Die Europäische Union will die sogenannten Westbalkanstaaten enger an sich binden. Die Aufnahme neuer Mitglieder bleibt aber umstritten. So lehnte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Donnerstag im bulgarischen Sofia einen konkreten Zeitplan für einen Beitritt bis 2025 ab. "Ich halte von diesem Zieldatum nichts, weil es um einen Beitritt gehen muss, der basiert sein muss auf Fortschritten in der Sache", sagte Merkel nach einem Treffen der EU-Staaten mit den sechs südöstlichen Nachbarn. Es gehe unter anderem um die Rechtsstaatlichkeit.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron äußerte sich ähnlich. Es sei schon aus geostrategischen Gründen nötig, die Länder der Region zu unterstützen. "Aber ich bin nicht dafür, bevor wir alle nötigen Sicherheiten haben (...), uns auf eine Erweiterung hinzubewegen." Zunächst müsse die Europäische Union reformiert werden.
Die Option Westbalkan in der EU sei alternativlos
EU-Ratspräsident Donald Tusk machte hingegen deutlich: "Ich sehe keine andere Zukunft für den westlichen Balkan als die EU. Keine Alternative, keinen Plan B", sagte Tusk. Diese Länder seien ein wesentlicher Teil Europas.
Brüssel fürchtet den wachsenden Einfluss Russlands oder Chinas in seiner Nachbarschaft. Zudem baut die Türkei vor allem im wirtschaftlichen Sinne ihre Bedeutung in der Region aus. Zum Westbalkan rechnet die EU Serbien, Montenegro, Albanien, Mazedonien, Bosnien-Herzegowina und das Kosovo, ungeachtet der geografischen Lage der Länder. Die EU-Kommission hatte den Beitritt einiger Staaten bis 2025 für möglich erklärt, wenn sie sich in Sachen Reformen sehr bemühen. Bei dem Treffen in Sofia ging es aber nur um praktische Maßnahmen, darunter der Ausbau von Verkehrs-, Energie- und Kommunikationsnetzen. Dies sei nicht als Ersatz für einen EU-Beitritt, sondern als Brückenlösung zu verstehen, sagte Tusk. "Es ist im Sinne von Frieden und Sicherheit für uns alle, dass wir einen sicheren Westbalkan haben, der sich auch wirtschaftlich gut entwickelt", so Kanzlerin Merkel.
Vorbehalte bei der EU-Bevölkerung sowie bei Menschen auf dem Balkan
In Staaten wie Deutschland, Frankreich oder Österreich stehen viele Menschen einer erneuten Erweiterung skeptisch gegenüber. Sie befürchten einen Zustrom von "Billigarbeitern", mehr Kriminalität und die Aufnahme eines "neuen Griechenlands", das dann mit Milliardenkrediten vor dem Bankrott bewahrt werden muss. Angesichts der EU-skeptischen Stimmung könnten viele Regierungen versucht sein, einen Beitritt hinauszuzögern - selbst dann, wenn die Balkanstaaten eigentlich die Bedingungen für eine Aufnahmen in die EU erfüllen.
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Wer denkt, dass sich alle Menschen in den Balkanländern nichts sehnlicher wünschen als einen EU-Beitritt, der irrt. Die Zustimmung in der serbischen Bevölkerung für den EU-Beitritt Belgrads ist weiterhin groß, doch je länger der Prozess dauert, desto mehr Menschen haben das Gefühl, dass Brüssel eine Hinhaltetaktik verfolgt. Das gleiche Bild ist auch in Bosnien-Herzegowina sowie in Montenegro zu beobachten.
Zudem kommen die nötigen Reformen in allen sechs Ländern nur schleppend voran, die Korruption ist immer noch ein großes Problem. Außerdem stehen ohnehin viele Serben dem Westen kritisch gegenüber - sei es wegen der NATO-Bombardierung des serbischen Teils Bosnien-Herzegowinas 1995 oder des damaligen Jugoslawiens (heutiges Serbien) 1999. Zudem werfen viele den EU-Regierungen vor, in der Frage des Kosovo-Status eine anti-serbische Position zu beziehen. In Montenegro, das 2017 - trotz mehrheitlichen Widerstands in der Bevölkerung - der NATO beigetreten war, fühlen sich bedeutende Bevölkerungsteile eher zu Russland hingezogen als zur EU.
Spaniens Regierungschef Manuel Rajoy kam nicht wegen Kosovo
Spanien war als einziges EU-Land beim Balkangipfel nicht mit seinem Staats- oder Regierungschef vertreten. Regierungschef Manuel Rajoy ringt daheim mit der separatistischen Bewegung in Katalonien und wollte nicht an einem Treffen mit dem Präsidenten des Kosovo teilnehmen. Die abtrünnige serbische Provinz hatte 2008 ihre Unabhängigkeit ausgerufen, wird aber bis heute von Spanien und vier weiteren EU-Ländern nicht als Staat anerkannt.
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(rt deutsch/dpa)