisse erschienen zeitgleich auf der Projektionsleinwand.
Bei der Frage "Sind die Sanktionen gegen Russland sinnvoll?" waren zeitweise gar die Gegner der Sanktionen in der Überzahl. Am Ende des Gespräches konnten jedoch die Befürworter zulegen und diese Frage knapp für sich entscheiden. Anscheinend haben die Experten den einen oder anderen überzeugt. Denn außer eines deutschen Vertreters der Industrie- und Handelskammer (IHK) in Russland, der sich eher bedeckt hielt und lediglich sagte, für deren politische Implikationen habe er viel Verständnis, waren die restlichen Gäste klare Sanktions-Befürworter.
Deren Argumente: Sie hätten Russland womöglich von weiteren "Eroberungen" in der Ukraine abgehalten. Oder sie seien Ausdruck davon, dass man "nicht einfach so in ein Land einmarschieren darf". Oder: Ihre Abschaffung würde einen Gesichtsverlust bedeuten – leicht zu verhängen, schwer abzuschaffen. Und schließlich hieß es, sie seien im Unterschied zu unklar formulierten exterritorialen und egoistischen US-Sanktionen gezielt und konkret und zudem an das Verhalten des zu sanktionierenden Landes gebunden. Also Wertepolitik in Form von Strafmaßnahmen, obwohl es so nicht formuliert wurde.
Das waren keine neuen Ansätze. Neu war nur die rückblickende Feststellung, dass die Russen die Europäer doch mehr bräuchten als anfangs behauptet und daher womöglich ein größeres Interesse an der Aufhebung der Sanktionen hätten als die EU. Und die EU? Wie kann sie die Sanktionen fallen lassen, wo diese doch der einzige Akt in der Außenpolitik der EU waren, bei dem sie eindrucksvoll Geschlossenheit demonstriert hat?
Nur aus der Position der Stärke heraus kann die EU überhaupt ernst genommen werden", sagte Miriam Kosmehl von der Bertelsmann Stiftung und kritisierte die ihrer Meinung nach derzeit mangelnde Geschlossenheit der EU in Verteidigungs- und Sicherheitsfragen.
Die Einstimmigkeit des Jahres 2014, als die Sanktionen zum ersten Mal beschlossen wurden, habe die Russen so überrascht und womöglich ihr Verhalten korrigiert.
Diese Logik funktioniert allerdings nur dann, wenn man von der eigenen Unschuld bzw. der Schuld der Gegenseite überzeugt ist. Die Veranstalter boten nicht einmal die geringste Möglichkeit, die Sache andersherum oder wenigstens etwas selbstkritisch zu sehen. Diese Voraussetzung für das herrschende Narrativ drückte sich am deutlichsten in der Fragestellung ans Publikum aus:
Wie soll die EU auf russische Regelverstöße reagieren?
Welche Regeln, von wem und für wen geschrieben und wie werden sie sonst in der Praxis angewendet, fragt man sich. War etwa die massive westliche Einmischung in der Ukraine während des Maidans kein Verstoß gegen das Souveränität-Prinzip? Aber wie könnte man seine Zweifel in nur einem Wort ausdrücken? Denn mehr als EIN Wort war als Antwort nicht zugelassen. Es sei denn, man schreibt: "welcheVerstoeße", was der Autor dieser Zeilen dann auch so gefragt hat. Die Antwort flimmerte dann ungefähr zehn Minuten, umgeben von Stichwörtern wie "provokant", "aggressiv" oder "ausgeglichen", auf der Projektionsleinwand.
Dennoch, vom Podium waren durchaus auch neue Töne zu hören. Der russische Syrieneinsatz gilt mittlerweile auch im deutschen politischen Mainstream als akzeptiert. Russland sei in dem nahöstlichen Land lediglich eine "Möchtegern-Ordnungsmacht" und keine wahre, lautete im Grunde der schärfste Vorwurf. Einige Gäste lobten die russische Diplomatie sogar für ihre ausgeklüngelte Balance-Politik und gute Expertise bezüglich der Region. Seitdem Russland zu Syrien mit Deutschland am Tisch sitzt, ist diese Wahrnehmung durchaus mehrheitsfähig geworden, dies hat die Diskussion eindrücklich bestätigt.
Und schließlich Nord Stream 2, das angeblich "umstrittene" Projekt. Keineswegs SPD-nah, haben die Experten fast einstimmig die politischen Gespräche zu Nord Stream 2 als verspätet bewertet. Das Projekt sei schon im Bau, der Rückzug sei nun nicht mehr zu bewerkstelligen, selbst wenn man wolle. Und – auch so viel Gas würde am Ende nicht reichen, sodass man dann doch genauso gut den ukrainischen Transit nutzen könne. Außerdem, wie Ute Kochlowski-Kadjaia vom Ost-Ausschuss anmerkte, sei Deutschland auch nach der Fertigstellung der Pipeline nicht verpflichtet, das Nord-Stream-Gas zu kaufen, das Risiko trügen also die Russen.
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