Als "Uppgivenhetssyndrom" (Aufgabesyndrom) wird der komatöse Zustand auf schwedisch bezeichnet, in welchen Flüchtlingskinder fallen können, denen die Abschiebung droht. Sie verlieren den Lebenswillen und somit die Fähigkeit zur Kommunikation, ebenso ihre motorischen Fähigkeiten. Sie vernachlässigen ihre Hygiene, können sich nicht mehr selbst an- und auskleiden und müssen künstlich ernährt werden. Aus medizinischer Sicht sind sie körperlich gesund. Bislang wurde dieses Syndrom nur in Schweden bekannt.
Mediziner und Psychologen sehen dieses "Aufgabesyndrom" als eine Reaktion auf traumatische Erlebnisse. Nicht alle Kinder erholen sich von dem Trauma, wenn die Familien dann doch noch eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Erstmalig wurde dieser Begriff 2014 mit der Flüchtlingskrise geprägt. Kinder, denen bescheinigt wurde, sie litten an einem Zustand totaler Apathie, haben schwere traumatische Erlebnisse hinter sich und reagieren stark auf Stress. Zwischen 2003 und 2005 gab es über 400 Fälle mit diesen Symptomen.
Damals stammten die Flüchtlingskinder aus dem ehemaligen Jugoslawien und der Sowjetunion. In der Altersgruppe der 6- bis 12-Jährigen gab es 2014 in Schweden 25 solcher Fälle, unter den 13- bis 17-Jährigen 24 Fälle. 2015 stieg die Zahl auf 85 und 2016 wurden 84 Minderjährige mit einem solchen Syndrom registriert. Dies sind jedoch nur diejenigen Fälle von Kindern, die bereits über eine schwedische Identifikationsnummer verfügen.
42 Ärzte wandten sich in einem Brief an die Regierung, in dem sie mahnten, dass die Praktiken der Einwanderungsbehörde die Kinder weiter schädigte. In den schwedischen Nachrichten tauchte 2005 Videomaterial auf, in denen Kinder, auf Bahren liegend, scheinbar reglos in Flugzeuge verfrachtet wurden, weil der Asylantrag ihrer Familien abgelehnt worden war.
Die schwedische Regierung veröffentlichte einen Bericht, wonach geschlussfolgert wurde, dass die Kinder, welche hieran erkranken, aus "holistischen Kulturen" stammen, in welchen "es schwer ist, Grenzen zwischen der eigenen Privatsphäre und dem Kollektiv zu ziehen". Sie würden sich schlicht für die Familie opfern. Auf Forschungsreisen in den Kosovo, Serbien, Aserbaidschan, Kasachstan und Kirgisstan aber wurden die schwedischen Ärzte nicht fündig. Dort hatte man von solch einer psychischen Erkrankung noch nichts gehört.
International bekannt wurde der Fall von zwei Schwestern Djenata und Ibadeta, die ins Koma fielen, nachdem sie den Lebenswillen verloren. Eine Ärztin zu dem Fall:
Ich denke, dieses Koma, in dem sie sich befinden, ist eine Form des Schutzes. Sie sind wie Schneewittchen. Sie fallen einfach aus der Welt.
Djenata ist seit über drei Jahren, seit sie 12 ist, nicht mehr ansprechbar, ihre Schwester seit etwa einem Jahr. Die Apathie endete meist erst mit dem Bleiberecht. Es gilt in der Therapie, den Kindern vorrangig wieder das Gefühl der Sicherheit zu vermitteln. Schweden änderte inzwischen das Asylrecht: Apathische Kindern dürfen nicht mehr abgeschoben werden.
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