Der Anfang der Woche erarbeitete Vertragsentwurf für einen Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union bleibt unter Verschluss. Die Minister der britischen Regierung konnten das 500 Seiten umfassende Dokument am Mittwoch einsehen – einzeln, in einem abschließbaren und abhörsicheren Raum. Kopien waren untersagt. Das berichtet die Junge Welt. Im Anschluss stimmte das Kabinett über den Entwurf ab und billigte es nach einer fünfstündigen Sitzung.
Ähnlich intransparent wie die derzeitigen Entscheidungsprozesse liefen auch die Verhandlungen ab, aus denen der jetzt vorliegende Entwurf hervorging. Wie der Guardian berichtet, wurde nach dem gescheiterten EU-Gipfel in Salzburg Ende September, auf dem Theresa May offen brüskiert wurde, ein geheimer "Verhandlungstunnel" eingerichtet.
Federführend war hier die Stellvertreterin des EU-Verhandlungsführers Michel Barnier, Sabine Weyand, eine Deutsche. Weyand sollte die Verhandlungen auf "technischer Ebene" führen, hinter dem Rücken der Öffentlichkeit und weitgehend ohne Konsultation mit den Mitgliedsstaaten.
Die nun gefundene Lösung stellt die Regierung Theresa Mays vor eine Zerreißprobe. Zwar billigte das Kabinett mehrheitlich den Vertragsentwurf, doch gab es in der 30-köpfigen Regierung elf kritische oder ablehnende Wortmeldungen. Mittlerweile scheint die Regierung in Auflösung begriffen. Am Donnerstagmorgen gab es fünf Rücktritte, als erster trat Brexit-Minister Dominic Raab von seinem Posten zurück.
Auf Twitter verkündete er, dass das Abkommen nicht dem entspreche, was den Briten nach dem Referendum versprochen worden sei. Nach ihm traten Arbeitsministerin Esther McVey und mehrere Staatssekretäre zurück. Weitere Rücktritte erscheinen möglich.
Eine Mehrheit im Parlament für den Entwurf ist derzeit völlig ungewiss. Kritik an May kommt von der oppositionellen Labour-Partei. Parteichef Jeremy Corbyn nannte das Abkommen ein "gewaltiges und schädliches Scheitern". Die Regierung könne diese "halbgare Vereinbarung" nicht dem Parlament vorlegen.
Auch aus den eigenen Reihen steht die Premierministerin unter Beschuss. Jacob Rees-Mogg, einer der Führer der Brexit-Hardliner bei den Konservativen, beklagte, dass der Entwurf keine der gemachten Versprechen einhalte und hat angekündigt, May das Misstrauen auszusprechen. Ein weiterer Brexit-Befürworter fasste das Abkommen gegenüber The Sun so zusammen:
Wir haben hier ein Abkommen, nachdem wir der EU Milliarden zahlen müssen, alle EU-Gesetze akzeptieren, kein Mitspracherecht in EU-Angelegenheiten haben und keine Freihandelsabkommen abschließen dürfen. Es ist absolut das Schlechteste aller Welten.
Unterdessen hat der Tory-Abgeordnete Henry Smith am Donnerstagnachmittag erklärt, einen sogenannten Misstrauensbrief an das "1922-Komitee" der Fraktion der Konservativen geschickt zu haben, in dem er May das Misstrauen ausspricht. Sobald 48 dieser Briefe eingegangen muss sich May der Vertrauensfrage stellen. 40 sollen es bereits sein. Es wird von Treffen berichtet, bei denen die Brexit-Hardliner unter den Konservativen Mays Sturz planen.
Die Zukunft des Brexit erscheint im Moment ebenso offen wie die der britischen Regierung. Die EU-kritische The Sun, die Mays Entwurf wie große Teile der Konservativen für viel zu weich hält, fasst die Lage auf ihrem Titelblatt vom Donnerstag so zusammen: "Wir stecken im Brexshit."