von Ali Özkök
RT Deutsch sprach mit Angelo Gambella. Er ist Verleger, Journalist, der für mehrere nationale und internationale Nachrichtenportale berichtet hat, sowie Chefredakteur von mehreren historischen und kulturellen Journalen, die auf Italienisch veröffentlicht werden.
Zwei EU-Skeptiker regieren den drittgrößten Mitgliedsstaat der Union. Was bedeutet das für die Europapolitik Italiens?
Die italienische Außenpolitik wird sich mit der neuen Regierung mit Sicherheit verändern. Mit den beiden euroskeptischen Parteien ist das unvermeidlich, aber das bedeutet nicht, dass Italien den Euro oder die Europäische Union verlässt, Es wird einen anderen Weg geben, um die Beziehungen zu Brüssel und anderen europäischen Regierungen umzustrukturieren.
Die Änderung hängt jedoch sehr davon ab, wer Außenminister unseres Landes wird. Hinzu kommt, dass es entscheidend sein wird, ob dieser Posten von einem Diplomaten eingenommen wird oder einem Politiker, die mitunter andere Interessen verfolgen.
Die traditionellen politischen Kräfte Italiens wurden Anfang März abgewählt. Was sind die Hauptgründe für die Entscheidung der Bevölkerung?
Die Italiener beschlossen, die Mitte-Links-Regierungsparteien in die Opposition zu befördern. Das hat maßgeblich mit den Themen Einwanderung, Sicherheit und Arbeit zu tun, die für viele nicht ausreichend angepackt wurden.
Die Vorschläge zu Sicherheitsthemen machten die Lega und die Mitte-Rechts-Koalitionsparteien in kürzester Zeit zu beliebten Parteien. Die Liga gewann gefolgt von der Fünf-Sterne-Bewegung nicht überraschend die Wahlen.
Die Fünf-Sterne-Bewegung hat aufgrund des Versprechens eines "Staatsbürgerschaftseinkommens" viele Stimmen erhalten. Das ist praktisch ein bedingungsloses Grundeinkommen, das in Anbetracht der schweren Wirtschaftskrise, die unser Land im Griff hat, viele mobilisierte.
Wie stabil ist die neue Regierung?
Die Lega und die Fünf-Sterne-Bewegung haben im Senat eine Mehrheit von nur sechs Stimmen. Das ist keine besonders starke Position. Der Premierminister muss im Parlament, sowohl im Senat als auch im Plenum, weitere Stimmen für künftige Vertrauensabstimmungen finden. Grünes Licht von Giorgia Meloni von der rechten Partei Fratelli d'Italia könnte entscheidend sein.
Die Mainstreammedien außerhalb des Landes berichten regelmäßig, dass die beiden neuen Regierungsparteien radikale, populistische Parteien seien. Wie beurteilt der italienische Mediendiskurs die beiden Parteien?
Italienische Medien haben oftmals die gleiche Meinung, aber in Italien gibt es auch Vertreter des unabhängigen italienischen Journalismus, die nicht auf den Zug aufspringen. Ihrer Meinung nach greift die Definition des Populismus nicht unbedingt für die Lega und die Fünf-Sterne-Bewegung.
Was erwarten Sie vom italienischen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte, der außerhalb Italiens wenig bekannt ist?
Conte wurde sowohl von Di Maio (Chef der Fünf-Sterne-Bewegung; d. Red.) als auch von Salvini (Chef der Lega; d. Red.) für die Rolle des Premierministers vorgeschlagen. Es ist richtig: Für ihn wird es nicht einfach ohne politische Erfahrung. Giuseppe Conte ist von Beruf Professor für Recht und Jurist sowie Mitglied des Büros für Verwaltungsjustiz. Contes Stärke ist, dass er die italienische Bürokratie sehr gut kennt. Deshalb könnte er auch zu einer echten Überraschung werden.
Wird Conte sich zwischen den beiden Machtblöcken innerhalb der Regierung durchsetzen können?
Wir werden das wahre politische Potenzial von Giuseppe Conte bei seiner ersten Rede im Parlament sehen.
Die neue Regierung will mehr Geld ausgeben als die bisherigen. Wie realistisch ist das?
Es ist unrealistisch. Ich glaube jedoch, dass die im EU-Stabilitäts- und Wachstumspakt festgelegte Grenze des jährlichen Defizits von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts künftig überschritten wird.
Die neue Regierung gilt als aufgeschlossen gegenüber Russland. Erwarten Sie einen Paradigmenwechsel in Rom, der auch das europäische Sanktionsregime gegen Moskau aushöhlen könnte?
Der Koalitionsvertrag der Fünf-Sterne-/Lega-Regierung fordert eine Revision der Sanktionen gegen Moskau. "Es ist angebracht, die gegen Russland verhängten Sanktionen zurückzuziehen", heißt es konkret im Vertrag. Außerdem wird Russland als "strategischer Gesprächspartner für die Lösung regionaler Krisen in Syrien, Libyen und im Jemen" anerkannt, wie es aus dem Text hervorgeht.
Ich erwarte, dass die neue italienische Regierung ihr Versprechen einhält und die Zusammenarbeit mit anderen Regierungen in Europa suchen wird.
Berlusconi besuchte kürzlich die Krim. Ist das ein Zeichen dafür, dass Italien in Zukunft mehr Interesse an der Halbinsel zeigen wird?
Italien unterhält historische Beziehungen zur Krim, wo es noch eine italienische Gemeinschaft gibt. Mitglieder der Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung gingen vor einigen Monaten auf die Krim. Berlusconi ist ein guter Freund von Präsident Putin. Ich denke, italienische Unternehmer werden sich in naher Zukunft für die Halbinsel interessieren.
Wie sehen die Kreise um die neue Regierung angesichts der Bereitschaft Italiens, enger mit Russland zusammenzuarbeiten, den Einfluss der USA auf Europa?
Die neue Regierung bestätigt das historische und starke Bündnis mit den Vereinigten Staaten. Ich glaube nicht, dass Italien diplomatische Schritte unternehmen wird, die den Beziehungen zwischen den Ländern schaden könnten. Es liegt jedoch im nationalen Interesse Italiens, enger mit Russland zusammenzuarbeiten, einschließlich internationaler und kultureller Szenarien. Ich denke und hoffe zum Beispiel auf eine Zusammenarbeit beim Wiederaufbau der alten Stadt Palmyra in Syrien, wo die russische Regierung bereits aktiv ist.
Die EU kritisiert immer wieder den wachsenden Einfluss Russlands und der Türkei auf dem Balkan. Brüssel will die Region in die EU integrieren. Italien unterhält eine militärische Präsenz im Kosovo und enge Beziehungen zu Ländern wie Albanien. Hat die neue Regierung auch eine Agenda für diese Region formuliert?
Die 1999 begonnene italienische Militärpräsenz im Kosovo ist aus der Perspektive Roms wichtig für die Sicherheit der Region. Die neue Regierung will einige internationale Missionen einstellen, aber die auf dem Balkan wird wegen ihrer Nähe zur italienischen Halbinsel bestätigt werden.
Die jüngste Rede des Präsidenten Erdoğan in Sarajevo zeigt den europäischen Ländern die Existenz einer türkischen Machtpolitik, die von der Ägäis bis zum Balkan reicht. Der russische Einfluss auf Serbien ist offensichtlich.
Italien wird seine historischen Verbindungen zur Balkanregion nicht aufgeben. Tatsächlich hat Italien alte Beziehungen zu Albanien, es ist aber auch wichtig, die Präsenz italienischer Minderheiten im benachbarten Kroatien und Slowenien (z.B. in Istrien und Dalmatien) zu berücksichtigen. Die neue Regierung will eine führende Rolle in der Balkanregion einnehmen.