Einem Besucher der estnischen Grenzstadt Narva fällt, zwischen den verlassenen Fabrikruinen, vor allem eine futuristisch anmutende Fußgängerbrücke auf. Zwar sollte sie einst den Grenzübertritt erleichtern, eröffnet wurde sie jedoch nie. Die Fabrik auf der Insel Kreenholm machte dicht, wer konnte, zog weg. Narva ist das Zentrum der russischsprachigen Minderheit. Mit Grenzzäunen und Mauern wollen sich die baltischen Länder nun Richtung Osten abschotten, um ihre "Außengrenzen der EU und der NATO zu schützen".
190 Kilometer Grenzzaun, zweieinhalb Meter hoch, sollen Lettland von Russland trennen. 2019 soll das Projekt fertiggestellt werden. Auch Estland hat befestigten Grenzschutz nach Russland angekündigt. 110 Kilometer Grenze sollen durch einen Zaun geschützt werden, was schätzungsweise 70 Millionen Euro kosten wird. Daher wird sich die estnische Regierung Finanzierungshilfe bei der EU abholen. Und auch Litauen schottet sich mit einem Zaun nach Osten ab.
Kritiker sehen in dieser Art Abschottung reine Symbolpolitik. In Lettland wurde vom Präsidenten im April Unterricht auf Russisch in lettischen Schulen verboten, ungeachtet der Tatsache, dass fast 30 Prozent der lettischen Bevölkerung ethnische Russen sind. Und Russisch ist sogar für 40 Prozent der Bürger die Hauptsprache. Allein in Fächern, die unmittelbar mit der Identität der Minderheit zu tun haben, darf Russisch gesprochen werden. Zunächst gilt eine Übergangsphase. Die russische Botschaft Rigas kommentierte das auf Facebook:
Eine offensichtliche und bedauerliche Tatsache: Es wurden nicht nur Interessen eines bedeutenden Teils der Bevölkerung von Lettland, sondern auch internationale Gesetze zum Schutz der Minderheitenrechte ignoriert.
Flüsse und Sümpfe bilden die natürliche Grenze zwischen Lettland und Russland. Die Grenze ist 276 Kilometer lang. Offiziell hieß es, der Grenzzaun solle das Land gegen "illegale Migranten" schützen. 2015 verzeichnete Lettland 476 illegale Grenzübertritte, 2014 waren es 144. Der Großteil der gefassten illegalen Migranten waren vietnamesischen Ursprungs, mit Aufenthaltsrecht in Russland. Die Sprecherin des lettischen Innenministeriums, Daiga Holma, aber wies darauf hin, dass der Zaun schon vor der sogenannten Flüchtlingskrise erbaut wurde:
Wir müssen nicht über Zäune, sondern über den Schutz der lettischen Außengrenze sprechen, welche gleichzeitig auch die Außengrenze der EU ist.