von Timo Kirez
Der römische Philosophen Boethius (480–525) antwortet in seinem Buch "Trost der Philosophie" auf die Frage "Siehst Du endlich ein, dass ich ein Philosoph bin?" mit dem Satz: "Wenn Du geschwiegen hättest, hätte ich es eingesehen." Aus dieser Antwort wurde bekanntlich mit der Zeit das Bonmot "Wenn Du geschwiegen hättest, wärst du Philosoph geblieben". In seinem Buch, das als letztes bedeutendes philosophisches Werk der Antike gilt, führt Boethius einen Dialog mit der "personifizierten Philosophie" – also eine Art Selbstgespräch.
Ein Philosoph, der Selbstgespräche deutlich weniger goutiert, aber dafür ein enormes Sendungsbewusstsein hat, ist der Franzose Bernard-Henri Lévy, der sich ganz markenbewusst auch gerne nur "BHL" nennen lässt. Am liebsten spricht BHL, den ein Literaturkritiker einmal spöttisch als "das schönste Dekolleté von Paris" bezeichnet hatte, mit den Medien. Doch das geht nicht immer gut aus. Das neueste Beispiel ist ein Auftritt von Lévy in der französischen Sendung C à vous, was so viel bedeutet wie "Sie sind dran".
Keinerlei Erkenntnisse über Chemiewaffen im Bosnienkrieg
Auf die Frage des Journalisten Patrick Cohen, "Was soll man diesen Echtzeit-Revisionisten antworten, die behaupten, dass es keine Beweise [für den Einsatz von Chemiewaffen] gibt, und dass Baschar al-Assad kein Interesse daran habe, Zivilisten zu vergasen, nachdem er militärisch rund um Damaskus und Ghuta erfolgreich war?" hatte Lévy eine verblüffende Antwort parat. Der Philosoph verwies völlig überraschend auf den Jugoslawienkrieg der 1990er Jahre und meinte:
Aber das sagen sie [die "Revisionisten"] immer! Ich erinnere mich in Bosnien, in Sarajevo, als die Serben chemische Waffen auf den Markt in Markala schossen, oder [wie es hieß] sie einfach Granaten abschossen, und die Bosnier feuerten auf sich selbst.
Lévy behauptet demnach, dass es in Bosnien zu einem Giftgasangriff gekommen sein soll. Doch die Sache hat einen gewaltigen Haken: Auf dem Markala-Markt in Sarajevo kam es zwar zu zwei Angriffen, einmal am 5. Februar 1994 und noch einmal am 28. August 1995. Durch beide Angriffe verloren insgesamt 151 Zivilisten ihr Leben. Rund 234 wurden verletzt. Doch nie wurde bei diesen Vorfällen von einem Giftgasangriff gesprochen.
Rusmir Smajilhodzic, ein AFP-Journalist in Sarajevo, bestätigt ebenfalls, dass "kein chemischer Angriff je erwähnt wurde: weder zum Zeitpunkt der Ereignisse noch später von Experten oder vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY)". Umso erstaunlicher, dass Lévy ausgerechnet mit dieser Räuberpistole jetzt die Militärschläge gegen Syrien rechtfertigen möchte.
Philosophischer Botulismus
Doch es ist nicht die erste "Erfindung" des Philosophen. Im Jahr 2010 stellte er sein Buch "Vom Krieg in der Philosophie" vor. In dem Werk setzt sich Lévy, auch unter Bezugnahme auf einen gewissen "Jean-Baptiste Botul", kritisch mit Immanuel Kant auseinander. Er bezeichnet Kant unter Berufung auf diesen unter anderem als "wütenden Irren des Denkens". Das Problem ist nur, dass es den Philosophen "Botul" nie gegeben hat.
Lévy, der bereits den Irakkrieg in 2003 und die Angriffe auf Libyen in 2011 wortgewaltig verteidigt hatte, hätte demnach, im Sinne von Boethius, doch lieber geschwiegen. Oder sich lieber der Worte der österreichischen Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach erinnern sollen: "Wo die Eitelkeit anfängt, hört der Verstand auf."