Gleich nachdem die britische Polizei eine Mordermittlung zur Vergiftung und dem Tod von Dawn Sturgess, 44, in Amesbury eingeleitet hatte, haben verschiedene selbsternannte Chemiewaffenexperten auf Twitter nach Rache an Russland geschrien und Moskau bereits in der Anfangsphase der Untersuchung die Schuld an dem Vorfall zugeschrieben.
Mike Gapes, der Abgeordnete für Labour und die Genossenschaftspartei für Ilford South, der kürzlich erst die britischen Parlamentarier aufgefordert hatte, nicht mit dem Sender RT zu sprechen, benannte sofort Russland als eine Partei, die für Sturgess' Tod verantwortlich sei.
"Dies war ein Mord an einem britischen Staatsbürger als Folge der Verwendung eines chemischen Nervengases, das vom russischen Staat hergestellt wurde", schrieb Gapes auf Twitter und kam mit dieser Anschuldigung sogar Theresa "höchstwahrscheinlich" May zuvor.
Die selbsternannten "Kreml-Beobachter" der britischen Medien, Telegraph-Russlandkorrespondent Alec Luhn und Luke Harding vom Guardian, schlossen sich ebenfalls seiner gewagten Theorie an.
Harding, ein bekannter Kritiker der russischen Regierung, deutete an, dass Sturgess ein "Kollateralschaden" der Kreml-orchestrierten Operation sei, die die Vergiftung des ehemaligen Doppelagenten Sergej Skripal und von dessen Tochter Julia im März in Salisbury verkörpert habe.
Dawn Sturgess stirbt, nachdem sie #nowitschok ausgesetzt war. Die Umstände sind unklar. Eine völlige Gleichgültigkeit gegenüber Kollateralschäden ist eines der Markenzeichen des #Putin-Regimes und seiner extraterritorialen Operationen", tweete er.
Harding: Machte narzisstische Kränkung ihn zum sendungsbewussten Kremlkritiker?
Harding war ein langjähriger Guardian-Korrespondent. Er arbeitete bis 2011 in Moskau, als ihm eines Tages die Einreise nach Russland infolge einer Verletzung der Akkreditierungsregeln verweigert wurde. Während das Problem umgehend gelöst wurde und er einige Tage später zurückkehren durfte, fühlte sich Harding offenbar persönlich gekränkt und behauptete fortan, er sei zum Opfer eines Durchgreifens des Kreml gegen abweichende Meinungen geworden.
Alec Luhn, einem weiteren engagierten Kritiker Russlands zufolge kam der Tod von Sturgess schon fast gelegen, um dem russischen Präsidenten Wladimir Putin das Wort im Mund zu verdrehen, der die mutmaßliche Vergiftung der Skripals mit den Worten kommentiert hatte: "Wenn der Vater und die Tochter tatsächlich von einem militärischen Giftstoff angegriffen worden wären, hätten sie nicht überlebt."
Luhns Logik zufolge verleiht Putins Bemerkung dem zuletzt stark unter Druck geratenen Narrativ, dass Moskau hinter der Salisbury-Vergiftung steckte, offenbar mehr Glaubwürdigkeit.
"Wladimir Putin argumentierte zuvor, dass der russische Staat im Vereinigten Königreich kein militärisches Nervengas eingesetzt haben könnte, weil die Opfer gestorben wären. Jetzt starb eines von ihnen", schrieb Luhn.
Einige Kommentatoren haben den russischen Präsidenten sogar beschuldigt, Sturgess persönlich getötet zu haben. Der bevorstehende Trump-Putin-Gipfel in Helsinki wurde zwangsläufig mit dieser Thematik verknüpft.
"Putin ist ein Mörder. Wie stehen die Chancen, dass Trump das nächste Woche nicht erwähnt? Putin ist unser FEIND!!!!", schrieb Brian Krassenstein, ein Redakteur des Teams namens Hill Reporter, dessen Twitter-Account fast 500.000 Menschen folgen.
Seit der Ankündigung des bilateralen Treffens am 16. Juli haben Hardliner den US-Präsidenten geächtet, weil dieser sich an seinen vermeintlichen Marionettenspieler gewöhnt hätte. Für seine Absicht, gute Beziehungen zu Russland zu unterhalten, haben sie Trump als "Oberverräter" tituliert, der den russischen Staatschef als "gut" bezeichne.
Keinerlei Bezug der Opfer zu Russland
Doch nicht jeder ist von der Theorie einer russischen Beteiligung am jüngsten Todesfall überzeugt. Diese beruht immer noch ausschließlich auf Spekulationen, da es zu diesem Zeitpunkt immer noch unklar ist, wie Sturgess mit der Substanz in Berührung kam. Außerdem haben weder Sturgess noch ihr Partner Charlie Rowley, 45, der in kritischem Zustand im Krankenhaus verbleibt, in ihrer Vergangenheit irgendetwas mit Russland zu tun gehabt bzw. keinen Hintergrund vorzuweisen, der sie in irgendeiner erdenklichen Weise für den Kreml interessant machen könnte. Das ging auch aus einer Erklärung der Polizei hervor.
Als er jedoch mit Gegenreaktionen (oder sogar legitimen Fragen) zu seinem Tweet konfrontiert wurde, zog Gapes es vor, jeden, der nach Beweisen fragte oder an Russlands Schuld zweifelte, als "Kreml-Bots" und "quäkende missbräuchliche Trolle" aus Russland zu bezeichnen.
Gapes reagierte ebenso, als ihm infolge seines jüngsten Angriffes auf RT vorgeworfen wurde, alternative Meinungen zensieren zu wollen. Damals nannte er diejenigen, die es wagten, mit ihm nicht einverstanden zu sein, "Putin-Apologeten".