Die mögliche Abwahl des spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy ist in greifbare Nähe gerückt. Zu Beginn einer zweitägigen Parlamentsdebatte über ihren gegen Rajoy eingebrachten Misstrauensantrag fehlten den Sozialisten von Pedro Sánchez am Donnerstag offenbar nur noch wenige Stimmen, um den Regierungschef zu Fall zu bringen.
Die Entscheidung hing demnach von der Baskisch-Nationalistischen Partei (PNV) ab, die im Parlament über fünf Sitze verfügt. Diese hatte Rajoy aber kürzlich noch mit ihren Stimmen geholfen, seinen Haushalt zu verabschieden. Damit der Antrag von Sozialisten-Chef Sánchez Erfolg hat, ist eine absolute Mehrheit von 176 Stimmen nötig.
Außer den 84 Abgeordneten der PSOE wollen auch das linke Bündnis Unidos Podemos, das über 67 Sitze verfügt, und zwei katalanische Regionalparteien gegen den Regierungschef votieren. Die liberale Partei Ciudadanos will die PSOE hingegen nicht stützen. Sie fordert dennoch eine Neuwahl.
Gerichte gehen von tiefer Verwicklung der PP in Schmiergeldaffäre aus
Die Sozialisten hatten den Antrag als Reaktion auf mehrere Gerichtsurteile in der Korruptionsaffäre um Rajoys konservative Volkspartei (PP) eingebracht. Vor Beginn der Debatte waren Forderungen nach einem freiwilligen Rücktritt Rajoys immer lauter geworden. Einen solchen hatte der 63-Jährige aber noch am Mittwoch abgelehnt und betont, er wolle seine reguläre Amtszeit ausfüllen. Die Debatte wird am Freitag fortgesetzt, danach soll voraussichtlich die Abstimmung folgen.
Am Tag vor der Parlamentsdebatte bezichtigte der konservative Regierungschef die oppositionellen Sozialisten, mit ihrem Antrag die gesamte Opposition zu "erpressen". Er sei fest entschlossen, seine reguläre Amtszeit auszufüllen, sagte Rajoy, der eine Minderheitsregierung führt.
Der nationale Strafgerichtshof hatte die PP vergangene Woche wegen Verwicklung in den Skandal zu einer Geldstrafe von 245.000 Euro verurteilt. Gegen mehrere Ex-Parteimitglieder verhängte die Justiz langjährige Haftstrafen. Rajoy hatte die Aufklärung in dem Korruptionsskandal seiner Partei für "nicht sachdienlich" erklärt und damit großen Unmut auf sich gezogen.
Im Zuge der Schmiergeldaffäre sollen über Jahrzehnte hinweg Beträge von Unternehmen geflossen sein - und zwar auch schon zu einem Zeitpunkt, da Rajoy bereits die Parteiführung innehatte. Im Gegenzug soll es lukrative öffentliche Aufträge gegeben haben. Diesen Sachverhalt sollen die Unternehmen in schon abgeschlossenen Verfahren zugegeben haben.
Rajoy: "Um an die Macht zu kommen, müsste Sánchez mit Separatisten paktieren"
Die Schmiergelder sollen von dem ehemaligen PP-Schatzmeister Luís Bárcenas verwaltet worden sein. Wie Telepolis berichtet, soll den Aufzeichnungen von Bárcenas zufolge auch ein "M. Rajoy" in Bargeldumschlägen sogar die höchste Gesamtsumme als "Zusatzlohn" erhalten und so direkt von Schmiergeldern profitiert haben.
Rajoy bestreitet die Vorwürfe und betonte, dass Sozialisten-Chef Pedro Sánchez selbst nur das Ziel verfolge, an die Macht zu kommen. Dem 46-Jährigen blieben nur zwei Optionen, um auf die erforderliche Mehrheit von 176 Stimmen zu kommen, fügte Rajoy hinzu: Entweder er gehe einen Pakt mit der liberalen Partei Ciudadanos ein, wobei diese eine Kandidatur von Sánchez aber nicht unterstützen würde. Oder er einige sich mit mehreren separatistischen Parteien aus Katalonien, wofür Sánchez dann aber mit Blick auf den andauernden Konflikt mit der Krisenregion einen hohen Preis werde zahlen müsse.
Es ist erst der vierte Misstrauensantrag in Spanien seit dem Ende der Franco-Diktatur im Jahr 1975. Die beiden ersten waren in den 1980er Jahren erfolglos geblieben. Im Juni 2017 scheiterte bereits das linke Bündnis Unidos Podemos mit einem Antrag gegen Rajoy.
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(rt deutsch/dpa)