Kaliningrad, die russische Exklave an der Ostsee mit der gleichnamigen Hauptstadt, hat seit der Auflösung der Sowjetunion keine direkte Landverbindung mehr zur Russischen Föderation. Zwischen Litauen und Polen gelegen, lebt in der Oblast Kaliningrad knapp eine Million Menschen. Es ist eine geschichtsträchtige Region, die jahrhundertelang unter der Herrschaft der Preußen stand, ebenso wie Teile Polens und des Baltikums. Das Ende des Zweiten Weltkriegs besiegelte schließlich das Schicksal des einst blühenden Königsberg.
Mit der Auflösung der Sowjetunion und dem unter Boris Jelzin verfallenden Militär wurde das militärische Sperrgebiet Kaliningrad vorsichtig geöffnet. Doch die relativ rasche Verschlechterung der Sicherheitsstruktur mit der NATO-Osterweiterung und der Aufkündigung des ABM-Vertrages (Vertrag über die Begrenzung von antiballistischen Raketenabwehrsystemen) durch die USA im Jahr 2001 rückte die Exklave wieder in den Fokus der Strategen im Kreml. Schon damals warnte der russische Präsident Wladimir Putin vor einem neuen Wettrüsten, obwohl er die Aufkündigung als solche nicht für eine Gefahr für die nationale Sicherheit Russlands betrachtete. Erst als die Regierung von George W. Bush anfing, laut über die Stationierung eines neuen US-Raketensystems in Rumänien und Polen nachzudenken, änderte sich die strategische Einordnung der Entwicklung in Europa für den Kreml.
Zwar setzte Bushs Nachfolger Barack Obama den Plänen im Jahr 2009 vorerst ein Ende, weil sich offiziell die Erkenntnis durchgesetzt hatte, dass die iranische Bedrohung für Europa doch nicht so groß war wie von Bush behauptet. Doch nur wenige Jahre später gab Obama dem Druck der Falken in seiner Regierung nach und gab den Startschuss für den Bau von etwas kleineren Raketenstationen. Ein sichtlich verärgerter Wladimir Putin antwortete daraufhin auf die Frage eines Journalisten:
Seit den frühen 2000er-Jahr haben wir immer wieder das Gleiche wie ein Mantra wiederholt: Wir werden auf irgendeine Weise antworten müssen. Niemand hört uns zu, niemand will mit uns darüber reden, wir hören nichts anderes als Plattitüden, und diese Plattitüden zielen darauf hinab, dass das (die Raketen/Anm.) nicht gegen Russland gerichtet sei und nicht die Sicherheit Russlands bedrohe. Lassen Sie mich daran erinnern, dass die Rede von einer Gefahrenabwendung durch den Iran war, es drehte sich alles um das iranische Atomprogramm. Wo ist jetzt das iranische Atomprogramm? Es existiert nicht mehr. Die Vereinigten Staaten haben selbst das Abkommen mit dem Iran initiiert. Die iranische nukleare Bedrohung existiert nicht, während das Gebiet zur Entsendung von US-Raketenabwehrsystem in Rumänien evaluiert wurde. (…) Und da gibt es etwas, das sogar noch schlimmer ist: Diese kompakten Abschussvorrichtungen können Angriffsraketen mit einer Reichweite von 2.400 Kilometern aufnehmen, und die Raketen auszutauschen ist kein Problem, man muss nur die Software austauschen, und niemand bemerkt davon irgendetwas, nicht einmal die Rumänen. Ist das keine Bedrohung für uns? Natürlich ist es eine.
Erst daraufhin hat Russland begonnen, seine mit atomaren Sprengköpfen bestückbaren Iskander-Kurzstreckenraketen nach Kaliningrad zu bringen. Zuerst zu Übungszwecken – und zum Test, ob die USA den Bau ihrer Raketensysteme weiter vorantreiben – im Jahr 2016, und schließlich als ständige Stationierung ab Februar 2018. Deshalb stimmt es nicht, wie der US-Admiral und Oberkommandierende der NATO-Großübung Trident Juncture 2018 in Norwegen James Foggo in einem Interview sagte: "Wenn sie (die Russen) uns herausfordern, dann fordern wir sie heraus." Auch der ehemalige NATO-Kommandeur und US-General James Stavridis wiederholt noch heute, dass die US-Raketensysteme in Polen und Rumänien nichts mit Russland zu tun hätten, sondern gegen iranische Raketen gerichtet seien.
Ebenso sieht Stavridis die NATO-Großübung in Norwegen im Lichte dieser Aufrüstung von Kaliningrad mit modernsten russischen Waffensystemen und der Einlagerung von größeren Mengen an taktischen Atombomben. Es ist auch diese Aufrüstung und Stationierung russischer Raketensystemn, die die US-NATO-Botschafterin Kay Bailey Hutchison kürzlich ansprach und drohte, dass die USA "diese ausschalten" würden.
Jegliche Reaktion Russlands auf die von den USA und der NATO geförderte Entwicklung in der Nähe der russischen Grenze wird aber von Washington als Bedrohung eingestuft. Nicht als Bedrohung für die Vereinigten Staaten von Amerika, sondern als eine, die die Handlungsfreiheit ohne jegliches Risiko einschränkt. Denn mit Ausnahme der baltischen Regierungen und jener Polens sieht niemand eine Gefahr, die vor Russland ausgeht. Fünf skandinavische Verteidigungs- und Außenminister haben erst diese Woche in einem gemeinsamen Schreiben klargemacht, dass "wir keine militärische Bedrohung für Nordeuropa sehen". Und genauso sieht es auch die deutsche Regierung, die bestätigt, dass sie über "keine Erkenntnisse" einer solchen Bedrohung aus Russland verfüge.
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